Ärzte im Zwielicht? Die Nachtaufnahme zeigt ein Hinweisschild auf die Neurologische Klinik vor den SLK-Kliniken in Heilbronn. Foto: dpa

Skandalarzt Ernst J. S. musste in Heilbronn gehen. In den Niederlanden ist er wegen Körperverletzung angeklagt. Sein Fall rüttelt die deutschen Ärzte wach. 3000 junge Mediziner aus Baden-Württemberg in den letzten zehn Jahren ins Ausland abgewandert.

Stuttgart/Heilbronn - Es ist später Abend in der Notaufnahme des Stuttgarter Katharinenhospitals. Der Patient blutet aus einer Wunde im Mund. Der behandelnde Arzt setzt sich auf einen Stuhl und bittet den Patienten, seinen Mund zu öffnen: „Machst du auf!“, sagt er in gebrochenem Deutsch. Er ist einer von vielen ausländischen Medizinern, die an deutschen Krankenhäusern arbeiten. In diesem Fall ist das kein Problem. Der Patient hat ihn trotzdem verstanden. Der Arzt beginnt mit der Behandlung.

Oft sieht es aber anders aus, sagt Elke Simon von der Deutschen Stiftung Patientenschutz: „Die Zuwachsraten ausländischer Ärzte an deutschen Krankenhäusern liegen bei zehn Prozent im Jahr. Da sind Sprachprobleme programmiert.“ Schon heute gebe es Stationen mit 50 Prozent ausländischen Ärzten. Jeder zehnte erfülle nicht die Bedingungen, um an einer deutschen Klinik tätig zu sein. Für die Patienten werde das oft zum Problem, da es große Verständigungsprobleme zwischen Ärzten und Behandelten gebe.

Die Zahl der gemeldeten ausländischen Mediziner ist laut Bundesärztekammer vergangenes Jahr um 3039 auf 28.355 gestiegen. Bislang sorgten sie vor allem wegen als zu gering kritisierter Sprachkenntnisse für Schlagzeilen. An der Qualifikation der ausländischen Ärzte hat etwa der Verband der Krankenhausdirektoren generell nichts auszusetzen – doch wie kann man schwarze Schafe besser erkennen, fragen sich viele angesichts des aktuellen Falls des Skandalarztes von Heilbronn? Gegen den dort geschassten Doktor läuft einer der größten Medizinprozesse der Geschichte der Niederlande. 21 Straftaten legen die Ermittler dem 67-Jährigen zur Last – darunter Körperverletzung mit Todesfolge. Der Mann durfte hierzulande weitermachen, nachdem er sich 2006 aus dem Register in seiner Heimat streichen ließ.

Honorarärzte wollen sich nicht an den Pranger stellen lassen

Immer mehr Ärzte arbeiten nicht mehr jahrelang in einer Klinik oder in einer Praxis und haben dort entsprechend einen Ruf zu verlieren. Sie ziehen fast wie die mittelalterlichen Wanderärzte von Einsatzort zu Einsatzort. Doch die Honorarärzte wollen sich nicht an den Pranger stellen lassen. Gerade ihr Bundesverband mahnt immer wieder an, dass die ärztlichen Approbationen und Zeugnisse überprüfbar sein müssten. Die 17 zuständigen Landesärztekammern in Deutschland seien aber nicht in der Lage zu ausreichender Kommunikation.

„Wir haben schon oft erlebt, dass die Deutschkenntnisse der ausländischen Kollegen nicht ausreichend sind, um Patientengespräche zu führen“, sagt Oliver Erens von der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Deshalb habe die Kammer im letzten November gefordert, die Approbationsbehörde müsse ein höheres Sprachniveau bei den Bewerbern fordern – bisher ohne Erfolg.

In Stuttgart ist das anders, erklärt Ulrike Fischer, Sprecherin des Klinikums Stuttgart: „Die Überprüfung der Deutschkenntnisse der Ärzte aus dem Ausland erfolgt durch das Regierungspräsidium im Rahmen der Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung ärztlicher Tätigkeit.“ Auch in den Vorstellungsgesprächen würden die Deutschkenntnisse der Mediziner überprüft. Von den derzeit 1030 Ärzten, die im Klinikum Stuttgart beschäftigt sind, kommen 69 aus dem Ausland. „Sie kommen aus 26 Ländern mit dem Schwerpunkt Österreich, Griechenland, Ungarn und Italien“, sagt Fischer. Laut Landesarbeitsministerium lag der Anteil ausländischer Ärzte im Südwesten Anfang 2012 bei neun Prozent, der Bundesdurchschnitt zeitgleich bei elf Prozent – Tendenz: steigend.

Die Verständigungsschwierigkeiten zwischen deutschen Patienten und ausländischen Ärzten sind aber nur eines von vielen Problemen, die es derzeit in den Krankenhäusern der Bundesrepublik gibt. Nach einer Studie des medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen gab es im Jahr 2011 rund 4000 bestätigte Behandlungsfehler in Deutschland. Die Gründe dafür sind vielschichtig, sie reichen vom Qualitätsmanagement bis zum Ärztemangel, sagt Elke Simon.

