Die Verteidigerin hält dem des Mordes an seiner Mutter angeklagten Mann die Hand Foto: dpa

Ein 61-jähriger Mann, der wegen Mordes an seiner Mutter vor dem Landgericht Stuttgart steht, sagt nicht zum Tatvorwurf aus. Die 88-Jährige war in Esslingen mit einem Kissen erstickt worden.

Stuttgart/Esslingen - Das kam der Nachbarin komisch vor. Die Mahlzeit, von einer Essen-auf-Rädern-Firma geliefert, stand am Samstag, den 14. März dieses Jahres, immer noch unberührt vor der Haustür an der Königsallee in Esslingen-Weil. Die aufmerksame Frau klingelte bei der 88-Jährigen, die seit Jahren mit ihrem 61 Jahren alten Sohn dort wohnte. Als sich nichts rührte, holte sie den Schlüssel, der ihr anvertraut war, ging in die Wohnung und fand ihre betagte Nachbarin im Schafzimmer im Bett – tot. Auf der Bettkante saß der Sohn mit blutenden Wunden an den Handgelenken. „Ich habe meine Mutter getötet“, sagte der apathisch wirkende Mann zu ihr.

Seit Donnerstag steht der 61-jährige Diplomverwaltungswirt vor dem Landgericht Stuttgart. Die Staatsanwältin legt ihm heimtückischen Mord zur Last. Er soll seine Mutter, die er jahrelang gepflegt hatte, am späten Abend des 13. März mit einem Kissen erstickt haben. Zu Prozessbeginn lässt der unscheinbare, schüchterne und mit Konzentrationsproblemen kämpfende Angeklagte wissen, er werde sich vorerst nicht zum Tatvorwurf äußern. Zu Beginn des Prozesses deutet vieles daraufhin, dass es sich bei der Tat um einen gescheiterten Mitnahmesuizid handelt. „Bei der Vernehmung in der Klinik zwei Tage nach der Tat hat man gemerkt, dass es den Angeklagten sehr beschäftigt hat, dass sein Suizid gescheitert war“, sagt ein Kriminalhauptkommissar im Zeugenstand.

Angeklagter litt seit vielen Jahren unter Depressionen

Es ist eine tieftraurige Geschichte, mit der sich die 1a. Strafkammer zu befassen hat. Der in Esslingen geborene Angeklagte, der sich selbst als kontaktscheu bezeichnet, litt offenbar bereits in der Schule unter Depressionen. Trotzdem schaffte er das Abitur und absolvierte seine Ausbildung zum Verwaltungswirt. Als er dann aber keine Anstellung fand, versuchte er, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Es folgten etliche Aufenthalte in der Psychiatrie. Seine Befindlichkeit besserte sich, als er Arbeit in der Stuttgarter Stadtverwaltung fand. Doch wegen seiner Depressionen blieb es ihm versagt, Beamter auf Lebenszeit zu werden. Weitere Psychiatrieaufenthalte folgten. Er zog wieder Zuhause ein, als sein Vater krank wurde.

2007 starb der Vater. Der Angeklagte bezog zu dieser Zeit bereits eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Fortan kümmerte er sich um seine Mutter. Soziale Kontakte pflegte er kaum. „Ich hatte nie eine lange Freundschaft“, so der 61-Jährige. Er habe Angst, vor anderen Leuten zu sprechen. Eine Beziehung zu einer Frau hatte er nicht.

Vieles deutet auf einen gescheiterten Mitnahmesuizid hin

Die Ermittlungen der Kripo im Umfeld von Mutter und Sohn gestalteten sich schwierig, weil die beiden sehr zurückgezogen lebten. Die Nachbarin und die Putzfrau bezeichnen den Angeklagten jedoch als sehr fürsorglich. Hinweise auf Konflikte zwischen Mutter und Sohn gibt es keine.

Während der 61-Jährige über sein freudloses Leben erzählt, rutscht es ihm heraus: „Ich wollte mir mit meiner Mutter das Leben nehmen.“ Zu einem Sanitäter, der früh am Tatort war, soll er gesagt haben, er und seine Mutter hätten gemeinsam aus dem Leben scheiden wollen. In der Wohnung fand man die Ausweise der beiden, ein Testament und einen Abschiedsbrief – fein säuberlich auf einem Schränkchen drapiert. Der Prozess wird am 15. September fortgesetzt.