Im Stuttgarter Fraunhofer IAO probieren die Forscher die neue Arbeitswelt auch selbst aus Fotos: Jörg Bakschas, Headroom Consult; Drees & Sommer Foto:  

18 Millionen Menschen arbeiten in Büros. Das Stuttgarter Fraunhofer IAO erforscht, wie sich ihre Motivation und Leistung lustvoll steigern lässt. Auch Firmen der Region nutzen die neuen Erkenntnisse für sich.

Stuttgart - Die Büroräume im Stuttgarter Fraunhofer IAO fühlen sich besser an als manches Wellnesshotel in Oberbayern. Lichtdurchflutet und luftig sind sie, transparent, leise. Den Räumen fehlt der Flur und damit das Gedränge; der Blick ist frei auf riesige Sessel, Stelen, über die sanft das Wasser rinnt, die Kaffeeecke. Um einige Schreibtische ziehen sich raupenartig Pappspiralen, in Höhe und Länge verstellbar. Erlaubt ist, was Spaß macht: Wer hier arbeitet, ist Forscher und Versuchsobjekt in einem.

Stefan Rief ist einer von ihnen. Wie viele am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), wie es exakt heißt, erforscht der Teamleiter die Zukunft der Arbeit. „Es geht nicht um eine schönere neue Arbeitswelt, weil wir Menschen verwöhnen wollen. Es geht um Leistungssteigerung und Motivation“, sagt Rief gut gelaunt. „Nur so bleiben wir in Deutschland kreativ und konkurrenzfähig.“

18 Millionen Menschen bundesweit machen das, was man landläufig Büro- oder Wissensarbeit nennt. Rief glaubt, dass die meisten von ihnen zufriedener und effizienter arbeiten könnten – wenn man ihnen nur besser gestaltete Büros gäbe. Arbeitsplätze, die sich den individuellen Bedürfnissen anpassen. Höhenverstellbare Schreibtische zum Beispiel oder flexiblen Schallschutz. Aber vor allem die Chance, für jede Arbeitsweise die beste Umgebung zu finden: das Einzelbüro für konzentriertes Arbeiten; flexible Schreibtisch-Gruppen für gemeinsame Projekte; kuschelige Sitzecken für Konferenzen; die Kaffeeinsel für das Ideen-Spinnen. All das probieren die Forscher selbst an sich aus und befragen bis zu 1600 Büroarbeiter nach ihren Erfahrungen.

Ein zufriedener Mitarbeiter ist motivierter und leistungsfähiger

Laut der jüngsten Langzeitstudie arbeitet jeder Fünfte ohne fest zugewiesenen Platz. Wurde das individuelle Bedürfnis der Mitarbeiter, flexibel oder fest zu arbeiten berücksichtigt, nahm die Leistung zu. „Wer auf flexible Konzepte umstellt, sollte dies sehr konsequent und unter Einbindung der Mitarbeiter tun“, heißt es. Der Einfluss der Bürogestaltung ist eindeutig: Ein zufriedener Mitarbeiter ist motivierter und leistungsfähiger. Doch viel Potenzial bliebe ungenutzt. Nur 20 Prozent der Befragten waren mit ihrer Büroumgebung „sehr zufrieden“. Rund 40 Prozent gaben an, dass sie sich zumindest teils eine völlig andere Büroumgebung wünschten.

Natürlich spiele die Selbsteinschätzung eine große Rolle, räumt Rief ein. Dennoch lasse sich die Effizienz teils exakt messen – mit verblüffenden Ergebnissen: Bei einer weiteren Studie mussten Mitarbeiter aus zwei Dokumenten ein drittes erstellen. Nutzten sie dabei drei Bildschirme, die nebeneinander standen, anstatt nur einen, stieg die Produktivität um ein Drittel. Die Testpersonen machten weniger Fehler und waren schneller fertig. „Ein größerer Bildschirm hilft jedem“, sagt Rief. „Das ist simpel, aber effektiv.“

