Das Waldsterben schockte in den 1980ern nicht nur Umweltaktivisten. Foto: Zentralbild

Ob Wald- oder Artensterben: Prognosen zu Umweltkatastrophen bewahrheiten sich selten.

Stuttgart - Vor 30 Jahren schockierte das Waldsterben die Deutschen. Man ging davon aus, dass bald kein Baum mehr stehen würde. Ein Anlass, mal nachzuschauen, was aus den beliebtesten Öko-Katastrophen der 80er Jahre geworden ist.

Wie die Welt bis heute überleben konnte, ist ein Rätsel. Vorherzusehen war das nicht. Vor 30 Jahren konnte man eine beliebige Zeitung aufschlagen: Es gab mindestens eine Karikatur, die entlaubte Bäume zeigte, gern auch rauchende Schlote und Giftmüllfässer. Bestimmt aber eine Uhr, auf der es fünf vor zwölf war. Die Post legte einen drauf und brachte die Briefmarke "Rettet den Wald" heraus: mit Uhrzeigern auf vier vor zwölf. Die Zukunft würde grau werden, der Schwarzwald sterben, so viel stand fest.

Die Horror-Szenarien der 80er Jahre wurden vorbereitet durch die "Kampf dem Atomtod"-Bewegung, die in der Nachkriegszeit gegen Atombomben protestierte. Das glaubt jedenfalls der Münchner Historiker Frank Uekötter: Zum ersten Mal sei da "eine apokalyptische Rhetorik eingeübt" worden, die später "zu einem Charakterzug der Umweltdebatte" wurde. Verschmutzungsprobleme hatte es auch davor schon gegeben. Rauch, Staub und Gestank waren aber meist auf die unmittelbare Umgebung von Fabriken begrenzt. Wie viel unheimlicher war der radioaktive Fallout: schleichende Vergiftungen, Mutationen, Krebsgefahr - und das weltweit.

Alle Parteien springen auf den Öko-Zug

In den 70er Jahren hatten Wirtschaftskrisen unsanft aus Fortschrittsträumen geweckt. Eine Endzeitvision jagte die nächste: Der Klimatologe Stephen Schneider unkte, die Luftverschmutzung könne "eine Eiszeit auslösen". Der Biologe Paul Ehrlich prophezeite dem "sterbenden Planeten" zwei Milliarden Hungertote. "Das 20. Jahrhundert wird zur Verelendung des gesamten Erdballs führen", war sich der CDU-Politiker Herbert Gruhl sicher. Der Bericht "Grenzen des Wachstums", den die internationale Organisation Club of Rome vorlegte, sah das Bevölkerungs- und Produktionswachstum um 2070 im Desaster enden. Da die Araber gerade den Ölhahn zudrehten, beeindruckte vor allem die angedrohte Rohstoffknappheit. Die 1500-Seiten-Studie "Global 2000", im Auftrag des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter veröffentlicht, prognostizierte bis 2000 eine rasante Vergrößerung der Wüsten, ein Aussterben von einem Fünftel aller Tier- und Pflanzenarten und auch sonst nichts Gutes.

Bei der so eingestimmten Öffentlichkeit schlug es wie eine Bombe ein, als Forstwissenschaftler "neuartige Waldschäden" entdeckten. Der Göttinger Forscher Bernhard Ulrich erklärte 1981: "Die ersten Wälder werden in den nächsten fünf Jahren sterben." Der "Stern" titelte "Über allen Wipfeln ist Gift", der "Spiegel" folgte mit "Saurer Regen über Deutschland - der Wald stirbt"", und die "Zeit" lamentierte "Noch 20 Jahre deutscher Wald?", was aber nur eine rhetorische Frage war, denn "an der Diagnose gibt es nichts mehr zu deuteln".

Hektische Betriebsamkeit entwickelte auch die Politik. Innenminister Hans-Dietrich Genscher übersetzte das amerikanische "environmental protection" als Umweltschutz - und sicherte sich die Zuständigkeit dafür. Von Marxisten bis zur CSU sprang alles, was sich bewegen konnte, auf den Öko-Zug. Die Grünen kamen erstmals ins Parlament und überreichten dort einem säuerlich dreinschauenden Bundeskanzler eine verdorrte Fichte. Bloß Greenpeace verpennte das Desaster: Die PR-Profis befanden das seltsamerweise nur in Deutschland stattfindende Waldsterben als zu regional und zu unwichtig im Vergleich mit Atomgefahr und Waljagd. In der Folge spalteten sich hiesige Mitglieder ab und gründeten die Konkurrenz Robin Wood. Als dann 1986 der "Spiegel" auf dem Titel den Kölner Dom in der Nordsee versinken ließ und die "Klima-Katastrophe" ausrief, war der bis heute gültige Kanon der Umweltsorgen komplett.

