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Münchens Bewerbung für die Winterspiele 2018 stößt in Garmisch-Partenkirchen auf Gegenwehr.

Garmisch-Partenkirchen - Erst hatten sie die Olympischen Sommerspiele (1972), jetzt wollen die Münchner gern noch die Winterspiele 2018. Dafür brauchen sie die Skipisten in Garmisch - und die Wiesen der dortigen Bauern. Aber genau da liegt das Problem.

Eigentlich sitzt Josef Glatz (50) bei seiner Brotzeit. Aber das hier ist ihm dann doch zu wichtig. "Irgendwann", knarzt er und schiebt den Teller beiseite, "schlog i z'ruck". Er hat sich viel anhören müssen, seit er sich dem Widerstand gegen das Olympia-Projekt angeschlossen hat. Sie haben ihm gesagt, dass er eine Jahrhundertchance gefährde, die Garmisch-Partenkirchen in die First Class der Wintersportzentren katapultiere. Dass er ein Ewiggestriger sei, der in die Steinzeit gehöre. Nun schreiben die Zeitungen vom Bauernaufstand in den Alpen. Und er ist so was wie der Thomas Müntzer von Garmisch, ein Alpen-Rebell. "So ein Schmarr'n", sagt Glatz, "die Leit hier sind doch net blöd, die woll'n nur mitreda, dös is des Problem."

Die in München hätten halt so furchtbar gern die Olympischen Winterspiele 2018. Die Chancen gegen Annecy (Frankreich) und gegen Pyeongchang (Südkorea) zu bestehen, sind gar nicht so schlecht. Weil sie in München aber nur ein paar Katzenbuckel haben, sollen die Alpinen auf der Kandahar-Strecke und am Gudiberg um die Medaillen fahren. Das ist nur 70 Kilometer von München entfernt, was sich gut macht in der Bewerbung. An und für sich ist das auch keine schlechte Idee. Aber manche Leut' in Garmisch und in Partenkirchen sagen: Sie hätten uns vorher halt fragen sollen.

Vielleicht schaut die 26.000-Einwohner-Markt nahe der Zugspitze deshalb so aufmerksam auf Stuttgart 21. Weil sich hier wie dort der Ärger darüber Bahn bricht, dass ein gigantisches Projekt, das sündhaft teuer ist und über Jahre tief in den Alltag der Menschen eingreift, scheinbar rücksichtslos durchgezogen wird. Ob berechtigt oder nicht: Der Aufruhr in GAP-City hat seine Wurzeln in der gefühlten Demokratur. Und ungewöhnlich genug frisst er sich kreuz und quer durch alle Parteien.

Jetzt geht es um die dunkelgrünen Saftwiesen rund um den Ort. Schön anzusehen sind sie und mit einem Stadel drauf, in dem die Landmaschinen stehen. Dort sollen in acht Jahren dann 16 000 Autos parken können, ein Media Village und ein Snow Village an der St.-Martins-Straße erst auf- und dann wieder abgebaut werden. Für 100.000 Besucher pro Tag, für Tausende Sportler und Journalisten aus aller Welt.

Die Bauern sollen dafür viele Hektar ihrer Wiesen an die Bewerbungsgesellschaft München 2018 verpachten. Für zwei, bis drei Jahre und für 1,50 Euro pro Quadratmeter - plus Ertragsausfall. Pro Jahr. Das ist mehr als sonst üblich. Die bayerische Staatsregierung verspricht, dass die Wiesen nach den Olympischen Spielen im ursprünglichen Zustand zurückgegeben werden. Dafür wollen die Landespolitiker sogar ein Olympia-Gesetz verabschieden.

Das Wort Olympia macht ganz narrisch

Doch eigentlich geht es um mehr. Es geht um Selbstachtung, Stolz und um ganz selbstverständliche Fragen. "Wo sollen wir denn hin in der Zeit mit dem Viachzeug?", fragt Josef Glatz. Auch der Hornsteiner-Anton reagiert schon ganz narrisch, wenn er das Wort Olympia nur hört. Ständig soll er seine Wiesen hergeben, für Weltcup-Rennen, für die Ski-WM und so weiter und so fort. Jetzt reicht's. Er sagt: "Ich geb nix her."