Das verstehen auch immer mehr Südwest-Firmen – sie versuchen, ihren Mitarbeitern bessere Arbeitsbedingungen zu bieten. Wissen Personalchefs nicht weiter, fragen sie schon einmal bei den Forschern nach. „Wir haben viele Bewerber, aber wenn sie das Büro gesehen haben, kommen sie nicht wieder. Wie schaffe ich bessere Arbeitsbedingungen?“, hieß es einmal. Der Fachkräftemangel spielt inzwischen auch bei der Bürogestaltung eine Rolle. Mit einer angenehmen Arbeitsumgebung lassen sich Mitarbeiter halten.Doch das ist nur ein Grund. Die Büroarbeit wandelt sich so rasant wie nie zuvor. Immer mehr Abläufe werden automatisiert und von Computern übernommen. Die Arbeit wird kreativer, viel häufiger als früher müssen Mitarbeiter Aufgaben bewältigen, für die es noch keine Lösung gibt. Das hat man auch beim Ludwigsburger Automobilzulieferer Mann & Hummel erkannt. „Wir müssen vernetzt und projektbezogen arbeiten können, das ist die Arbeitsweise der Zukunft“, sagt Pressesprecher Harald Kettenbach. „Dafür müssen wir die Möglichkeiten schaffen.“

Mitarbeiter teilen sich einen Schreibtisch

Schon in den vergangenen Jahren hat das Unternehmen die Bürogebäude modernisiert. Flexible Gruppenarbeitsplätze mit beweglichen Schallschutzwänden wurden eingeführt, das Arbeiten über Abteilungen hinweg gefördert. Zurzeit lässt man in Ludwigsburg einen neuen Stammsitz bauen, der die neue Arbeitswelt in Stein, Plüsch und Glas gießt. Der Schallschutz wird raffinierter, WLAN ist bald überall präsent, damit Besprechungen von jedem Platz aus möglich sind, Mitarbeiter sollen sich an fest installierten Großbildschirmen mit ihren Laptops andocken können. „Die Digitalisierung der Wirtschaft muss sich auch in der Büroeinrichtung wiederfinden“, sagt Kettenbach.

Manchmal muss man nicht viel investieren, hat man bei Drees & Sommer in Stuttgart erkannt. Das Beratungsunternehmen modernisierte vor zwei Jahren seine Räume. Seitdem gibt es mehr offene Arbeitsplätze, halbkreisförmige Sitzgruppen und eine bessere Akustik. Die Mitarbeiter wählen je nach Projekt ihren Platz. Die Wege wurden kürzer, der Austausch intensiver und die Hierarchien flacher, versichert eine Mitarbeiterin. Allerdings wurden die Beschäftigten vor der Neugestaltung befragt – auch darüber, ob sie sich vorstellen könnten, den Arbeitsplatz zu teilen. Denn das war Teil des Plans. Auf diese Weise arbeitet rund ein Drittel Mitarbeiter mehr auf derselben Fläche als zuvor.

Geschichten wie diese erfreuen Stefan Rief. Das Thema Schreibtisch-Teilen sieht er positiv – wenn gleichzeitig die Qualität des Arbeitsplatzes erhöht werde. „Gerade für Mitarbeiter, die nur zwei, drei Tage die Woche im Büro sind, ist die Arbeitsumgebung enorm wichtig. Und solche Mitarbeiter wird es immer häufiger geben. Sie sind durch mobile Arbeiten etwas gestresst und müssen einen Platz vorfinden, der sie stimuliert.“

Und was hat der Forscher im selbst bestimmten Büro der Zukunft selbst über seine Arbeitsweise gelernt? Er möge helle und offene Bereiche, sagt Rief. Am Abend sei es gut, wenn er Blickkontakt zu anderen Kollegen habe, das stärke das Zugehörigkeitsgefühl. Und manchmal könne er doch nicht ganz aus seiner Haut, zum Beispiel was die Ruhekapsel betrifft. Sie steht mitten im Raum, Vorhänge verbergen eine komfortable Liege, das Licht darüber lässt sich variieren, sanfte Musik spielt. Auch ein Kurzschlaf hebt die Produktivität, der „Powernap“ ist wissenschaftlich belegt. Rief nutzt die Kapsel dennoch nicht. „Der Schlaf auf der Arbeit gehört nicht zu unserer Kultur. Da bin ich vielleicht unglaublich deutsch.“