Ronald Reagan boxt FCKW-Verbot durch

Besonders die Wald-Debatte hat Deutschland umgekrempelt. Vorschriften zur Rauchgasentschwefelung bei Kraftwerken, zu bleifreiem Benzin und Autokatalysatoren, die in der Schublade lagen, konnten im Gefolge des Aufruhrs durchgesetzt werden. Ein Nebenprodukt war der Gelbe Sack: Die Mülltrennung wurde unter anderem deshalb eingeführt, da Verbrennungsanlagen des Baummords verdächtigt wurden.

Andere Länder hatten zwar schon früher Nationalparks, Umweltbehörden und Autobahn-Tempolimit. Das FCKW-Verbot zum Schutz der Ozonschicht wurde letztlich von US-Präsident Ronald Reagan durchgeboxt; neuere Umweltinitiativen kommen meist von der EU-Kommission. Trotzdem hält sich bei uns seit den 80ern die Auffassung, die Deutschen seien ganz toll umweltbewusst und dem Rest der Welt überlegen.

Ob es überhaupt jemals großflächig "neuartige Waldschäden" gegeben hat, ist umstritten. Manche Wissenschaftler tippen auf altbekannte Pilzkrankheiten, Frost- und Hitzeschäden. Das Beurteilungskriterium Blattverlust galt schon 1993 als ungeeignet. Trotzdem veröffentlichte die Bundesregierung noch lange Jahr für Jahr einen darauf beruhenden "Waldschadensbericht". Die Grünen-Landwirtschaftsministerin Renate Künast erklärte erst 2003 das Waldsterben offiziell für beendet.

Heute leidet der Forst weniger an saurem Regen, sondern eher an Überdüngung durch Stickstoff. Zu schnell wachsende Bäume sind nicht unbedingt gesund, können aber Menschen, die in Pellet-Heizungen investieren, anscheinend nicht als Katastrophe vermittelt werden. Ein Teil der Umweltbewegung hat sowieso genug vom Schwarzsehen.

Pessimisten bleibt der Klimawandel

"Monat für Monat wurde auf den Seiten unserer Zeitschrift der dräuende Weltuntergang beschworen, der Tod war unser ständiger Begleiter", erinnern sich Dirk Maxeiner und Michael Miersch, ehemalige Redakteure der Zeitschrift "Natur". Anfang der 90er stiegen sie aus und verbreiten seither Öko-Optimismus: Bevölkerungswachstum? Geht sogar bei den Arabern zurück. Hunger? Ist kein Umweltthema, sondern ein Politverbrechen. Wüstenbildung? Seit dort die Bäume privatisiert wurden, grünt sogar die Sahelzone. Die Rohstoffe gehen aus? Dann recyceln wir halt Müllhalden. Selbst der Artenschwund wird angezweifelt.

Der dänische Statistiker Björn Lomborg, Ex-Greenpeace-Mitglied, brachte die Umweltszene zur Weißglut, als er vorrechnete, dass an der Ostküste der USA die Zerstörung von 98 Prozent aller Wälder nur drei Vogelarten ausgerottet habe. Die alarmierenden Zahlen zum Aussterben von Tieren und Pflanzen seien meist dubiose Hochrechnungen von Forschungsergebnissen, die auf winzigen Inseln gewonnen wurden - und oft einfach falsch. Man solle sich lieber um wichtige Probleme kümmern - zum Beispiel die Malaria bekämpfen.

Abgesehen von radioaktiver Strahlung bleibt Pessimisten zum Glück noch der Klimawandel. Für Ökopaxe ist diese Katastrophe allerdings kein rechter Segen: Propagandatechnisch ist es viel zu kompliziert, wenn Autos und Wirbelstürme, furzende Kühe und schmelzende Gletscher und überhaupt alles mit allem zusammenhängt. Mit Schwefelfiltern ist es diesmal nicht getan, zur Abhilfe müssten wir den gesamten Lebensstil ändern. Der siechende Wald hat Natur- und Umweltfreunde im Zeichen der Ökologie zusammengebracht. Der Klimaschutz trennt sie jetzt wieder: Die einen wollen Windräder aufstellen, die anderen aber keine Vögel schreddern. So überschaubar, so schrecklich einfach wie vor 30 Jahren wird die Welt wohl nie wieder werden.

Dirk Maxeiner und Michael Miersch im Netz: www.maxeiner-miersch.de.

Von Frank Uekötter erscheint im August im Campus-Verlag das Buch "Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert".