Foto: PPFotodesign.com

Entscheidung über OB-Kandidat fällt diesen Samstag – nach aufregenden Tagen für die Partei.

Stuttgart - Es ist schon paradox. Jahrzehntelang fochten die Parteioberen untereinander aus, wer für die CDU um den OB-Sessel kämpfen soll. Jetzt hat sich die Partei zur innerparteilichen Demokratie und zum Auswahlprinzip aufgeschwungen. Darüber ist sie aber in heftige Turbulenzen geraten – während die in Basisdemokratie geübte Grünen-Partei einmütig den Alleinbewerber Fritz Kuhn auf den Schild gehoben hat.

Rund 750 CDU-Mitglieder haben bei der Kreisgeschäftsstelle gemeldet, dass sie an diesem Samstag beim Duell zwischen dem Ex-Sozialminister und früheren Singener OB Andreas Renner (52) sowie dem parteilosen Werbeprofi Sebastian Turner (45) dabei sein wollen. Manche werden doch nicht kommen, andere sich spontan zur Teilnahme entschließen. Wer siegt, glauben viele, hänge von der Tagesform und den Reden ab.

Neue Spielregeln : Früher segneten knapp 300 Delegierte der Stuttgarter CDU-Bezirksgruppen ab, was ihnen ein Parteizirkel um den Landesvorsitzenden via Kreisvorstand empfohlen hatte. Die Delegiertenparteitage hat der Kreisverband als einer der Letzten im Lande letztes Jahr abgeschafft. Jetzt darf jedes Mitglied zur Abstimmung kommen, das ausreichend lang in der Kreispartei ist. Stichtag diesmal: der 27. Februar.

Das neue Verfahren macht es schwieriger für die Interessengruppen, eine Mehrheit für ihre Kandidaten zu organisieren. Man kann sich zwar Parteigänger bestellen, aber man weiß nicht, wie viele Mitglieder sonst noch kommen, wie sie heißen und wie sie sich positionieren. Bei der Kreisgeschäftsstelle allerdings laufen die Anmeldungen ein. Dort kennt man Namen. Und der Vorsitzende Stefan Kaufmann gilt als guter und geduldiger Strippenzieher, der zum Ärger vieler sehr früh für Turner Partei ergriff. Doch Kaufmann versprach, sich neutral zu verhalten. Wie viel, fragen sich manche Mitglieder, ist das Versprechen wert? Sicher ist: Die Lager der Duellanten haben in den letzten zwei Wochen mit immer härteren Bandagen gekämpft und zugeschlagen.

Kampagnen in der Partei: Natürlich gehe man im Geiste Namen durch und rufe den einen oder anderen an, um Mitstreiter zu mobilisieren, sagte der frühere Landtagsabgeordnete Peter Wetter auf Anfrage. Er wirbt für Turner und ist auch auf der Liste der Unterstützer, die im Renner-Lager etwas Verwunderung auslöste. Grund: Die Unterstützer-Initiative um Susanne Wetterich und Stephan Schorn erklärte, auf der Liste sei nur, wer unterschrieben habe. Der frühere Stadtrat und Jurist Oliver Kirchner müsste demnach per E-Mail seine Unterschrift beigebracht haben. Der Schwager der früheren CDU-Pressereferentin Stefanie Schorn arbeitet für die Firma Nokia Siemens Networks im Mittleren Osten. Er könne doch in Dubai arbeiten und sich dennoch für jemanden einsetzen, der in Stuttgart OB werden will, sagt Kirchner dazu. Schließlich komme er viermal im Jahr nach Stuttgart, habe hier Verwandte und Freunde, und er werde irgendwann wieder nach Stuttgart ziehen.

Klagen über Unfairness

Viele Ausgaben schon im Vorwahlkampf: Im Renner-Lager wurde in den letzten Tagen kräftig spekuliert, wie viele bezahlte Helfer der als sehr wohlhabend geltende Bewerber Turner einsetzt. Susanne Wetterich, früher Leiterin des städtischen Presseamtes und jetzt Betreiberin einer Ein-Frau-Agentur, trat auf Anfrage dem Gerücht entgegen, sie werde von Turner entlohnt. Sie arbeite ehrenamtlich. Für die Mitbenutzung ihres Büros und der Büroausstattung, für Material- und Telefonkosten sowie Porto erstatte ihr Turner einen dreistelligen Betrag pro Monat. Eine studentische Hilfskraft werde von Turner zeitweise eingesetzt und auf Stundenbasis bezahlt. Der Auszug Turners aus ihrem Büro sei absehbar, sagte Wetterich. Nach der Entscheidung auf dem Parteitag könne der offizielle Kandidat sich auf die Kreisgeschäftsstelle der Partei stützen.

Klagen über Unfairness: Renner fühlt sich durch Parteikreise „kriminalisiert“. Das sagte er am Mittwoch, als er bekanntgab, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen Titelmissbrauchs gegen ihn eingestellt habe – wenn auch nur gegen eine Geldauflage. Er kritisierte, dass er nicht parteiintern auf seinen „dummen Fehler“ im Lebenslauf hingewiesen wurde, ehe die Sache lanciert wurde. Außerdem seien in letzter Zeit anonyme Stimmen aus seinem beruflichen Umfeld zu seiner Verunglimpfung verwendet worden.

Im Turner-Lager war man darauf aufmerksam geworden, dass Renner in Schreiben an Parteimitglieder einen Master of Governmental Affairs angegeben hatte – doch so einen Abschluss kann man auf der Führungsakademie des Landes gar nicht machen. Erste Hinweise habe Renner ignoriert, heißt es. Inzwischen wird er von manchen Widersachern als Master of Desaster betitelt.

Streit ums Parteibuch: Bei den internen Regionalkonferenzen, die die CDU ihren Mitgliedern zum Kennenlernen der Kandidaten angeboten hatte, ging es auch um das Parteibuch. Turner hat keines und will keines. Zur Überraschung vieler Besucher erklärte Peter Wetter, das Parteibuchdenken müsse abgestellt werden. Gerade er, schallte es danach aus dem Renner-Lager, habe es mit dem Parteibuch der CDU doch zum Landtagsabgeordneten und Chef der Toto-Lotto-Gesellschaft in Baden-Württemberg gebracht. Ein Amt, das Wetter nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Filz in dem Unternehmen allerdings abgab.

Auf Anfrage sagte Wetter auch, speziell bei OB-Wahlen solle das Parteibuch keine Rolle spielen. Stuttgart sei ein Musterbeispiel dafür, wie sinnvoll das sei. Mit der eigenen Stammwählerschaft von 33 Prozent könne man hier nicht gewinnen. Wenn die CDU nach dem Status der wichtigsten politischen Kraft im Gemeinderat und der Regierungsverantwortung im Land noch den Stuttgarter OB-Sessel verlöre, würde sie auf dem tiefstmöglichen Punkt ankommen, warnte Wetter, der Renner als „echten Parteisoldaten“ bezeichnet. Renner bleibt cool: Nach der Nominierung durch die CDU habe jeder Kandidat, egal wer es ist, das Parteisignet. Er finde aber auch, die Partei müsse den Anspruch haben, bei der Wahl Flagge zu zeigen.