Willi Halder, Alexander Salomon, Thumilan Selvakumaran und Gerhard Dinger (von links) diskutieren über den Ausschuss. Foto: Stoppel

Das Ergebnis des Untersuchungsausschusses zu den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) lässt ein ungutes Gefühl zurück. Das ist der Tenor einer Veranstaltung der Grünen in Leutenbach. Nicht nur dem Ausschussmitglied Alexander Salomon stellt sich die Frage: „Was wussten Geheimdienste und Behörden?“

Leutenbach - Nach 39 Sitzungen binnen eines Jahres hat der Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags zur Aufklärung der Vorkommnisse um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) einen rund 1000 Seiten umfassenden Abschlussbericht vorgelegt. Doch zumindest nach Ansicht der Grünen sind mehr Fragen offen geblieben als geklärt worden. Mehr noch: Die Fülle an unzureichenden Informationen hat ein ungutes Gefühl hinterlassen. Das ist der Tenor einer Diskussionsrunde in Leutenbach, die der Winnender Landtagsabgeordnete Willi Halder (Grüne) unter dem Titel „Verstrickungen, Vertuschungen – NSU-Aufklärung im Land“ organisiert hatte.

Salomon: Wenig Aufklärungswille zu spüren

Der Karlsruher Grünen-Abgeordnete Alexander Salomon ist enttäuscht von der Auskunftsbereitschaft der Geheimdienste und anderer staatlicher Behörden gegenüber dem Untersuchungsgremium, dem er angehört hat: „Ich hätte erwartet, dass der Aufklärungswille an erster Stelle steht, doch davon ist wenig zu spüren gewesen.“ Mindestens zwei hiesige Polizisten, davon der Gruppenführer der im April 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter, seien Mitglieder in einem deutschen Ableger des rassistischen Geheimbundes Ku-Klux-Klan gewesen. Zahlreiche Verbindungsleute des Verfassungsschutzes seien dicht dran an dem NSU-Trio gewesen. „Das alles lässt einen schaudern, es stellt sich die Frage: Was wussten die Ämter?“

Diese Frage treibt auch den Schwäbisch Haller Journalisten Thumilan Selvakumaran um: „Wie konnte das NSU-Trio so lange im Untergrund sein Unwesen treiben, ohne aufzufliegen?“ Er habe „Respekt vor dem Aufwand“, den der Untersuchungsausschuss des Landtags betrieben habe. Doch die Kernfragen habe das Gremium nicht beantworten können, sagt der Mitautor des Buchs „Geheimsache NSU“ – und meint nicht nur den Mord an Kiesewetter, sondern insbesondere die Verstrickungen des Verfassungsschutzes, der Polizei und anderer staatlicher Behörden in die rechtsextremen Umtriebe. Das Innenministerium und das Landeskriminalamt hätten frühzeitige Erkenntnisse über die Verbindungen gehabt, etwa Ku-Klux-Klan-Sympathisanten in der Polizei, hielten diese aber hartnäckig unter Verschluss. Eine Aufarbeitung der NSU-Morde sei so nicht möglich.

Dinger: Verbindungen in den Kreis nicht auszuschließen

Gerhard Dinger, der von 2007 an sieben Jahre lang die Fachstelle Rechtsextremismus im Waiblinger Landratsamt geleitet hat, hält auch Bezüge zur rechtsextremen Szene im Rems-Murr-Kreis für nicht unwahrscheinlich. Laut Auskunft der Polizei gebe es zurzeit zwar keine Treffpunkte und aktive Gruppierungen, aber das „komplette Spektrum“ ist Dingers Ansicht nach latent vorhanden und zum Teil gut vernetzt, auch in den Osten der Republik, sagt Dinger. Nach dem Brandanschlag von Winterbach im Jahr 2011, bei dem eine Gruppe von Rechtsgesinnten nach einer Geburtstagsparty eine Gruppe von jungen Männern mit Migrationshintergrund in eine Hütte getrieben und diese angezündet hatte, waren mehrere Angeklagte vor Gericht von Steffen Hammer und Nicole Schneiders vertreten worden. Schneiders ist auch die Strafverteidigerin im Prozess gegen den mutmaßlichen NSU-Unterstützer Ralf Wolleben. Hammer ist der ehemalige Sänger der Rechtsrock-Band Noie Werte, deren Songs auch auf einer Bekenner-DVD des NSU zu hören gewesen seien. Dinger: „Die bewegen sich nicht für ein paar Kleine hierher.“

Auch seien bis zumindest 2007 rituelle Kreuzverbrennungen des Ku-Klux-Klan nicht nur in Schwäbisch Hall, sondern auch bei Sulzbach und Murrhardt registriert worden. Auf diese und andere Spuren, die in den Rems-Murr-Kreis führten, sei man auch in der dem Untersuchungsausschuss vorangegangenen Enquetekommission gestoßen, sagt Dinger (siehe „von der Ermittlungsgruppe zum Untersuchungsausschuss“). „Gewisse Kräfte“ innerhalb der Kommission, der zeitweise auch Dinger als Sachverständiger angehörte, hätten jedoch verhindert, dass diesen weiter nachgegangen wurde. Dinger betont: „Meine Neigung, an Verschwörungstheorien zu glauben, ist nicht groß“, auch die Zusammenarbeit mit der hiesigen Polizei sei sehr gut und vertrauensvoll. „Aber weil’s in der Sache hinten und vorne stinkt, kommt man ins Zweifeln. Ich weiß nicht mehr: wer schützt mich hier überhaupt.“

Alexander Salomon hofft dennoch, dass noch ein wenig Licht ins NSU-Dunkel gebracht werden kann. Nach der Landtagswahl soll sich ein zweiter Untersuchungsausschuss zusammenfinden.

Von der Ermittlungsgruppe zum Untersuchungsausschuss

Enquetekommission
Anfang 2014 hatte das Innenministerium die Ergebnisse einer beim Landeskriminalamt angesiedelten „Ermittlungsgruppe Umfeld“ vorgelegt. Kritisiert wurde, dass die Polizei ihre eigene Arbeit kontrolliert hatte. Daraufhin richtete der Landtag eine sogenannte Enquetekommission ein.

Gremium
Das Gremium, das aus Abgeordneten aller Fraktionen und externen Sachverständigen besteht, kann Empfehlungen geben, hat aber keine Durchgriffsrechte. Die Kommission scheiterte wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten seitens der Grünen. Der Vorsitzende – Willi Halder – musste zurücktreten.

Untersuchungsausschuss
Anfang 2015 nahm der NSU-Untersuchungsausschuss im baden-württembergischen Landtag seine Arbeit auf. Der Abschlussbericht wurde am Freitag vorgestellt. Er soll Mitte Februar im Landtag beraten werden. Nach der Wahl soll ein zweiter Ausschuss beschlossen werden.