Das Postgebäude in der Waiblinger Bahnhofstraße mit der NS-Fahne im Jahr 1933 Foto: Stadtarchiv Waiblingen

Hans Schultheiß, ehemaliger Stadthistoriker in Waiblingen, hat sich die handelnden Personen in der Stauferstadt bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 vorgenommen.

Berta Oppenländer war offen und ehrlich. „Wir haben an ihn geglaubt“, hat die Waiblingerin vor 27 Jahren dem Stadthistoriker Hans Schultheiß in einem Interview erklärt. „So wie es war, konnte es ja wohl nicht mehr weitergehen damals. Die Arbeitslosigkeit, die Schlägereien zwischen SA und Kommunisten. Und Stolz hat er uns wiedergegeben. Darum haben wir ihn gewählt.“ Wie Berta Oppenländer hätten viele empfunden, sagt Hans Schultheiß, mittlerweile im Ruhestand. In einem Vortrag beim Heimatverein Waiblingen hat er am Donnerstag im ausverkauften Saal im Forum Mitte über die lokalen Geschehnisse und die handelnden Personen im Jahr 1933 erzählt, in dem die Nazis in Deutschland an die Macht kamen.

In Waiblingen gab es überzeugte Nazis

In Waiblingen gab es überzeugte Nazis wie den Schriftsteller und Hitler-Verehrer Otto Heuschele, der die Bücherverbrennungen laut bejubelte, Opportunisten wie den Bürgermeister Hugo Wendel und Menschen, die sich wehrten, wie Landrat Ernst Mäulen. Letzterer, sagt Hans Schultheiß, sei der „Prototyp eines in der Kaiserzeit geprägten Berufsbeamten“ gewesen. „Ein Antikommunist, der der Weimarer Republik eher distanziert gegenüberstand und innerlich immer noch ein Anhänger der 1918 untergegangenen Monarchie war.“

Am 22. Juni 1933 wurde die Hakenkreuzfahne am Waiblinger Rathaus gehisst, mit Einverständnis von Bürgermeister Wendel. Er war Mitglied der DDP, der Deutschen Demokratischen Partei, einer linksliberalen Partei in der Weimarer Republik, und 1929 mit Unterstützung der SPD und KPD gewählt worden. Vier Jahre später, im Mai 1933, leitete Wendel die erste Sitzung des gleichgeschalteten Waiblinger Gemeinderats.

Landrat Ernst Mäulen leistete deutlich mehr Widerstand, als wenig später eine Abordnung der SA und der SS im Oberamt erschien. „Er schimpfte derweil lautstark in seinem Arbeitszimmer über diese braune Nazi- und Hitlerbande“, sagt Hans Schultheiß. Mäulen konnte das Aufziehen der Hakenkreuzfahne aber auch nur herauszögern, nicht verhindern. Bereits als 50 Einwohner des Kreises Waiblingen in „Schutzhaft“ ins Konzentrationslager Heuberg gebracht wurden, darunter Anton Schmidt, Gewerkschaftssekretär und Mitglied der SPD, war Mäulen den Nazis unangenehm aufgefallen. Egon Fiechtner, der NSDAP-Kreisleiter, hatte schon da die Entlassung des Waiblinger Landrats beim Innenministerium beantragt. Am Abend des 22. Juni 1933 sei dann „ein von Fiechtner zusammengetrommelter Volkshaufen“, so Mäulen, vor das Amtsgebäude gezogen und ins Haus eingedrungen, um ihn zur Abdankung zu zwingen. Mäulen weigerte sich, wurde mit einem Fahrzeug nach Stuttgart ins Innenministerium gebracht und kehrte erst nach fünf Wochen ans Oberamt Waiblingen zurück.

Als pflichtbewusster Berufsbeamter zurückgekehrt

„Nach der endgültigen Machtübernahme stellte er sich dann allerdings auf den Boden der neuen Tatsachen“, sagt Schultheiß. „Er war in den wenigen Wochen nach seiner Rückkehr ins Waiblinger Landratsamt als pflichtbewusster Berufsbeamter auch mit der Durchführung der Entlassung von Juden aus der Verwaltung befasst.“ Danach sei Mäulen als Landrat nach Esslingen gegangen, wo er 1938 als 60-Jähriger mit Pensionsanspruch seinen Rücktritt einreichte.

Bürgermeister Wendel nutzte sein Anbiedern an die Nazis derweil nichts. Am 22. Juni 1933, am gleichen Tag, an dem Mäulen aus dem Oberamt geholt worden war, war die Menschenmenge zur Wohnung Wendels in die Bahnhofstraße 45 gezogen und skandierte: „Wir wollen einen nationalsozialistischen Bürgermeister.“ Wendel wurde im Alter von 48 Jahren für ein Jahr in den Ruhestand versetzt, dann bei der Ministerial-Abteilung für Bezirks- und Körperschaftsverwaltung in Stuttgart beschäftigt, ehe er 1942 Stellvertreter des Landrats in Rottweil und 1945 des Landrats in Leonberg wurde.

Eine besondere Figur jener Zeit war Hermann Weisbarth, vermögender Steinbruchbesitzer aus Oeffingen, Waiblingens erster NSDAP-Ortsgruppenleiter und 1945 als Volkssturmführer in Fellbach Hauptbeteiligter bei der Ermordung von drei französischen Kriegsgefangenen. „Zeitzeugen schilderten ihn als rücksichtslosen Schläger“, sagt Schultheiß. 1932 wurde er wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu vier Monaten Gefängnis verurteilt und zunächst aus der Partei ausgeschlossen. Ein 17-jähriges Mädchen, das mit einer schweren Schwangerschaftsvergiftung ins Bezirkskrankenhaus Waiblingen eingewiesen worden war, hatte kurz vor ihrem Tod angegeben, dass der verheiratete Weisbarth der Vater sei, dieser aber die Schwangerschaft vertuschen und mit einer Stricknadel einen Abort herbeiführen wollte. Als er sich nach Kriegsende in Rastatt, am Tribunal Général der französischen Militärregierung verantworten musste, entkam Weisbarth der Todesstrafe. „Ihm wurde sein Austritt aus der NSDAP zugutegehalten, den er belegen konnte, aber als freiwillig darstellte“, so Hans Schultheiß.