Der gelbe Schiebetritt der neuen S-Bahn zur Überbrückung des Spalts zum Bahnsteig Foto: Leif Piechowski

Es gibt Regionalpolitiker, die den Vorgang für „dramatisch“ halten: Die Bahn und der Zughersteller Bombardier können sich nicht über einen Vertrag für zehn neue S-Bahnen einigen. Die Region will mit den Zügen das System der Unpünktlichkeit stabilisieren.

Stuttgart - In der Zentrale des Zugherstellers Bombardier Transportation in Berlin hält man am Freitag den Ball flach. Tags zuvor hatte die Deutsche Bahn der Deutschland-Tochter des kanadischen Zugkonzerns ein Ultimatum gestellt, bis zum Donnerstag, 23. Oktober, ein „akzeptables Angebot vorzulegen. „Andernfalls müssten die Verhandlungen und damit auch die Bestellung von zehn weiteren Fahrzeugen der Baureihe ET 430 für die S-Bahn Stuttgart als gescheitert erklärt werden“, so die Bahn.

„Wir sind weiterhin an einer konstruktiven Lösung interessiert“, sagt dazu Bombardier-Sprecher Sebastian Heindrichs unserer Zeitung. „Wir wollen auf jeden Fall die zehn neuen Fahrzeuge verkaufen.“ Dass die Bahn während der Verhandlungen an die Öffentlichkeit geht, will Heindrichs nicht kommentieren. „Auch zu Details der Verhandlungen können wir uns nicht äußern.“

Die Bahn dagegen macht bekannt, dass es um den ominösen Schiebetritt geht, der bei den neuen S-Bahnen große Sorgen macht. Nachdem die ausfahrbare Überbrückung des Spalts zum Bahnsteig für Rolli-Fahrer und Fahrgäste mit Kinderwagen mehrfach geklemmt hatte und die S-Bahnen liegen geblieben waren, hatte die Bahn im Juli 2013 die ersten 13 von 87 neuen Zügen wieder aus dem Verkehr gezogen. Inzwischen sind 77 Züge auf der S 1 und der S 3 unterwegs – mit abgeschaltetem Schiebetritt. Erst Ende 2016 oder sogar 2017 soll das Bauteil für Barrierefreiheit funktionieren.

Nach diesem Debakel, das sowohl dem Vorsitzenden der Geschäftsführung beim französischen Zulieferer Faively Transport als auch jenem bei Bombardier den Job kostete, zieren sich die Kanadier nun offenbar, weitere Züge zu verkaufen, bevor das Modell funktioniert. Heindrichs sagt zwar, dass „ab Ende des Jahres eine Lösung in einigen Zügen im System erprobt werden soll“. Das heißt, ab Dezember wird der Schiebetritt hier und da wieder ausgefahren. Ein Bahnsprecher teilt jedoch mit, der offene Punkt der aktuellen Verhandlungen sei „eine unübliche Verlagerung der Herstellerverantwortung auf den Kunden insbesondere in Bezug auf die Schiebetritte“. Sprich: Wenn bei den zehn neuen Zügen die Tritte wieder klemmen, müsste die Bahn für eine mögliche Umrüstung selbst aufkommen.

Die Bahn hat im Kaufvertrag über die 87 Züge zwar eine Bestelloption für weitere 83, diese Option ist mittlerweile jedoch ausgelaufen. Und die Serienzulassung für das Modell erlischt bereits im Mai 2017. Deshalb wollen Bahn und Verband Region nicht warten, bis die Probleme beseitigt sind.

Die Nachricht vom Ultimatum der Bahn sorgte in Kreisen der Regionalpolitik am Freitag für einige Unruhe. Öffentlich äußern will sich niemand, bevor die Entscheidung gefallen ist. „Wenn wir die Züge nicht kriegen, sehe ich die Möglichkeiten für mehr Stabilität und Pünktlichkeit kritisch“, sagt aber ein Verkehrsexperte, „wir wollen ja nicht aus Spaß 80 Millionen Euro ausgeben“.

Seit vier Jahren fahren die S-Bahnen zunehmend Verspätungen ein, im September etwa kam laut Bahn-Statistik jeder fünfte Nahverkehrszug mindestens drei Minuten später als geplant. Diesen Zustand will die Regionalversammlung unter anderem dadurch verbessern, dass an Endhaltestellen wie Schorndorf oder Bernhausen (S 2) Züge im fliegenden Wechsel mit den einfahrenden S-Bahnen losfahren. Dazu müssten die neuen Züge ebenso her wie für den Einsatz längerer Züge, damit sich die Fahrgäste in Stoßzeiten nicht in wenige Waggons quetschen müssen und die Züge deshalb erst später losfahren können.

Andere Stimmen sagen, dass die Situation „den Bestand nicht gefährdet“. Auch die Verlängerung der S 2 nach Neuhausen/Fildern könnten mit dem 147 Fahrzeuge umfassenden Fuhrpark gestemmt werden. Den 15-Minuten-Takt auszuweiten und auch der Ausbau weiterer Linien wie der S 1 nach Göppingen und der S 5 nach Vaihingen/Enz würden allerdings fraglich – bis der aktuelle S-Bahn-Vertrag im Jahr 2028 endet.

„Es ist nicht so, dass gar nichts mehr geht, wenn wir die zehn Züge nicht kriegen“, sagt Jürgen Wurmthaler, Direktor für Infrastruktur beim Verband Region Stuttgart. Was noch geht, sagt Wurmthaler nicht. Denkbar wäre, sich auf die Suche nach weiteren Zügen des zweiten Modells ET 423 zu machen oder zu versuchen, das Auslaufmodell ET 420 (zurzeit noch auf der S 2) in der Region zu halten. Wurmthaler räumt ein, dass „es deutlich schwerer wird, vor 2028 noch mal kompatible Fahrzeuge zu bekommen“. Ansonsten will er vor einer Entscheidung nicht darüber spekulieren, was die Zukunft bringen könnte. Ohne die Züge wohl kaum eine pünktlichere S-Bahn.