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Großstadt-Vergleich: Stuttgart ist sehr reich und bietet die größte Lebensqualität.

Stuttgart - Lässt sich der Wohlstand einer Stadt messen? Der Statistiker Werner Münzenmaier hat es versucht und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Stuttgart ist eine der reichsten deutschen Städte - vor allem in puncto Wirtschaftskraft und Einkommen. Bei der Lebensqualität ist Stuttgart sogar die Nummer eins.

Er nennt sein Werk bescheiden "Aufsatz". Dabei bringt das, was der frühere Mitarbeiter des Statistischen Landesamts zusammengetragen hat, große Erkenntnisse für die Stadt Stuttgart. Seine Ergebnisse lassen sich kurz und knackig zusammenfassen: Stuttgart spielt in Deutschland nicht nur in der ersten Liga, die Stadt ist in vielen Bereichen absolut top. "Stuttgart ist eine der lebenswertesten und liebenswertesten Städte in Deutschland", sagt Münzenmaier, der sich früher im Landesamt mit Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen beschäftigte.

Wirtschaftskraft, Einkommensstärke, Armut, Integration, Verschuldung und Zersiedelung sind die Stichworte. Auf diese Punkte hin hat der Statistiker die Stadt mit 14 anderen deutschen Großstädten verglichen und stellt nun nüchtern fest: "Stuttgart steht gut da, aber nicht alles ist gut. Es gibt Probleme bei der Einkommensverteilung."

Eigentlich könnte er auch sagen: Stuttgart ist die Nummer eins. Aber das ziemt sich für einen seriösen Wissenschaftler nicht. Die Bewertung seiner Ergebnisse überlässt er anderen. Viel wichtiger ist dem Meister der Zahlen ein besonderer Aspekt seiner Analyse. Denn Münzenmaier ging bei seinem Großstadtvergleich fast revolutionär vor. Bisher betrachtete man lediglich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Kennziffer des materiellen Wohlstands. Es galt die einfache Rechnung: Je größer das BIP pro Kopf, desto größer die Kaufkraft, desto florierender die Wirtschaft, desto höher das Steueraufkommen, desto größer der Wohlstand einer Stadt.

Eine lückenhafte Darstellung, wie der Stuttgarter Experte meint. Laut Münzenmaier müsse Wohlstand oder Armut viel umfassender definiert werden. Im BIP werden zu viele Faktoren nicht erfasst: Hausarbeit etwa. Oder ehrenamtliches Engagement. Und die qualitativen Werte fehlen bei der alten BIP-Rechnung ganz. Zum Beispiel: Wie hoch ist die gefühlte Armut in einer Stadt? Wie gut gelungen empfinden die Bürger die Integrationsbemühungen? "Es ist also eine umfassendere Messung des materiellen und immateriellen Wohlstands einer Stadt nötig", sagt Werner Münzenmaier und geht ins Detail.

Wirtschaftskraft und Sparsamkeit

Die Wirtschaftskraft

Münzenmaier nimmt für die Bewertung und den Vergleich der Städte in puncto Wirtschaftskraft zwei weitere Kriterien zum klassischen BIP je Einwohner hinzu: das Primäreinkommen (Brutto) und das verfügbare Einkommen (Netto) der privaten Haushalte. Münzenmaier: "Auf das BIP je Einwohner zu schauen, taugt für große Städte nicht - auch weil die unterschiedlichen Zahlen der Pendler das Bild verzerren." Beim BIP je Erwerbstätigen, der Wirtschaftskraft, steht Stuttgart beispielsweise im Vergleich der 15 deutschen Städte mit mehr als 500000 Einwohnern mit einem Wert von 73000 Euro pro Erwerbstätigen auf Platz fünf, bei beiden Einkommens-Indikatoren jeweils auf Platz vier.

Sparsamkeit

Ganz weit vorne landet Stuttgart beim Ranking der öffentlichen Verschuldung. Soll heißen: Hinter Spitzenreiter Dresden und dem Zweiten Düsseldorf hat Stuttgart am wenigsten kommunale Schulden pro Einwohner (1008 Euro). Vermutlich läge Stuttgart ganz vorne, hätten die beiden erstplatzierten Städte zuletzt nicht reichlich Tafelsilber in Form von Immobilien verscherbelt.

Weniger Armut

Allein mit diesen Kennziffern gab sich der Statistiker nicht zufrieden. Denn wann sind eine Stadt und ihre Bürger wirklich reich? Manche meinen: Erst dann, wenn der Wohlstand gleichmäßig auf alle Bürger verteilt ist. Aus dieser Perspektive gilt der Halbsatz: reiches armes Stuttgart. Nur in Hannover klafft die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander als hier. Man kann die Sache aber auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Der Wohlstand ist zwischen den Villen am Killesberg und den Siedlungen am Hallschlag zwar extrem ungleich verteilt - aber dafür gibt es in Stuttgart insgesamt weniger arme Menschen als in den anderen deutschen Großstädten. "In Berlin ist die Armut höher und homogener verteilt. Ist das besser?", fragt Münzenmaier.

Das gute Gefühl

So weit die nackten Zahlen. Sie sind das Handwerkszeug der Statistiker. Gefühle lassen sich schließlich nicht beziffern. Sehr wohl aber die Anzahl der Menschen, die ein bestimmtes Gefühl zu einem Thema haben. So könnte das beschriebene Einkommensgefälle durchaus zu großer Unzufriedenheit bei Bürgern einer Stadt führen. In Stuttgart ist das nicht so - in diesem Bereich ist die Stadt sogar Tabellenführer in der deutschen Rangliste. Für die Mehrheit der Bürger stellt Armut in Stuttgart kein Problem dar. Gleiches gilt bei der Frage nach der Integration von Ausländern. Auch hier ist Stuttgart Spitzenreiter in Deutschland. Auf die Frage "Sind Ausländer, die in der Stadt leben, gut integriert?" antworteten zwei Drittel der Stuttgarter mit Ja. In Berlin ist es nur ein Drittel. Als Gründe für den Stuttgarter Spitzenwert vermutet Münzenmaier "intakte zwischenmenschliche Beziehungen oder eine funktionierende gesellschaftliche Einbindung, durch Vereine oder ehrenamtliches Engagement".

Der grüne Faktor

Wie grün ist Stuttgart? Auch das Ökosystem kann sehr wohl den materiellen und immateriellen Wohlstand einer Stadt beeinflussen. "Aber bei der Bemessung der damit zusammenhängenden Fragen, etwa Natur- und Ressourcenverbrauch, stößt man auch auf Probleme der Datenverfügbarkeit", sagt Münzenmaier. Daher ging er der Frage nach: Wie hoch ist der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsflächen an der Gesamtfläche? Hat die Stadt genügend Naherholungsgebiete? Einfacher: Wie viel Grün bleibt übrig? Und siehe da: Eigentlich wäre Stuttgart auch hier die Nummer eins in Deutschland. Dass Dresden und Leipzig besser abgeschnitten haben, liegt daran, dass beide Städte zuletzt viel ländlichen Raum eingemeindet haben.