Hannelore Bullen und andere Mitglieder des Seniorennets beim Surfen Foto: Peter Petsch

Das Internet bietet gerade älteren Menschen viele Erleichterungen. Doch nur 30 Prozent der über 70-Jährigen sind online. Mehrere Initiativen und eine Stuttgarter Gruppe wollen das ändern.

Stuttgart - Hannelore Bullen lehnt sich auf dem Bürostuhl zurück und schmunzelt. „Neulich war jemand hier, der noch nie am Computer gesessen ist. Der wollte nur eine Kleinigkeit fragen“, erzählt die 74-Jährige. Das Gerät oder die Tastatur selbst anzufassen habe er sich nicht getraut – stattdessen ausgerufen: „Das Ding anlangen? Bloß nicht. Das geht nur kaputt.“

Hannelore Bullen ist beim Seniorennet Stuttgart und sitzt an diesem warmen Nachmittag im Computerraum des Heslacher Generationenhauses. So wie mehrere andere Rentner, die keine Scheu vor neuer Technik zeigen. Der Drucker brummt pausenlos und spuckt Blätter aus. Ein Herr sichtet im Internet die Programme von Musikfestivals, druckt die Seiten aus und packt sie fein säuberlich in eine Mappe. Dort werden sie mit handschriftlichen Vermerken versehen, bevor sie in einer Aktentasche verschwinden. Alles läuft hoch konzentriert ab.

„Uns geht es darum, dabei zu bleiben“, sagt Gudrun Kubillus-Mader, die das Seniorennet Stuttgart leitet. Seit 13 Jahren ist die 76-Jährige dabei. Derzeit umfasst die Interessengemeinschaft über 180 Mitglieder in und um Stuttgart. Alle sind sie über 50 Jahre alt, das älteste Mitglied ist 92. Wie die frühere Buchhalterin haben viele davon im Beruf schon mit Computern zu tun gehabt – das Internet aber ist für die meisten zunächst einmal ein Buch mit sieben Siegeln gewesen.

„Viele Ältere wollen nach dem Beruf nichts mehr mit so etwas zu tun haben – und bereuen es bald“, sagt Kubillus-Mader. Denn heutzutage gehe nichts mehr ohne Internet und E-Mail. Gerade in Zeiten, in denen in vielen Stadtteilen die letzten Läden schließen, biete die neue Technik speziell Senioren viele Vorteile. „Rundbriefe von Vereinen, Fahrpläne, Theaterprogramme, alles gibt es online. Und man muss nicht mehr mit jeder Überweisung zur Bank gehen“, sagt sie. Im Seniorennet unterstützen sich die Mitglieder, bringen sich den Umgang mit dem Internet bei, tauschen sich aus.

Selbstverständlich ist das nicht. Denn trotz der großen Chancen für Ältere trauen sich viele Senioren nicht ans Internet heran. Das belegen mehrere aktuelle Studien. Der (n)onliner-Atlas der Initiative D 21 stellt fest, dass im vergangenen Jahr mehr als drei Viertel aller Deutschen über 14 Jahren online gewesen sind. In der Gruppe der über 70-Jährigen sind es nur 30 Prozent gewesen. Eine Allensbach-Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung kommt zu dem Schluss, dass rund die Hälfte der über 60-Jährigen die Auswirkungen der digitalen Gesellschaft kritisch sieht. Nur zehn Prozent halten den Wandel für überwiegend vorteilhaft.

Besonders groß ist die Furcht der Älteren, im Internet nicht sicher zu sein. „Das Internet kann insbesondere den Alltag älterer Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, erleichtern. Wichtig ist allerdings, dass sie sich gut über die Möglichkeiten, aber auch die Risiken informieren“, sagt Ursula Lehr. Die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso) weiß, dass zu den Problemen auch die Gestaltung vieler Internetseiten beiträgt. Sie sind schlicht nicht seniorenfreundlich und lösen Verunsicherung aus. Viele englische Fachbegriffe oder unübersichtlich aufgebaute Seiten blieben den Leuten ein Rätsel, heißt es bei der Bagso. Zudem würden viele Ältere beim Umgang mit der Technik allein gelassen.

Dagegen kämpfen Initiativen wie die Bagso oder die Stuttgarter Gruppe an. „Wir helfen uns gegenseitig“, sagt Gudrun Kubillus-Mader, „unsere Leute haben mehr Geduld als Jüngere und erklären Dinge auch zwei- oder dreimal.“ Wobei es durchaus noch ein paar fähige Anleiter mehr sein dürften, die die anderen unterstützen.

Diese Arbeit hält auch das Bundesfamilienministerium für wichtig. Es hat ebenfalls mehrere Initiativen ins Leben gerufen, um ältere Menschen besser ans Internet heranzuführen. „Die Unterstützung von Seniorinnen und Senioren beim Umgang mit dem Internet ist eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe“, sagt ein Sprecher. Man setze sich deshalb dafür ein, dass diese Aufgabe Teil der Digitalen Agenda der Bundesregierung werde.

In Heslach werden die letzten Blätter fein säuberlich in die Mappe gepackt und in der Aktentasche verstaut. „Das Ding anlangen“ ist für keinen hier mehr ein Problem. Ginge es nach den Beteiligten, würde das für viel mehr ältere Menschen gelten.

Hintergrund: Angebote für Ältere

Das Seniorennet Stuttgart bietet jede Woche an mehreren Terminen freies Surfen im Internet für Mitglieder und Nichtmitglieder an. Interessierte können sich dabei auch über die Gruppe informieren und anleiten lassen. Treffpunkt ist der Computerraum im Generationenhaus Heslach, Gebrüder-Schmid-Weg 13. Termine sind montags von 14 bis 17 Uhr, dienstags zwischen 9 und 12 Uhr sowie mittwochs von 14 bis 17 Uhr. Einmal im Monat gibt es zudem einen Stammtisch mit Vortrag und Diskussionen zu speziellen Themen. Wer bereits erste Internet-Erfahrungen hat, kann sich über die Seite www.seniorennet-stuttgart.de zusätzliche Informationen hole

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso) hat die Broschüre „Wegweiser durch die digitale Welt“ herausgegeben. Er kann kostenfrei bestellt werden unter 030 / 1 82 72 27 21.

Einstiegsmöglichkeiten ins Internet bieten auch zahlreiche andere Organisationen. So kann man beispielsweise in vielen Bibliotheken im Netz surfen. In zahlreichen Orten bieten Senioren Kurse oder Hilfe für andere Senioren an. Die Stiftung Digitale Chancen bietet auf ihrer Homepage eine Datenbank. Dort werden alle Angebote in einem bestimmten Ort angezeigt – allerdings braucht es dafür einen Internetzugang oder jemanden, der die Recherche für Interessierte, die über keinen Computer verfügen, übernimmt. Die Adresse: www.digitale-chancen.de.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenbüros hat gemeinsam mit dem Bundesfamilienministerium die Initiative „Sprechstunde Internet“ angestoßen. Dort sind 90 Organisationen bundesweit vertreten, die ältere Menschen im Umgang mit dem Medium schulen. Aus der Region Stuttgart ist das Netzwerk für Senioren-Internet-Initiativen in Böblingen dabei. Informationen gibt es dort unter der Rufnummer 0 70 31 / 27 63 58. (jbo)