Wenn Olympia kommt, fürchtet Josef Glatz, ist das Ende der Landwirtschaft nicht mehr weit. Dann wird das Tal verstädtert und die Natur verhunzt. Er ist angestellt bei den Gemeindewerken, er treibt im Nebenerwerb seinen Hof um, und er ist ehrenamtlicher Vorsitzender der örtlichen Weidegenossenschaft. Man kann sagen: An ihm kommt in Garmisch keiner vorbei.

Wenn es brenzlig wurde zwischen München und dem Ort am Rande der Alpen, wählte der Chef in der Staatskanzlei, Siegfried Schneider, anfangs immer die Nummer von Josef Glatz. "Zuerst haben sie mich gebeten, dass ich zwischen den Bauern und der Bewerbungsgesellschaft vermittle", sagt er und ärgert sich, "jetzt soll ich am besten gar nichts mehr sagen."

Dabei hat er die Großkopfeten aus der Landeshauptstadt nur darauf aufmerksam gemacht, dass sie nicht Land verplanen können, das ihnen nicht gehört. Und dass sie wegen einer Halfpipe für die Snowboarder oder einer neuen Piste nicht über Jahre hinaus die Natur verschandeln dürfen. Der Fehler war, dass die Olympia-Bosse so getan haben, als sei das alles nur dummes Geschwätz. Aber so wie der Glatz-Josef und der Hornsteiner-Anton denken viele in Garmisch. Und es werden immer mehr. Die hohen Herren beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) mögen es nicht, wenn man sie nicht herzlich willkommen heißt.

Karl-Heinz Rummenigge, der Bayern-Chef, hat sich deshalb schon über die "lästigen Quertreiber am Rand der Alpen" aufgeregt. Und Willy Bogner, Chef der Olympia-Bewerbungsgesellschaft ätzte, dass es in München auch Saftwiesen gebe, "aber die sind wenigstens nicht subventioniert". Kurz danach hat er noch einen Brandbrief geschrieben, ein klein wenig mit Rücktritt gedroht und zusätzliche Millionen für die 30 Millionen Euro teure Bewerbung gefordert. Das war ziemlich ungeschickt, weil die Bauern nun argwöhnen, dass die depperten Münchner eh kein Geld mehr für die Pacht der Wiesen haben. Der arrogante Bogner sollte also künftig lieber einen Bogen um Garmisch machen. Was er in nächster Zeit vielleicht auch tut. Denn die Querelen sind dem einstigen Skirennfahrer an die Gesundheit gegangen. Vielleicht muss er demnächst sogar am Darm operiert werden.

Auch auf den Thomas sind einige Nolympier nicht sonderlich gut zu sprechen. Er heißt mit Nachnamen Schmid und ist der Bürgermeister. Er will Olympia nutzen, um seine Markt ein wenig zu entstauben. So stammt das Kongresszentrum aus der Zeit, als GAP zum ersten Mal die Skiweltmeisterschaft ausrichten durfte. "Das war 1978", sagt der Bürgermeister, "die Zeit ist aber nicht stehen geblieben. Wir haben in vielen Bereichen Nachholbedarf."

Notfalls plane man um fehlende Grundstücke herum

Er sagt, dass er die Einwände der störrischen Bauern ernst nimmt, seit Monaten suchen er und seine Berater nach Lösungen. Im zweiten Stock im Rathaus gibt es ein Olympia-Büro, und er hat die Wiesenbesitzer zu einer Versammlung eingeladen. Von 78 Betroffenen sind aber nur zwei gekommen. Er lässt trotzdem keine Zweifel, dass die rückwärts gewandten Dickschädel die Entwicklung nicht aufhalten werden. Es gibt eben auch die, die Olympia in GAP-City wollen. Und das ist nach den bisherigen Meinungsumfragen noch immer die Mehrheit. Die lokale Presse hat, ganz ohne das Zutun des Bürgermeisters, eine Serie gestartet: "Wir sind für Olympia, weil . . ." Und 113 Sportvereine haben sich in einer Resolution für die Winterspiele ausgesprochen. Notfalls, seufzt Schmid, plane man eben um die fehlenden Grundstücke herum. Schließlich habe der Gemeinderat entschieden, an der Seite Münchens ins Rennen um Olympia 2018 zu gehen. "Einstimmig!"

