Richy Müller als Kommissar Thorsten Lannert, hier bei einer aus dem Ruder laufenden Demonstration zu Stuttgart 21 Foto: SWR-Pressestelle/Fotoredaktion/Alexander Klage

Intrigen, Brandattacken auf Polizeiautos, professionelle Killer – und all das im Zusammenhang mit der Jahrhundertbaustelle. Vor der Kulisse von Stuttgart 21 spielt der neue „Tatort“. Übernächsten Sonntag läuft er im Ersten.

Stuttgart - Nichts für zartbesaitete wie wie für unaufmerksame TV-Gucker ist „Der Inder“ – so wird jener diffuse Geldgeber genannt, der das umstrittene Immobilienprojekt mit Namen „Gleisdreieck“ auf dem S-21-Areal in den Sand gesetzt hat. Seine Filme, sagt Regisseur und Autor Niki Stein am Dienstag im Anschluss an die Pressevorführung im Studiosaal des SWR-Funkhauses, seien in der Regel „extrem anspruchsvoll“, verlangten eine gewisse Anstrengung. „Sie sind nichts für Leute, die nebenher bügeln oder zwischendurch mal ein Bier aus dem Kühlschrank holen“. Das trifft durchaus zu angesichts der vielen Zeitsprünge und der Aufdröselung des zügig mit drei tödlichen Schüssen in Brust und Kopf des Opfers in Gang kommenden Krimis: Wer hier nur wenige Sekunden wegdöst, verliert den Faden.

Stuttgart 21 als „Tatort“-Thema, wenn auch in einer fiktiven Geschichte, das ist nach Einschätzung von SWR-Filmchefin Martina Zöllner geradezu überfällig. „Es war völlig klar, dass wir das machen müssen.“ Als idealer Partner, diese Vision umzusetzen, erschien den Verantwortlichen der durch insgesamt elf bundesweite „Tatorte“ bekannte Frankfurter Niki Stein. Als Redakteurin Brigitte Dithard ihn kontaktierte, ob er sich des Themas nicht mit dem Blickwinkel von außen nähern wolle, „hat mich zunächst Unbehagen erfüllt; ich habe mich nicht danach gedrängt“.

Im November 2013 standen die Beteiligten auf dem Stuttgarter Bahnhofsturm und guckten auf die Baustelle runter. Stein hatte die Auseinandersetzungen und massiven Eingriffe zur neuen Europäischen Zentralbank in seiner Heimatstadt Frankfurt im Kopf. „Ich sagte dann: Was habt ihr denn, die paar Bäume.“ Und: „Was regt ihr euch auf, das ist doch eine super Idee mit dem Bahnhof.“ Es sei doch toll, mitten im Zentrum eine neue Stadt erfinden zu können. Trotz der Bedenken übernahm er das Projekt, sprach mit Bürgern, Architekten, Naturschützern – und filmte bei Montagsdemos am Bahnhof. „Ich hatte einen Trenchcoat an.“ Prompt wurde der 54-Jährige verdächtigt: „Du bist doch vom Verfassungsschutz.“

Gedreht wurde im November 2014 in Karlsruhe, Baden-Baden – und in Stuttgart. Rund um die neue Stadtbibliothek wird ermittelt, es gibt Fahrten durch den Wagenburgtunnel – und auch das Mineralbad Berg darf nicht fehlen, mit gewagten Unterwasser-Kameraperspektiven. Dreharbeiten gab’s logischerweise auch am Bahnhof. Allerdings: „Die Bahn war restriktiv in der Drehgenehmigung“, berichtet Martina Zöllner. So nahm das Team den Bahnhofsturm von untern auf, denn das konnte die Bahn ja nicht verhindern. „Die Szenen oben haben wir allerdings auf einem anderen Turm gedreht“, berichtet Stein.

Natürlich sieht man auch, wie Richy Müller als Kommissar Thorsten Lannert mit seinem obligatorischen braunen Porsche wegen einer Großdemo von Bahnhofsgegnern mal wieder im Stau steht und zudem ein Polizeiauto in Flammen aufgeht. Amüsante Szenen gibt es, wenn Lannert und sein Kollege Sebastian Bootz (Felix Klare) unterschiedliche Auffassungen zu Stuttgart 21 offenbaren. Ebenfalls sorgen die poetischen Anwandlungen und Goethe-Zitate von Gerichtsmediziner Dr. Vogt (Jürgen Hartmann) für auflockernde Elemente in der ganzen Mörderjagd im Korruptionssumpf. Kameramann Stefan Sommer kreist ansonsten häufig in langen Einstellungen um die Schauspieler – was der ganzen schnellen Szenenfolge eine gewisse Ruhe verleiht.

Äußerst gelungen ist die Besetzung, mit dem wuchtigen Theaterstar Thomas Thieme (Schauspieler des Jahres 2000) als Hauptverdächtigen. Ein Wiedersehen gibt es mit Katja Bürkle – die aus Fellbach-Schmiden stammende Darstellerin (von 2000 bis 2008 am Stuttgarter Schauspiel) gibt hier die Vorsitzende im Untersuchungsausschuss zum gescheiterten Immobilienprojekt auf dem S-21-Areal. Eine Gastrolle als Ex-Ministerpräsident Rupert Heinerle hat Ulrich Gebauer – der in Laufen am Neckar geboren und in Ravensburg aufgewachsene Akteur beherrscht den schwäbischen Zungenschlag. Die Anspielung auf Stefan Mappus ist offenkundig, aber dezent. „Wir haben niemanden eins zu eins abgebildet, Heinerle ist nicht irgendein Ex-MP“, sagt Zöllner.

Für diesen „Tatort“ stand ein vergleichsweise großes Budget zur Verfügung. „Das war einer der teuersten ,Tatorte’ der letzten Jahre“, sagt Zöllner, ohne genaue Zahlen zu nennen. Als Zuschauer kann man nach den 90 Minuten nur sagen: gut angelegtes Geld.

„Tatort – Der Inder“ ist am Sonntag, 21. Juni, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.