Foto: EPA

Wenn Mütter auch nach Wochen nichts mit ihrem Baby anfangen können, brauchen sie Hilfe.

Stuttgart - Rebecca und Julian sind Anfang dreißig, glücklich verheiratet und erwarten ihr erstes Kind. Die Geburt verläuft reibungslos, das Baby ist gesund. In den folgenden Wochen aber wird Rebecca das Kind immer fremder und gleichgültiger. Als sie der Versuchung einer Tötungsabsicht kaum widerstehen kann, flieht sie verzweifelt.

Rebecca und Julian sind die Hauptfiguren in „Das Fremde in mir“. Der Film nähert sich dem Tabuthema der postpartalen Erkrankung einer jungen Mutter. Denn eigentlich gilt die Liebe der Mutter zu ihrem Kind als ungeschriebenes Gesetz.

Doch nicht jede Mutter reagiert auf Wäscheberge, Isolation und Babygeschrei gelassen. „Wer zwischen dem dritten und fünften Tag nach der Entbindung weinerlich wird, leidet vermutlich unter Babyblues“, sagt Ulrich Karck. Er werde am ehesten durch den enormen Hormonabfall nach der Geburt verursacht, so der Ärztliche Direktor der Frauenklinik im Krankenhaus Stuttgart-Bad Cannstatt. „Mit dem Ablösen und Entfernen der Plazenta stürzen die Hormone in wenigen Sekunden von 100 auf null.“

Solche „Heultage“, so Frauenarzt Karck, beträfen über die Hälfte aller Gebärenden. Behandlungsbedürftig seien sie aber nicht. Wenn eine Frau zur Mutter werde, nehme sie Abschied von ihrer früheren Identität, aber auch vom ihrem Kind im Bauch. Die Gefühle dürfen da zunächst gemischt sein.

Im Unterschied zum Babyblues zeigt sich eine postpartale Depression in einem nicht immer leicht zu beschreibenden Gefühl. „Ich halte das nicht mehr aus, mir fällt die Decke auf den Kopf, ich hasse dieses Kind, weil es mir so mies geht, seitdem es auf der Welt ist.“

Zehn bis 15 Prozent der Mütter leiden im ersten Lebensjahr des Kindes an einer Wochenbettdepression. „Sie brauchen ärztliche Hilfe“, sagt Patricia Trautmann-Villalba von der Klinik für Spezielle Psychiatrie, Sozialpsychotherapie im Stuttgarter Bürgerhospital.

Will sich das Mutterglück über Wochen und Monate nicht einstellen, nimmt die Fremdheit gegenüber dem Kind weiter zu, muss an eine Psychose gedacht werden. Angststörungen (mein Kind wird nicht satt, ich trau mich nicht, es zu wickeln, das Kind wird sterben) blockieren den Alltag. Zwangsstörungen (ertränken in der Badewanne, mit dem Mützchen ersticken, das Kind vom Balkon fallenlassen) zeigen eine schwere psychiatrische Erkrankung.

„Als Risikofaktoren gelten Komplikationen bei der Geburt und Frühgeborene“, sagt Trautmann-Villalba. Aber auch Persönlichkeitsmerkmale wie niedriger Selbstwert, das Gefühl, als Kind zu kurz gekommen zu sein, unbewusster Neid auf das Kind, eheliche Krisen und Gewalt oder eine individuell oder familiär bedingte Neigung für seelische Erkrankungen können eine Rolle spielen.

Da die Mütter sich selbst eher nicht offenbaren, muss die Umgebung Warnsignale erkennen: das permanente Vermeiden des Blickkontakts zum Kind, bizarre Vorstellungen zu Mutterschaft und Kindsein, strukturloser, von der Umgebung als chaotisch empfundener Alltag.

Oft sind es Hebammen, die bei den Nachsorgeterminen in den Familien merken, dass etwas nicht stimmt, manchmal auch Kinderärzte und Gynäkologen. „Wir haben am Klinikum Stuttgart auch eine Mutter-Kind-Einheit, in der wir Betroffene behandeln“, sagt Trautmann-Villalba. Zum therapeutischen Konzept gehören Krisenintervention, stimmungsaufhellende Medikamente, Verhaltens- und Sozialtherapien.

Psychiatrische Erkrankungen junger Mütter sind eine bisher völlig unterschätzte Ursache für Gefährdungen des Kindeswohls. Denn das Mutterglück kann schnell an den Abgrund geraten. Mehrmals im Jahr verhungern und verdursten in Deutschland Kinder, werden von ihren Müttern zu Tode geschüttelt oder direkt nach der Geburt in Plastiktüten entsorgt.

Die Mutter-Kind-Einheit des Stuttgarter Bürgerhospitals ist erreichbar unter 07 11 / 27 82 28 01 oder per E-Mail unter p.trautmann@klinikum-stuttgart.de