Immer noch eine der besten der Welt: Marit Björgen. Foto: AFP

Langlauf-Superstar Björgen geht 15 Monate nach der Geburt ihres Sohnes auf Medaillenjagd – Experten glauben an die harte Arbeiterin, die in den kommenden Tagen noch drei Mal Gold holen kann.

Lahti - Jeder Sport braucht seine Helden. Athleten, die Medaillen und Titel sammeln, Größe ausstrahlen, Sponsoren und Zuschauer anziehen, eine Geschichte zu erzählen haben. Athleten wie Marit Björgen.

Die Norwegerin ist der Superstar des Wintersports, keine hat mehr gewonnen. Und doch war ihr 15. WM-Gold ein ganz besonderes. Nachdem sie am letzten Anstieg des Skiathlons (7,5 km klassisch, 7,5 km freie Technik) von Lahti die Finnin Krista Parmakoski hatte stehen lassen wie ein Superbike ein Mofa, erklärte Björgen ihren Antrieb: „Es ist nicht ganz leicht, Mutter und gleichzeitig Top-Athletin zu sein.“ Andererseits habe ihr 15 Monate alter Sohn gemeinsam mit ihrem Mann Fred Börre Lundberg (Kombinations-Olympiasieger 1994 und 1998) vor dem Rennen für die nötige Extra-Motivation gesorgt: „Ich wohne hier in Lahti nicht bei meiner Familie. Vor dem Start habe ich ihnen geschrieben, dass ich sehr nervös bin. Dann kam ein Foto von Marius zurück mit der Botschaft, dass alles gut wird. Da sind mir die Tränen gekommen.“

Johaug – Doping mit einer Lippencreme

Es sind diese rührenden Geschichten, die gut ankommen. Erst recht in Zeiten, in denen keiner mehr glaubt, dass der weiße Sport sauber ist. Auch bei Marit Björgen laufen seit jeher die Zweifel mit. Weil sie Asthmatikerin ist, die seit Jahren dank einer Ausnahmegenehmigung Medikamente nehmen darf. Weil sie gerne ihre Muskelberge zeigt, die mancher Bodybuilderin zur Ehre gereichen würden. Weil sie offenbar nach der Geburt ihres Sohnes im Dezember 2015 von den norwegischen Dopingkontrolleuren sieben Monate lang in Ruhe gelassen wurde, sogar in den Trainingslagern des Nationalteams. Und weil sie Therese Johaug bei jeder Gelegenheit zur Seite springt, Zuletzt widmete Björgen ihrer Freundin sogar den Skiathlon-Titel von Lahti. Johaug ist derzeit gesperrt. Wegen Dopings mit einer Lippencreme.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen stehen die Loipen-Experten. Und dort gibt es von Zweifeln keine Spur.

„Wie lange hast Du Zeit?“, fragt Torstein Drivenes nach der Bitte, die Stärken des Kraftpakets aus Trondheim zu beschrieben. „Sie ist nach der Geburt ihres Sohnes besser als je zuvor und das perfekte Aushängeschild für den Langlauf“, sagt der Frauen-Trainer des Deutschen Ski-Verbandes (DSV), „wenn sie läuft, glaubt man nicht, was man sieht. Aber es ist das Ergebnis von viel, viel Training. Tag für Tag, Jahr für Jahr.“ Auch Ex-Bundestrainer Jochen Behle hält die Leistungen von Björgen für „eindeutig glaubwürdig. Sie ist neben Johaug, die härteste Arbeiterin im Feld der Langläuferinnen – und das schon über eine sehr lange Zeit.“ Was sich mit Zahlen belegen lässt.

Kein ungutes Gefühl

Andreas Schlütter ist einer, der sich für die Trainingsdaten anderer Nationen sehr interessiert. Die Norweger machen daraus kein Geheimnis. „Björgen ist nicht nur erfahren und mental stark, sondern verfügt auch über eine enorme Physis“, erklärt der Sportliche Leiter Langlauf im DSV, „geschaffen hat sie sich ihre konditionelle Grundlage über eine lange Zeit. Sie ist seit vielen Jahren in der Lage, 850 Ausdauer-Stunden pro Saison zu trainieren, insgesamt kommt sie auf fast 1000 Stunden im Jahr – das liegt im Bereich von Martin Johnsrud Sundby, dem besten Mann.“ Mit den deutschen Athletinnen unternimmt Schlütter Anstrengungen, sie in Richtung 800 Ausdauer-Stunden zu bewegen. „Die Leistungen von Björgen sind für mich absolut nachvollziehbar“, sagt er, „da bleibt kein ungutes Gefühl zurück.“ Vielleicht ja auch, weil es in der Laufbahn der Powerfrau nicht immer nur bergauf ging.

Der Weg zurück nach oben

Nach ihrem Durchbruch 2003 mit dem ersten WM-Titel, dem sie 2005 in Oberstdorf drei weitere hinzufügte, folgte eine Talsohle. Doch Björgen wollte zurück nach oben, stellte deshalb ihr Training um: weniger Intensität, dafür länger, mit mehr Kraft- und Technikübungen. Eine Investition, die sich auszahlte. 2010 gewann die in Vancouver fünf Olympia-Medaillen, 2011 bei der Heim-WM in Oslo vier Titel. Seither verkörpern Bauerntochter Björgen und ihr Bizeps („Ich muss einen Kraftraum nur von innen sehen, dann lege ich an Muskelmasse zu“) den Erfolg. Die Ausbeute der absoluten Nummer eins: zehn Medaillen bei Olympia (6 Gold/3 Silber/1 Bronze), 23 bei Weltmeisterschaften (15/5/3), 107 Weltcupsiege, vier Siege im Gesamtweltcup. Mehr geht nicht? Und ob!

„Sie kann hier alles gewinnen“

In Lahti stehen am Dienstag (10 km), Donnerstag (Staffel) sowie Samstag (30 km Massenstart) noch drei Rennen an, und es gibt nicht wenige, die sagen, Björgen haben gute Chancen, noch dreimal Gold holen. Zum Beispiel Drivenes, Behle und Schlütter: „Sie kann hier alles gewinnen.“ Und dann nach den Olympischen Spielen 2018 mit ein paar weiteren Medaillen als Superstar abtreten. Was für eine Helden-Geschichte.