Verurteilt wegen Beihilfe zum Mord in Auschwitz: Oskar Gröning Foto: AFP

Das höchste deutsche Gericht korrigiert die bisherige Ansicht zum Umgang mit NS-Verbrechen. Helfershelfer können auch verurteilt werden, wenn ihnen konkrete Taten nicht nachgewiesen werden können.

Karlsruhe - Das Wort historisch ist mit Vorsicht zu verwenden, hier ist es angebracht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Montag ein Urteil des Landgerichts Lüneburg bestätigt und damit die deutsche Rechtsprechung zu NS-Straftaten korrigiert. Die Richter in Lüneburg hatten im Juli 2015 den sogenannten Buchhalter von Auschwitz zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt – wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen. Auch wenn Oskar Gröning KZ-Häftlinge nicht selbst umgebracht hat, so habe er doch die Tötungsvorgänge in den Gaskammern erleichtert und beschleunigt, so das Gericht in Lüneburg. Der BGH sieht das nun ebenso.

Oskar Gröning war an der arbeitsteiligen Organisation der Judenvernichtung beteiligt und damit für deren Tod mitverantwortlich. Er beaufsichtigte die sogenannte Todesrampe mit, wo die deportierten Juden massenhaft ins Lager Auschwitz angeliefert und viele von ihnen direkt in die Gaskammern abgeführt wurden. Gröning war dafür verantwortlich, dass keiner entkommen konnte. Er hatte sich nach eigener Aussage im Oktober 1940 als „überzeugter Nationalsozialist“ freiwillig zur Waffen-SS gemeldet, um dieser aus seiner Sicht „ruhmreichen Elite-Kaste“ anzugehören. Angeklagt war er wegen seiner Taten bis 1944 innerhalb der von der SS so bezeichneten „Ungarn-Aktion“. Bei der Endlösung der Judenfrage sollten alle ungarischen Juden getötet werden.

Zentralstelle in Ludwigsburg muss weitersuchen

Sowohl Gröning als auch einige Dutzend Nebenkläger, meist Angehörige von KZ-Opfern, waren nach dem Lüneburger Urteil zum BGH in Revision gegangen. Die Nebenkläger hatten eine Verurteilung Grönings wegen Mittäterschaft – und damit eine mutmaßlich höhere Strafe – verlangt. Die Bundesrichter waren zwischenzeitlich bereits dafür kritisiert worden, weil sie sich mit ihrer Entscheidung ziemlich viel Zeit gelassen hatten. In seinem Beschluss (3 StR 49/16) hat das höchste deutsche Gericht nun die Verurteilung bestätigt.

Ob der 95 Jahre alte Oskar Gröning tatsächlich ins Gefängnis kommt, hängt von den Untersuchungen seiner Gesundheit ab. Hält die Staatsanwaltschaft den angeschlagenen Greis für nicht haftfähig, kann er zu Hause bleiben. Seine Bedeutung hat die Entscheidung des BGH jedoch über den konkreten Einzelfall hinaus. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten Ermittler Verfahren in der Regel eingestellt oder gar nicht erst eröffnet, wenn einem SS-Mann konkrete Taten nicht zugerechnet werden konnten. Das fällt in vielen Fällen schwer, Zeugenaussagen sind sieben Jahrzehnte nach der Tat problematisch. Nun hat der BGH die Möglichkeit vereinfacht, weitere Anklagen gegen ehemalige SS-Mitglieder zu erheben. Den Nachweis zu führen, dass jemand in Auschwitz oder anderen Vernichtungslagern tätig war, ist vergleichsweise einfach.

Wie viele ehemalige NS-Schergen nun damit rechnen müssen, doch noch gerichtlich belangt zu werden, ist unklar. Die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg wird ihre Karteikarten daraufhin noch einmal neu durchsuchen müssen.