Tom Berninger (rechts) mit seinem Bruder Matt, dem Sänger der Band The National Foto: Verleih

Wie rächt man sich am besten an seinem berühmten großen Bruder? Man macht einen Film über ihn. In„Mistaken For Strangers“ geht Tom Berninger mit The National, der Band seines Bruders Matt, auf Tournee.

Wie rächt man sich am besten an seinem berühmten großen Bruder? Man macht einen Film über ihn. In„Mistaken For Strangers“ geht Tom Berninger mit The National, der Band seines Bruders Matt, auf Tournee.

Stuttgart - Während der eine mit seiner Band The National traurig-schöne Musik macht und um die Welt reist, wohnt der andere noch zu Hause bei Mama und Papa in Cincinnati, dreht obskure Amateur-Horrorfilme, lebt in den Tag hinein. „Matt als älteren Bruder zu haben ist echt zum Kotzen – weil er ein Rockstar ist und ich keiner bin“, sagt Tom Berninger über seinen Bruder . Und dieser wiederum lästert über Tom: „Ich glaube, der macht sich nicht viel aus der Band, in der ich bin. Der hört bloß Heavy Metal und hält Indierock für überheblichen Blödsinn.“ Matt neigt zu Wutausbrüchen, steht ständig unter Strom, Tom ist ein phlegmatischer Chaot, der nichts zu Ende bringt. Trotzdem lädt Matt seinen kleinen Bruder ein, als Roadie mit The National auf Tour zu gehen. Tom wittert die Chance, ein Stück vom Rock’n’Roll-Kuchen abzubekommen, und nimmt seine Kamera mit.

„Mistaken For Strangers“ ist ein Wunder von einem Film. Weil er alles falsch und doch alles richtig macht. Eine klassische Musikdokumentation über die US-Band The National, die atmosphärisch aufgeladene, empfindliche, tiefgründige Songkunst zelebriert, ist er jedenfalls nicht. Eher eine Versuchsanordnung, ein Film übers Filmemachen, ein Psychogramm zweier Brüder, die mehr gemeinsam haben, als sie glauben, eine öffentliche Therapiesitzung.

Zunächst ist der Ton ulkig, unbeschwert. Matt Berninger zappelt ungeduldig auf einer Klappliege in einem Park in Brooklyn herum, während Tom dabei scheitert, sich eine gute Frage auszudenken und nur irgendwelchen Quatsch stammelt: „Hast du dir überhaupt Gedanken gemacht, was das für ein Film werden soll? Du musst doch einen Plan haben“, schimpft Matt bald genervt. Diesen Plan verrät Tom aber nicht, stattdessen filmt er sich, wie er in einem Plattenladen damit prahlt, der Bruder des National-Sängers zu sein, nervt die Gitarristen mit peinlichen Fragen („Wer von euch kann schneller spielen?“) oder nötigt sie, einen seiner Trashfilme anzuschauen.

Tom Berninger nähert sich The National herrlich respektlos, spielt eine etwas unbedarfte Version Michael Moores. Nie weiß man, was vorgefunden, inszeniert, frei erfunden ist, wenn er ungeniert all die Demütigungen aneinanderreiht, die ihm auf der Tournee widerfahren. Er zeigt die Fassungslosigkeit seines Bruders, als beim Konzert in Los Angeles Werner Herzog und die Hälfte der Schauspieler der TV-Serie „Lost“ draußen vor der Halle warten müssen, weil Tom vergessen hat, die Gästeliste ausdrucken. Er filmt sich selbst mit Tränen in den Augen, als die Band Barack Obama trifft, er aber nicht dabei sein darf.

„Mistaken For Strangers“ protokolliert die Krisen, all die Dinge, die Tom auf der Tour verschlampt, dokumentiert Toms Frustration, als er nicht das wilde Rock’n’Roll-Leben vorfindet, das er erwartet hat. „Die anderen glauben alle, ich dürfte nur mitreisen, weil ich dein Bruder bin“, beschwert er sich einmal bei Matt. „Tom, du bist nur deshalb dabei, weil du mein Bruder bist“, antwortet der lakonisch.

Und Tom Berninger schaltet die Kamera auch nicht aus, als der Tourmanager ihn feuert und als er zu Hause von seiner Mutter getröstet werden muss. „Ich dachte, in dem Film soll es um die Band gehen, ich habe aber den Verdacht, in Wirklichkeit wird sich alles nur um dich und um Matt drehen“, sagt Gitarrist Bryce Dessner irgendwann in Toms Kamera. Er hat zwar recht. Aber genau deshalb ist „Mistaken For Strangers“ eine der besten, intimsten Musik-Dokus seit langem.

„Mistaken For Strangers“ läuft in Stuttgart im Kino Delphi.