Im Gerichtssaal in München: Der Angeklagte Holger G. verbirgt sein Gesicht hinter einer Akte. Foto: dpa

Holger G. ist der zweite Angeklagte, der im Neonazi-Prozess aussagt. Er belastet seine Mitangeklagten und gibt zu, dem NSU-Trio geholfen zu haben. Von Morden aber habe der sehr gutgläubige Freund nicht gewusst.

München - Holger G. ist der zweite Angeklagte, der im NSU-Prozess aussagt. Er belastet seine Mitangeklagten und gibt zu, dem NSU-Trio geholfen zu haben. Von Morden aber habe der sehr gutgläubige Freund nicht gewusst.

Wenn Holger G. das scheckkartengroße Plastikstück auf den Tresen der Autovermieter legte, dann war Urlaub angesagt. Meistens im Wohnmobil. Das dachten zumindest die Händler. In Wirklichkeit war der Führerschein I122003AX52 eine Fahrkarte zum Mord. Zumindest für die Staatsanwälte. Denn wenn in Zwickau und Umgebung der Rechtsextremist Uwe Böhnhardt den Führerschein I122003AX52 präsentierte, wenn er für den Vermieter die Identität des ihm ähnlich aussehenden Holger G. annahm, dann wurden kurze Zeit später Menschen erschossen oder Banken überfallen.

Neun Wohnmobile und zwei Pkws, so fanden die Ermittler heraus, die „in allen Fällen mit Anschlägen oder Raubüberfällen des ‚NSU‘ zusammenfallen“, wurden so angemietet. Im Verfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, André E. und Carsten S. sagte deren Mitangeklagter Holger G. aus. Der Mann, der Uwe Böhnhardt sein Ich gab.

G. erinnert sich an den Winterabend wahrscheinlich im Januar 2004, an dem „die drei“ an seiner Haustür in der Nähe von Hannover klingelten. Wie Zschäpe und „die beiden Uwes“ ihn bedrängten, seine Fahrerlaubnis herauszugeben: „Holger, wir machen keinen Scheiß damit. Deinen Pass haben wir doch auch schon seit Jahren.“

„Beate hatte Kuchen gebacken“

Aus Freundschaft habe er ihnen den Führerschein gegeben. Minuten vorher habe er noch einen Kloß im Hals gehabt: Als er den drei mutmaßlichen Terroristen gestanden habe, dass er sich von der rechten Szene losgesagt habe. Weil er doch inzwischen als Vorarbeiter in einem Lager malochte. „Mit einem Türken und zwei Russen bin ich jeden Tag zur Arbeit gefahren. Das war gut für mich.“ Und als einer seiner Neonazi-Freunde mit G.s Freundin ins Bett stieg, sei das rechte Weltbild in sich zusammengebrochen.

Trotzdem hielt er Kontakt zu dem Trio. Gab ihnen seinen Führerschein, Reisepass, ADAC-Karte. Besorgte für Zschäpe eine Versichertenkarte der AOK. Hortete 10 000 Mark für sie, lieh ihnen Geld und brachte ihnen eine Pistole ins cremeweiße Eckhaus in der Zwickauer Polenzstraße 2.

Und als die Drei 2011 wieder einmal vor der Tür standen – „Beate hatte einen Kuchen gebacken“ – ließ Holger G. sich von Böhnhardt mit einer Maschine „die Haare scheren“, setzte die Brille des Neonazis auf und ließ sich für die Fotos des neuen Reisepasses ablichten, der G. gehörte und den Böhnhardt bekam. „Der andere war inzwischen abgelaufen.“ Sieben der Passbilder fanden Ermittler im Zimmer Zschäpes.

Verbindung nach Heilbronn

Da hatte Böhnhardt längst mit G.s Führerschein ein Wohnmobil gemietet – am 16. April 2007. In ihm sind nach Überzeugung der Ankläger Böhnhardt und Mundlos von Zwickau nach Heilbronn gefahren. Dort hätten sie der Polizistin Michèle Kiesewetter in den Kopf geschossen und ihren Kollegen Martin A. lebensgefährlich verletzt. 40 Minuten nach dem Mord notierten sich im Südosten Heilbronns zwei Fahnder bei der Ringfahndung das Kennzeichen C – PW 87. Gut 19 Kilometer vom Tatort entfernt passierte bei Oberstenfeld das Wohnmobil die Streife, das Böhnhardt Tage zuvor als Holger G. angemietet hatte. Wer es fuhr? Das weiß niemand – auch G. nicht.

Überrascht sei er gewesen, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos die Mörder von neun Migranten und der Polizistin sein sollen, wie es der Generalbundesanwalt behauptet. Anfang der 1990er Jahre habe er die drei in seiner Heimatstadt kennengelernt. Sie mischten im „Nationalen Widerstand Jena“ mit. In Gesprächen habe er mit ihnen auch darüber gesprochen, ob sie Gewalt anwenden sollten, um ihre Vorstellung von einem Staat zu verwirklichen. „Man hat nicht immer darüber gesprochen, aber immer wieder“, erzählt der heute 39-Jährige.

Entschuldigung bei den Angehörigen der Opfer

Bundesanwalt Herbert Diemer lehnt sich bei dieser Aussage ein wenig vor: „Für uns ist es wichtig, dass es diese Richtungsdiskussionen gab. Dass es sie wiederholt gab“, wird er später sagen. Für den Terroristenjäger ein Indiz dafür, dass Zschäpe ihre Ziele gewaltsam erreichen wollte. Auch durch Morde.

Bei den Angehörigen der Opfer entschuldigte sich G. zu Beginn seiner Aussage, die er vorlas. Manchmal schnell atmend. Immer wieder Tränen aus seinen Augen wischend. Einer, der nicht gewusst haben will, wofür man seine Identität missbrauchte.