Smartphone-Nutzer werden immer jünger Foto: dpa

Schüler sollen früher und besser mit modernen Medien lernen. Darauf müssten auch die Lehrer besser vorbereitet werden, fordert der Ludwigsburger Medienpädagoge Horst Niesyto.

Stuttgart - Herr Professor Niesyto, warum brauchen die Schüler mehr Medienbildung?
Schon Kinder sind regelmäßig im Internet unterwegs. Das muss erzieherisch begleitet werden, denn viele kennen nicht die Risiken, die damit verbunden sind. Nach einer neuen Studie haben 30 Prozent der Achtklässler in Deutschland gerade einmal einfache Kenntnisse bei der Bedienung von Computern, geschweige denn, dass sie genügend über Datenschutz wissen. Das Beherrschen von Medien zählt heutzutage zu den elementaren Kulturtechniken wie das Lesen, Schreiben und Rechnen.
Immer mehr Kinder haben Zugang zu Computern . . .
 . . . der Zugang ist nicht das Entscheidende, sondern der Umgang mit ihnen. Kinder sollten zum Beispiel lernen, was seriöse Quellen sind und wie sie die neuen Möglichkeiten auch zum Lernen und gezielten Recherchieren nutzen können. Medienbildung muss bereits in der Grundschule beginnen – Modellprojekte und international prämierte Handreichungen gibt es. Wenn wir uns darum nicht kümmern, verschärft sich der Trend zu einer Zweiklassengesellschaft.
Sind sich die Verantwortlichen in der Politik und an den Schulen dieser Gefahr bewusst?
Ministerien, Schulen und Hochschulen sehen grundsätzlich, dass es großen Nachholbedarf gibt – in den neuen Bildungsplänen ist zum Beispiel Medienbildung eine von fünf Leitperspektiven. Wenn es aber um die Umsetzung geht, wird es schwierig. Niemand will etwas abgeben.
Wer müsste was abgeben?
Nehmen wir das Beispiel Bildungsplanreform. Einzelne Fächer, etwa Deutsch, greifen die Medienbildung verstärkt auf. In den meisten Fächern aber fehlt sie bisher. In der Mathematik etwa könnten informatische Fragen vertieft werden, in der Kunst die Sprache und Wirkung von Bildern. Wenn in der Schule bestimmte Themen nicht fest verankert werden, wenn es keine Fachstruktur gibt, ist es auch schwierig, das im Studium zu verankern.
Bis 2004 war die Informationstechnische Grundbildung eigenständiges Fach, seitdem ist sie fächerübergreifende Aufgabe. Ist es sinnvoll, die Medienbildung weiterhin auf viele Fächer zu verteilen?
Medienbildung ist für viele Fächer relevant, deshalb ist eine fächerintegrative Bildung sinnvoll. Wenn man die ganzen Themen in ein Extrafach packte, würden sich viele Lehrer gar nicht damit befassen. Das Problem ist jedoch: In der Arbeitsfassung der neuen Bildungspläne kommt die Medienbildung zu kurz. In manchen Fächern taucht sie kaum oder nur sehr verkürzt auf. Deshalb halte ich es für nötig, dass vom ersten bis zum letzten Schuljahr eine Extrastunde wöchentlich reserviert wird für die Grundlagen der Medienbildung.
Was sollten denn Schüler wissen und können?
Sie sollten zum einen Grundlegendes wissen über Gestaltungsmöglichkeiten, über die Sprache und Wirkung von Fotos und Filmen – die spielen bei der Alltagskommunikation, aber auch in der Arbeitswelt oder der Werbung eine immer größere Rolle. Auch sollten sie etwas über algorithmische Prozesse erfahren, also wie digitale Medien funktionieren, was im Hintergrund passiert, wie Daten gespeichert, ausgewertet, systematisiert werden. Da ist man schnell bei der Medienkritik – was die zunehmende Vernetzung, die Kommerzialisierung und Kontrolle von Daten für die Gesellschaft und die einzelnen Menschen bedeutet. Schüler brauchen regelmäßig Gelegenheit, über ihre Mediennutzung zu reflektieren und sich mit aktuellen Medienentwicklungen auseinanderzusetzen.
Warum meiden viele Lehrer das Thema?
Manche Lehrer befürchten, sich bloßzustellen. Da spielt auch das eigene Selbstverständnis eine Rolle: Verstehe ich mich als allwissend? Dann wird die Luft natürlich dünn, gerade im Medienbereich, der sich sehr dynamisch entwickelt. Oder möchte ich vor allem Lernprozesse in Gang bringen? Dann beziehe ich die Schüler ein, ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen und komme mit ihnen ins Gespräch. Aber natürlich müssen Lehrer sich auch fachlich kundig machen. Dazu brauchen wir mehr Fortbildungen und eine bessere Vorbereitung im Studium.
Sind jüngere Lehrer da aufgeschlossener?
Natürlich sind sie mehr in die neue Medienwelt hineingewachsen. Aber zu glauben, dass alle im Hinblick auf pädagogische Aufgaben und Felder jetzt auf einmal sehr offen mit Neuen Medien arbeiten, ist ein Trugschluss. Viele betrachten Medien vor allem als Teil von Unterhaltung und Freizeit. Aber auch an den Hochschulen arbeiten Dozenten teilweise eher zurückhaltend mit den Neuen Medien.
Wie lässt sich das ändern?
Nötig ist ein Verständnis von Medien, welches die Bildungspotenziale von Medien erfahrbar macht. In Ludwigsburg bieten wir das Zertifikat Grundbildung Medien an. Dafür bräuchten wir mindestens eine zusätzliche Stelle, damit es dauerhaft verankert werden kann. Wir können Medienbildung nicht allein durch Vorlesungen vermitteln. Wichtig sind auch Seminare, in denen die Studenten die Medien ín pädagogischen Kontexten ausprobieren können. Das geht nicht nur über die Wissensvermittlung, sondern muss praktisch angeeignet werden.
Die Lehrerausbildung wird auf Bachelor-/Masterstudiengänge umgestellt. Wäre das eine gute Gelegenheit, die Medienbildung zu stärken?
Ja, aber leider haben die zuständigen Gremien die Landesfachschaft Medienpädagogik der Pädagogischen Hochschulen nicht in die Fachkommission aufgenommen. Mit dem Ergebnis, dass die Medienbildung in den Entwürfen reduziert wurde. Solange das Thema nicht als Schwerpunkt an den Schulen fest verankert ist, spielt es leider auch bei der Lehrerausbildung eine Nebenrolle.