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Stephen Patrick Morrissey ist der großartigste Misanthrop und Narziss, den der Pop bisher hervorgebracht hat. Das Album „World Peace Is None Of Your Business“ ergänzt wortgewaltig Morrisseys Leiden an der Welt um ein weiteres hinreißendes Kapitel.

Stuttgart - „Natürlich hat meine Geburt meine Mutter fast umgebracht, weil mein Kopf zu groß war.“ Das schreibt Morrissey in seiner Autobiografie. Wie in seinen Lieder erfährt man in dem Buch, das im September endlich auch auf Deutsch erscheinen soll, sehr viel und doch sehr wenig über dieses herrlich sentimentale, schlaue, prätentiöse Großmaul, das so wunderschöne Lieder schreiben kann.

Immerhin verrät er in dem Buch, dass er fast einmal einen Gastauftritt in der Fernsehserie „Friends“ gehabt hätte, dass er gerne früh aufsteht, dass er es tatsächlich nicht leiden kann, wenn seine Freunde Erfolg haben, und dass sein Kumpel David Bowie gerne mal mit seinen Sex- und Drogenerfahrungen prahlt.

Doch auch Morrissey war schon immer ein Meister der Übertreibung. Einer, der eine ganz eigentümliche Rhetorik in den Pop einführte. Schon als Sänger dieser stilprägenden Band namens The Smiths kleidete er die Lieder mit einem warmherzigen Ton aus, der enthusiastisch die Schwerheit der Welt umarmt. Eigentlich klingen alle Lieder Morrisseys wie Liebeslieder. Manchmal sind sie auch welche. Wie die Smiths-Nummern „There Is A Light That Never Goes Out“ oder „Please, Please, Please, Let Me Get What I Want“, die zu den größten Rührstücken in der Popgeschichte zählen.

Oft aber verbergen sich im herzlich-empfindlichen Duktus von Morrisseys Melodien, die er mit seinem weichen Bariton vorträgt, Boshaftigkeit, Selbstironie, Zynismus. Seine ersten Soloalben hießen „Viva Hate“ (1988) und „Kill Uncle“ (1991). Er feiert die Romantik des Verbrechens („Sister I’m A Poet“), besingt zärtlich die Schönheit des Moments, wenn die Sonne über zertrümmerten menschlichen Knochen untergeht („First Of The Gang To Die“). Und auch „World Peace Is None Of Your Business“ ist wieder voller solcher sanfter Gehässigkeiten.

Zum Beispiel in dem Lied „The Bullfighter Dies“, das den Tod eines Toreros feiert: „Hoorey, hooray / the bullfighter dies / and nobody cries / because we all want the bull to survive“ – hurra, hurra, der Stierkämpfer stirbt, und keiner weint, weil alle wollen, dass der Stier überlebt. Morrissey trägt solche Zeilen mit einer wohl dosierten pathetischen Ernsthaftigkeit vor. Der Mann aus Manchester, der zurzeit abwechselnd in den USA, Italien, der Schweiz und Großbritannien lebt, ist seit seinem elften Lebensjahr Vegetarier, verdingt sich als Peta-Posterboy und wütet auf dem neuen Album auch in der Nummer „I’m Not A Man“ gegen Fleischesser: Während sich der zurückhaltend inszenierte Acht-Minuten-Popsong nach und nach steigert, bringt sich Morrissey selbst in Rage. Ich bin kein Mann, singt er dann: Ich bin viel besser, viel größer als ein Mann, weil ich kein Tier töten und essen und nie die Welt zerstören würde, in der ich lebe.

Dieses Lied ist eines der wenigen Lieder auf „World Peace Is None Of Your Business“, bei denen es leichtfällt, autobiografische Züge zu entdecken. Ein anderes ist „Oboe Concerto“, das sentimentale Finale des Albums. „All the best one’s are dead“, die Besten sind alle schon tot, singt er in dem Lied, in dem es ums Älterwerden geht und darum, dass das Leben weitergeht, auch wenn man manchmal glaubt, es nicht mehr ertragen zu können.

Anstatt sich selbst zu analysieren, spielt Morrissey auf „World Peace Is None Of Your Business“ lieber Rollen: verhöhnt im Titelsong in der Maske der Machthabenden basisdemokratische Träumer, versetzt sich in „Istanbul“ in den Vater, der verzweifelt nach seinem Sohn sucht, denkt sich die Geschichte einer Studentin aus, die vom zarten Vater, vom lieben Freund in den Tod getrieben wird („Staricase At The University“) oder spielt einen, der einen Bräutigam im letzten Moment von der Hochzeit abbringen will („Kick The Bride Down The Aisle“).

Zwar ist Morrissey weiterhin der große Übertreibungskünstler, doch die Opulenz bleibt diesmal eher auf sein Lyrik, seine Stabreime, seine Alliterationen beschränkt. Auf orchestralen Plüsch verzichtet er, probiert Fado und Flamenco aus. Und durch das Klagelied „Neal Cassady Drops Dead“ tönen neben spanischen Gitarren auch Industrial-Noise und störrische Hip-Hop-Beats, während Morrissey unerhörte lyrische Bilder findet, wenn er sich der Beatgeneration nähert: „Neal Cassady drops dead / and Allen Ginsberg’s tears / shampoo his beard“ – Neal Cassady fällt tot um, und Allens Ginsbergs Tränen schamponieren seinen Bart.

Überhaupt überzeugt Morrissey, der zurzeit an seinem ersten Roman schreibt, immer wieder mit seiner eindringlichen Poesie – die letztlich gar keine Musik braucht: Im Videoclip zu dem Lied „Earth Is The Loneliest Planet“ steht Morrissey mit Pamela Anderson auf dem Dach des Capitol-Hochhauses in Los Angeles. Dazu trägt er den Liedtext als Gedicht ohne jede Begleitung vor: „You fail as a woman / You lose as a man / And earth is the cruelest place you will never understand“ – Du versagst als Frau, du verlierst als Mann, und die Erde ist der grausamste Ort, den du niemals verstehen wirst.