Da passt es wunderbar, dass die von den Nazis für die Olympischen Winterspiele 1936 zwangsvereinigten Teilorte Garmisch und Partenkirchen nächstes Jahr wieder eine Ski-WM ausrichten dürfen. Die ideale Plattform, um die hohen Herren vom IOC zu überzeugen. Bulldozer pflügen deshalb den Gudiberg um, Hubschrauber liefern in waghalsigen Manövern den Beton für die Fundamente eines neuen Sessellifts, weshalb die Wanderer in diesen modernen Zeiten schon mal ihre Hüte festhalten müssen.

Tatsächlich aber verströmt die Markt den Charme einer rüstigen Seniorin. Und die Frage, die in den Cafés und Wirtshäusern fast so häufig diskutiert wird wie im Gemeinderat ist die, was aus GAP einmal werden soll. Ein kuscheliger Ort in den Voralpen, der mit unverbrauchter Landschaft vor allem Sommertouristen lockt? Oder ein mondänes Wintersportmekka, Gastgeber der Olympischen Spiele, mit allen Schikanen?

Für Axel Döring (62) ist das keine Frage. Der Sozialdemokrat ist seit 38 Jahren Förster in Garmisch. In Flora und Fauna kennt er sich aus wie in seiner Westentasche. "Wir haben hier alle Wildarten, die man sich in den Bergen vorstellen kann", sagt er, "und die Vielfalt unserer Pflanzenwelt ist grandios." Er greift nach einem Fotoalbum auf seinem Schreibtisch und blättert los. Ein bisschen macht er dabei ein Gesicht wie ein Staatsanwalt. Für Ski-Abfahrten, Schnee-Lanzen und -Kanonen wurden schon jetzt Teile des Bergmischwalds gerodet. Fichten, Buchen, Tannen, Bergahorn. Auf den Talwiesen wachsen 65 verschiedene Pflanzenarten. Döring will die Wintersportler nicht grundsätzlich vertreiben, "aber es muss auch mal Schluss sein mit den ständigen Eingriffen in die Natur".

In Oberammergau, wo die Biathlon- und Langlauf-Wettbewerbe stattfinden sollten, haben sie sich in einem Bürgerentscheid für die Natur und gegen die Spiele entschieden. Ein Bürgerentscheid ist in Garmisch nicht mehr möglich. Die Verträge sind längst unterschrieben. Aber das Schlimmste, schätzt Döring, lässt sich vielleicht noch verhindern. Gemeinsam mit dem Landtagsabgeordneten der Grünen, Ludwig Hartmann, führt er die Nolympia-Bewegung an. 3000 Unterschriften haben die beiden schon gesammelt - und sich nicht nur Freunde gemacht. Döring liest aus einem Brief vor, in dem ihm und seiner Familie indirekt sogar mit Mord gedroht wird. Er zuckt ungerührt mit den Achseln. Der Grüngürtel um Garmisch-Partenkirchen sei einfach zu klein für ein solches Abenteuer. Und wenn die Winterspiele trotzdem kommen? "Wir sind keine Guerillas", sagt Döring.

Josef Glatz widmet sich wieder seiner Brotzeit. Vom seinem Haus blickt er rüber zur neuen Olympia-Sprungschanze, die erst vor zwei Jahren eingeweiht wurde. "I möcht net wiss'n, wos die kost' hot", brummt er, "und do hupft nur alle paar Monat mol einer runter." Ganz generell, sagt Josef Glatz, habe er ja nix gegen die Sportler. Aber was auf seinen Wiesen passiert: "Bittschön, das möcht' i scho selbst beschtimma."