Schwindende Zahl an besetzten Arztstellen

Nach Angaben der Stiftung Patientenschutz sei die Zahl der Arztstellen in den vergangenen 20 Jahren von 95.000 aus 140.000 gestiegen. Mit dem eigenen Ärztenachwuchs sei das nicht zu stemmen. Die Landesärztekammer weist schon seit Jahren auf die schwindende Zahl an besetzten Arztstellen hin. „In den letzten zehn Jahren haben wir allein in unserem Bundesland 3000 junge Ärzte ans Ausland verloren“, sagt Oliver Erens. Er vermutet, dass die Rahmenbedingungen der Arbeit in deutschen Krankenhäusern dafür verantwortlich waren. „Hier erwartet die Ärzte viel Arbeit bei schlechter Bezahlung“, sagt er. „Im Ausland ist das anders. In Skandinavien werde man etwa gleich beim Einstellungsgespräch gefragt, ob man auch etwas für den Partner des Bewerbers tun könne.“

Wegen der fehlenden Bewerber seien Kliniken deshalb gezwungen, Ärzte einzustellen, die Agenturen und Zeitarbeitsfirmen ihnen anbieten. Dass sie dabei nicht immer genau hinsehen, wenn es um mögliche Lücken im Lebenslauf geht, zeigt der Heilbronner Fall. Dort hat die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen den Neurologen Ernst J. S. eingeleitet. Mit seiner niederländischen Zulassung habe er sich bei deutschen Behörden angemeldet und diese dann zurückgegeben. Während in den Niederlanden Ermittlungen wegen mehrfacher Körperverletzung aufgrund falscher Diagnosen gegen ihn liefen, arbeitete er in Deutschland in Krankenhäusern. „Inzwischen hat sich auch eine 33-Jährige aus dem Landkreis Heilbronn bei uns gemeldet, die nach einer Behandlung bei dem Arzt noch wochenlang über Schmerzen klagte“, sagt der Sprecher der Heilbronner Staatsanwaltschaft, Harald Lustig. „Wir werden sie vernehmen, und dann wird sich zeigen, ob sie einen Strafantrag stellt.“

Erst am Freitag hatten die Heilbronner SKL-Kliniken den Arzt entlassen, obwohl die Personalabteilung schon 2011 von den Ermittlungen in den Niederlanden wusste, wie der Geschäftsführer der SKL-Kliniken, Thomas Jendges, zugibt. Trotz dieses Wissens stellte sein Unternehmen den Arzt im vergangenen Jahr noch einmal als Honorararzt für eine begrenzte Zeit ein. Die Ärzteagentur Doctari aus Berlin vermittelte ihn diesmal: „Es tut uns leid, was passiert ist. Wir wussten nichts von seiner Vergangenheit“, verteidigt sich Firmeninhaber Christoph Siegmann. „Das Heilbronner Klinikum hat uns nicht einmal mitgeteilt, dass der Arzt in den Niederlanden in Strafverfahren verwickelt ist.“ Nachfragen unserer Zeitung beim Klinikbetreiber blieben erfolglos.

„Das Krankenhaus hätte seinen Namen nur googeln müssen, und dann hätten sie das große Elend gesehen“

Auch Hollands Gesundheitsministerin Edith Schippers wirft der Klinik Nachlässigkeit vor: „Das Krankenhaus hätte seinen Namen nur googeln müssen, und dann hätten sie das große Elend gesehen“, sagt sie. „Wenn ein renommierter Arzt als Assistent arbeiten will, dann würde ich denken, dass das stinkt.“ Die SKL-Kliniken sehen keinen Fehler bei sich. In einer Pressemitteilung heißt es, ein Mitarbeiter der Kliniken habe sehr wohl im Internet nach dem Arzt gesucht, habe aber keine Ergebnisse gefunden.

Ein Unding, meint Elke Simon von der Stiftung Patientenschutz: „Es kann nicht sein, dass ein Mitarbeiter eine Google-Recherche macht, wenn er etwas mitbekommen hat. Eine Klinik muss vor der Einstellung des Arztes prüfen, ob alles in Ordnung ist.“ Allerdings sei das schwer, da ein Arzt schon mit einem Umzug von Nord- nach Süddeutschland seine Spuren verwischen könne, solange man ihm strafrechtlich keine Vergehen nachweisen könne. Das stimmt nicht, sagt Oliver Erens von der Landesärztekammer: „Wenn ein Arzt sich in einer Ärztekammer abmeldet, schickt sie seine Unterlagen dorthin weiter, wo er künftig praktiziert.“ Problematisch sei es nur, wenn sich der Mediziner gar nicht bei der Kammer anmeldet, wie im Heilbronner Fall.

Forderung nach verbesserten Zulassungsvoraussetzungen für Medizinstudenten

Josef Roth vom Deutschen Patientenschutzbund in Baden-Württemberg fordert von der Bundesregierung deshalb eine Liste mit schwarzen Schafen: „Es darf nicht sein, dass solche Leute an deutschen Kliniken arbeiten dürfen.“ CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn geht einen Schritt weiter und fordert ein europäisches Ärzteregister. So könnte verhindert werden, dass ein Arzt in einem Land praktiziert, wenn er woanders seine Behandlungserlaubnis verloren hat. Noch ist es aber nicht möglich, die deutschen Behörden vorher zu informieren, sagt Ministerin Schippers in Den Haag. Grund seien die strengen Datenschutzbestimmungen in Deutschland und die Zuständigkeit der Bundesländer.

Elke Simon nimmt die Politiker deshalb in die Pflicht: „Bund und Länder müssen sich fragen, was sie verbessern können, und zu einer Einigung kommen“, sagt sie. „Doch auch die Träger dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen und müssen ihre Einstellungsverfahren und ihr Qualitätsmanagement überdenken.“ Zudem müssten sich die Zulassungsvoraussetzungen für Medizinstudenten verbessern.

Auch wenn das nicht das Allheilmittel ist, wie Oliver Erens von der Ärztekammer sagt: „Das Problem ist nicht, dass zu wenig junge Menschen Medizin studieren, sondern dass sie dann auswandern.“ Der erste Schritt ist also die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in deutschen Krankenhäusern.