In Memoriam Röhre: Abschied von einer Institution des Nachtlebens Foto: Pavlovic

Der Filmemacher Denis Pavlovic wollte eigentlich einen Dokumentarfilm drehen, der sich empört, warum die Stadt so wenig Liebe für Sub- und Clubkultur hat. Heraus kam ein Film, der Blicke hinter die Kulissen einer Industrie liefert, die jungen Stuttgartern Platz zum Feiern und Orientierung bietet.

Stuttgart - Denis Pavlovic fühlt so, wie viele junge Stuttgarter fühlen. Feiern macht Spaß, am liebsten an Orten, an denen Clubs auf Zeit unterkommen. Das macht es noch mal spannender, weil alle wissen: Irgendwann ist Schluss. Doch trotz dieses Wissens ist der Aufschrei bei jeder Schließung groß. Zudem haben in jüngster Zeit mit der Röhre, dem Zapata, dem Kimtimjim, dem Z-Club, dem Landespavillon und dem Wilhelmspalais besonders viele Clubs und Auftrittsorte das Zeitliche gesegnet. Darum haben am Dienstag die Aktionsbündnisse „Follow the White Rabbit“ und „Es ist Liebe“ für den Erhalt kultureller Vielfalt mit besonderem Augenmerk auf Clubkultur demonstriert. Die Lage war auch Inspiration genug, den jungen Filmemacher Pavlovic (26) aktiv werden zu lassen.

Der Film

„Wo tanzen wir morgen?“ ist ein Episodenfilm, in dem sich Pavlovic mit den Betreibern der in den letzten Jahren geschlossenen Stuttgarter Clubs trifft. Eineinhalb Jahre arbeitete Pavlovic an dem Projekt, rund 4000 Stunden. „Ohne ehrenamtliche Helfer wäre das nicht zu realisieren gewesen“, sagt er. Szenen aus dem früheren Clubbetrieb werden gezeigt. Und wechseln sich mit Interviewszenen der Betreiber vor den heruntergekommen Kulissen der ehemaligen Clubs ab. „Früher war ein Clubbetreiber einfach ein Wirt, heute sind wir angesehene Leute in der Stadt“, sagt Peter Reinhardt, 62, ehemaliger Betreiber der Röhre, die Stuttgart 21 weichen musste „Soll ich Hartz IVler werden?“ Wird er nicht. Reinhardt steht im Gegensatz zu weniger erfahrenen Clubmachern nicht vor dem finanziellen Nichts. Andere haben Zukunftsängste. Aber alle empfinden sie für ihre „Babys“, wie Reinhardt seine Röhre nennt, Liebe.

Das Problem

Das finanzielle Fiasko einiger Clubbetreiber ist darauf zurückzuführen, dass viele Clubs prompt über Monat, wie das Rocker 33, oder sogar über Nacht, wie das Kimtimjim, die Pforten schließen mussten. In letzterem Fall aus Brandschutzgründen. „Das Problem sind die Bookings“, sagt Pavlovic. Das heißt, die für Auftritte gebuchten Bands. Denn bloß, weil ein Club über Nacht schließt, bedeutet das nicht, dass damit die Verbindlichkeiten gegenüber den Vertragspartnern enden. Bands oder DJs werden oft ein Jahr im Voraus gebucht und müssen entschädigt oder die Auftritte verlegt werden.

Die Stadt

Könnte die Stadt, wenn es um Existenzen geht, nicht etwas kulanter sein? Zumal Brandschutz ja die Ausnahme ist und die Interimsorte nach Verlassen der Betreiber oft monatelang leerstehen. „Ja“, sagt Susanne Eisenmann, Bürgermeisterin für Soziales und Kultur. Doch in Fällen wie der Röhre habe es einfach keinen adäquaten Ersatz gegeben. Als Auftrittsort fehlt sie. In der Innenstadt gibt es keine Bühne für 400 bis 600 Zuschauer. Das heißt, viele Bands machen einen Bogen um die Stadt. „Stuttgart ist eben nicht Berlin“, sagt sie. Durch die Wirtschaftsstärke im Kessel gibt es zwingend weniger Zwischennutzung. Fälle, wo Investoren ihren Mietern auf Zeit urplötzlich kündigen, betrachtet sie kritisch. „Da wäre alle Aufregung von Anfang an vermeidbar gewesen“, so Eisenmann.

Der Regisseur

Denis Pavlovic ist in Stuttgart aufgewachsen. Der 26-Jährige absolvierte im Sommer 2012 an der Merz-Akademie seinen Bachelor im Fach Film und Video. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit DJ-Auftritten und als Blocker oder Tontechniker bei Filmproduktionen. Er ist ein Kind der Graffiti-Szene, der sein erster Film „Paranoid Places“ gewidmet ist. Er trägt trendige, bunte Turnschuhe und versteht sich als Fürsprecher für mehr Raum für Kreative. „Vor den Dreharbeiten dachte ich, dass der Film viel stärker Partei für Subkultur ergreift“, sagt er. Doch die geriet immer weiter in den Hintergrund, an deren Stelle persönliche Schicksale traten. „Darum hat die Doku einen offenen Ausgang.“ Die Bilder sollen für sich sprechen, weitestgehend unkommentiert. „Ich will kein Stadthasser sein“, sagt Pavlovic. „Und mit meinem Werk nicht polarisieren, sondern vermitteln.“ Was in Anbetracht der Fakten nicht die schlechteste Idee ist.

Clubleben

Die Entwicklung der Clublandschaft und Feierkultur in der Innenstadt ist nicht einfach nachzuvollziehen. „Wir haben nur ein Dutzend Discotheken, die auch als solche konzessioniert sind“, sagt Martin Treutler, Leiter der Gewerbe- und Gaststättenbehörde. Der Keller-Klub am Rotebühlplatz ist beispielsweise eine Disco – das Kimtimjim war eine Gastwirtschaft mit Schankgenehmigung. Insgesamt schätzt er die Zahl der Lokalitäten in der Innenstadt, in denen bis in die Morgenstunden getanzt und gefeiert wird, auf etwa vierzig. Ein Clubsterben, wie „Follow the White Rabbit“ oder „Es ist Liebe“ behaupten, kann man also nicht beobachten. Der Einzelne mag das so empfinden, weil sein Lieblingsclub schließt, doch in der Tat hat sich in den letzten zehn Jahren die Anzahl von Discotheken oder Gaststätten mit Clubbetrieb etwa verdoppelt, hat Treutler beobachtet. Und mit Arealen wie der Türlenstraße, der Kulturniederlassung Südwest oder den Räumlichkeiten Im Werk 8 in Feuerbach entsteht neuer Raum für Subkultur. Es ist ein steter Wandel: Neue Generationen entdecken neue Orte.