Vermehrt tauchen Slogans der Identitären Bewegung auf. Unser Foto zeigt einen Eintrag auf der Facebook-Seite „Rems-Murr wehrt sich“, hinter der Insider die Identitären vermuten. Foto: Gottfried Stoppel

Rechtsextremisten nutzen die Flüchtlings- und Asyldebatte für ihre Zwecke und gehen dabei neue Wege. Auch im Rems-Murr-Kreis tauchen vermehrt Flugblätter und Plakate mit entsprechendem Inhalt auf.

Waiblingen - Springerstiefel und Baseballschläger sind aus der Mode. Der moderne Rechtsextremist trägt Baseballkappe und Kapuzenpulli, mit Aufdrucken wie „Fortress Europe“ – Festung Europa. Seine Waffen sind Plakataktionen und Flashmobs. Neuartige Gruppen vom rechten Rand nutzen die Flüchtlings- und Asyldebatte auch im Rems-Murr-Kreis dazu, neue Anhänger anzuwerben. In Schorndorf lagen am Wochenende Flyer der rechtsextremen Kleinpartei „Der dritte Weg“ in vielen Briefkästen, zudem sind in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder die typisch schwarz-gelben Plakate und Aufkleber der Identitären Bewegung aufgetaucht. Anfang August etwa hingen Poster mit dem Slogan „Asylwahn stoppen“ rund um Haubersbronn, am 7. Oktober ließen Aktivisten ein Banner mit der Aufschrift „Europas offene Grenzen töten“ von einer Backnanger Brücke wehen. In der zweiten Oktoberwoche tauchten Plakate mit dem Slogan „Heimat, Freiheit, Tradition“ über den ganzen Rems-Murr-Kreis verstreut auf.

Mit den Aktionen wirbt die Gruppierung, die zur „Neuen Rechten“ gehört, auch im Internet für sich. Die Beiträge werden im Netz verbreitet – etwa von der Facebook-Seite „Rems-Murr wehrt sich“, die fast 1200 Nutzer mit „Gefällt mir“ markiert haben. Deren anonyme Administratoren veröffentlichen Hinweise auf Demonstrationen, Zeitungsartikel über Straftaten, die von Ausländern verübt worden sind – und immer öfter Beiträge über die Aktionen der Identitären Bewegung. Eine Verbindung zu der Gruppierung streiten sie aber ab, sobald Nutzer sie darauf ansprechen.

Verdeckte Recherche

Ein Aktivist, der die rechte Szene seit fast 15 Jahren beobachtet, ist dennoch überzeugt: „Hinter der Seite steckt die Identitäre Bewegung.“ Der Mann recherchiert immer wieder mit verdeckter Identität in rechtsextremen Kreisen und will daher nicht namentlich genannt werden. „Sowohl die Aufmachung als auch die Inhalte passen zu den Identitären“, sagt er. Dass die über die Seite verbreiteten Plakate und Aufkleber, wie von den Machern behauptet, zufällig im Vorbeigehen entdeckt worden sind, glaubt er nicht: „Dort sind auch Fotos von nächtlichen Aktionen zu sehen, die sind wohl kaum zufällig entstanden.“ Dass die Aktionen der Identitären sehr rasch auf der Seite auftauchten, sei ein weiterer Hinweis für eine Verbindung.

Immer wieder weist die Facebook-Seite auf die Homepage „Der große Austausch“ hin, die von der Identitären Bewegung betrieben wird. Die Seite warnt vor einem angeblich von Politik und Wirtschaft gezielt betriebenen Austausch der „angestammten Bevölkerung Deutschlands“ durch außereuropäische Einwanderer – „weil es billiger und lukrativer ist, Menschen zu importieren, als entsprechende soziale Bedingungen für eigene Kinder und Familien zu schaffen“. Die Einwanderer kämen aus „kulturfernen Ländern“, im Gegensatz zu den „Deutschen, die eine jahrtausendealte ethnokulturelle Traditionslinie prägt“.

Verfassungsschutz beobachtet

Der Slogan der Gruppierung ist zwar „100 Prozent Identität – Null Prozent Rassismus“, sie will mit Rechtsextremen angeblich nichts zu tun haben. Der Journalist Andreas Speit kommt in einem Dossier für die Bundeszentrale für politische Bildung allerdings zu der Einschätzung: „Ihre Ideologie und die Tradition, auf die sie sich berufen, sind rechtsextrem“. Auch der Informant unserer Zeitung betont: „Die Identitären orientieren sich zwar nicht so sehr am Nationalsozialismus als Ideal. Aber sie sind trotzdem eine extrem rechte Strömung.“ Einige Identitäre seien auch Mitglied in klassischen rechtsextremen Gruppen. Mit ihrem modernen Erscheinungsbild hätten sie bei den Identitären aber mehr Chancen, Jugendliche zu erreichen, als mit Stahlhelm und Frakturschrift.

In einigen Bundesländern – nicht aber in Baden-Württemberg – stehen die Identitären auf der Beobachtungsliste der Verfassungsschützer. Im Rems-Murr-Kreis hat die Polizei die Gruppe zumindest auf dem Schirm. „Wir wissen von den Plakataktionen“, sagt Holger Bienert, ein Sprecher des Polizeipräsidiums Aalen. Strafrechtlich in Erscheinung getreten sei die Gruppe im Kreis noch nicht: „Die Plakate sind inhaltlich zwar vom Recht auf freie Meinungsäußerung abgedeckt“, erklärt Bienert, „aber es besteht die Gefahr, dass Leute aus solchen Gruppen endgültig nach rechts abgleiten und sich radikalisieren.“

Die Polizei geht jedoch nicht davon aus, dass die Identitären hinter der Facebook-Seite „Rems-Murr wehrt sich“ stecken – und sie glaubt auch nicht, dass von den Identitären selbst Gewaltpotenzial ausgeht. Diese Einschätzung teilt nicht jeder: „Im Internet zeigen sich die Identitären auch beim Boxtraining“, meint der Informant unserer Zeitung. Auch in anderen Onlinebeiträgen geben sich die hippen Nationalisten martialisch: „Für uns ist das Leben ein Kampf“, heißt es in einem französischen Video mit deutschen Untertiteln, das unter dem Namen „Kriegserklärung“ im Netz kursiert. Einen Link zu eben diesem Filmchen nutzt auch die Facebook-Seite „Rems-Murr wehrt sich“ statt einer Seitenbeschreibung – obwohl sie mit der Gruppierung offiziell nichts zu tun haben will.