Zu manchen Zeiten herrscht – wie hier in der S-Bahn-Station Hauptbahnhof – Gedränge im Nahverkehr Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Im Stuttgarter Rathaus wird der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in der Region für notwendig erachtet. Die Finanzierung des Ausbaus und der Stuttgarter Straßenbahnen AG gilt aber auch nach den neuesten Beschlüssen zum Thema Nahverkehr im Bund nur als teilweise gelöst. Und sie ist strittig.

Stuttgart - Ohne mehr Radverkehr und Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ist die Zahl der Kfz in Stuttgarts Talkessel nicht um 20 Prozent zu verringern – und das Problem Luftschadstoffe nicht zu lösen. Daran ließ OB Fritz Kuhn (Grüne) am Dienstag keinen Zweifel, als er mit dem Verwaltungs- sowie dem Umwelt- und Technik-Ausschuss lang und kontrovers über Luft und Nahverkehr diskutierte.

Der Bund hatte sich vergangene Woche endlich bewegt – doch das reiche nicht, hieß es. Der Bund will in den Jahren 2019 bis 2030 via Gemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetz (GVFG) Projekte mit Kosten von mehr als 50 Millionen Euro wie bisher fördern. Zudem erhöht er die Regionalisierungsmittel. Das sind Zuschüsse für das Land zum Schienenverkehr. Damit scheint der S-Bahn-Ausbau bis Neuhausen/Fildern gewährleistet zu sein. Auch geplante Metropolexpress-Züge könnten vielleicht gefördert werden. Nach wie vor keine positiven Beschlüsse gebe es, was kleinere Projekte nach dem Jahr 2019, Ersatz- und Erneuerungsinvestitionen sowie den Kauf von Stadtbahnen angeht, der seit 2005 nicht mehr bezuschusst wird, machte der SSB-Vorstand deutlich. Da geht es um den Partner Land.

Daher droht sich der Zuschussbedarf der SSB im Zeitraum bis 2030 dramatisch zu verschlechtern. Schlimmstenfalls könnte das jährliche Defizit von jetzt etwa 17 auf bis zu 75 Millionen steigen. Bei den realistischeren Szenarien geht es um die Frage, ob er sich auf 45 oder 50 Millionen erhöhen wird, meinte Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU). Der jährliche Bedarf an liquiden Mitteln droht sich bis Ende 2030 auf rund 1,2 Milliarden Euro zu summieren. Aus der bisherigen Finanzquelle – einer städtischen Holding mit Aktienbesitz im Wert von rund 430 Millionen – sind maximal 25 bis 27 Millionen Euro Ertrag pro Jahr zu erwarten. Die Fraktionen warteten in dieser Lage mit kunterbunten Finanzierungsvorschlägen auf.

Manche Stadträte wollen mehr Geld bereitstellen

Weil die Fahrgäste zusehens überfordert seien, weitere Anteile der Kosten zu finanzieren, forderten SÖS/Linke-plus eine Beteiligung der Wirtschaft über eine Nahverkehrsabgabe. Die Idee des ticketfinanzierten ÖPNV komme immer mehr an ihre Grenzen, sagte Hannes Rockenbauch, der offensivere Ausbaupläne forderte. Am liebsten hätte er Gratistickets. Jürgen Sauer (CDU) mochte das Prinzip, dass der laufende Betrieb der SSB mit Fahrgeldeinnahmen finanziert wird, nicht in Frage stellen. Man müsse um mehr Gelder von Bund und Land werben. Jochen Stopper (Grüne) meinte, insgesamt müsse mehr Geld in das ÖPNV-System gepumpt werden.

Die SSB solle innerhalb des Verkehrsverbundes VVS mehr Fahrgeldeinnahmen beanspruchen, weil sie auch verlässlicher und pünktlicher fahre als die S-Bahn. Auch Einnahmen aus Parkgebühren und Bußgeldern sowie der Überschuss des Flughafens, eine Firma von Land und Stadt, könnten für den ÖPNV verwendet werden. Eine Nahverkehrsabgabe müsse man erwägen. Martin Körner (SPD) meinte, die Stadt könne sich mehr Busse und Bahnen leisten. Dabei hatte er die 430 Millionen Euro im Visier. Matthias Oechsner (FDP) ließ wie Stopper den Wunsch nach nur noch einer VVS-Tarifzone in Stuttgart und Aufgeschlossenheit für eine Nahverkehrsabgabe erkennen – aber nicht für Gratisfahrten.

Dem OB wird der Willen zum Ausbau abgesprochen

Kuhn wurde vorgehalten, dass er keinen nennenswerten Ausbau wolle. Und Föll wurde unterstellt, er wolle Kuhns bescheidene Ausbauwünsche kassieren. Tatsächlich hatte der Kämmerer gesagt, erst einmal müsse man bei ÖPNV und SSB den Status quo über 2019 hinaus sichern. „Sie haben zur Frage der Lösung keinen Beitrag und keinen Vorschlag geleistet“, hielt Körner der Verwaltung vor. Kuhn sagte, noch gebe es keine fertige Antwort. Noch habe man Zeit. Die SSB sei aber weiter gefordert, die Effizienz zu erhöhen.

Beim Land will er dafür werben, dass es beim Kauf von Stadtbahnzügen wie früher 70 Prozent der Kosten übernimmt. Bis 2005 waren es nur noch 50, seither null Prozent. Ob bei der Stadt noch mehr Geld für die SSB da sei, müsse man in Ruhe „ausfechten“. Wie es um neue Geldquellen wie Nahverkehrsabgabe, Citymaut oder Straßenbenutzungsgebühren rechtlich bestellt sei, will Kuhn „sauber klären“. Die Stadtwerke solle man nicht als Geldesel für den ÖPNV betrachten. Sie müssten die Energiewende befördern.

Föll war „sprachlos“, dass jemand mit dem Tafelsilber und nicht nur mit dem Zinsertrag davon den ÖPNV finanzieren will. Gratistickets zu gewähren, würde allein die SSB 180 Millionen Euro kosten, entgegnete er der SÖS. „Das ist jenseits aller Realität.“ Kuhn mahnte die SÖS, nicht pauschal gegen das Auto zu reden. „Wer die Kuh melken will, von der er lebt, muss sie füttern.“