Der Mindestlohn stellt für viele Vereine eine hohe Hürde dar – für manche ein unüberwindliches Hindernis Foto: Pressefoto Baumann

Sportvereine schwimmen normalerweise nicht im Geld, und die Ressourcen an Ehrenamtlichen sind knapp. Das Gesetz zum Mindestlohn strapaziert die Geduld der kleineren Clubs. Sie fordern Nachbesserungen und Ausnahmeregelungen. Auch Bundesligisten sind betroffen.

Stuttgart - Jedes Mal wenn Karsten Ewald das Wort Mindestlohn hört, steigt unmerklich sein Blutdruck. Der Geschäftsführer des MTV Stuttgart beklagt: „Dieses Gesetz ist ein bürokratisches Monster.“

Seit dem 1. Januar 2015 sind Arbeitgeber in Deutschland per Gesetz verpflichtet, ihren Arbeitnehmern mindestens 8,50 Euro pro Stunde zu bezahlen. Was gesamtgesellschaftlich zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen soll, hat auf die Sportvereine der Region teils weitreichende Auswirkungen.

Hoher Mehraufwand durch Bürokratie

Beim MTV Stuttgart sind diese besonders auf der strukturellen Ebene zu finden. Vor einigen Jahren hatte Geschäftsführer Ewald beim MTV Pauschalverträge für Minijobber eingeführt und damit die bürokratischen Abläufe in der Verwaltung extrem vereinfacht. Diesen Verträgen macht das neue Gesetz im echten Wortsinn einen Strich durch die Rechnung. Ewald ist jetzt gezwungen, jede Arbeitsstunde eines Jugendtrainers, der bisher beispielsweise 400 Euro im Monat verdiente, einzeln zu erfassen. „Bei unseren knapp 70 Minijobbern ein immenser Mehraufwand in der Buchführung“, sagt Ewald.

Besonders ärgerlich für den MTV Stuttgart, da sich an den finanziellen Ausgaben für die Minijobber nichts ändern wird: „Heruntergerechnet auf den Stundenlohn, verdienen bei uns eh bereits alle mehr als die geforderten 8,50 Euro.“ Unter dem Strich bleibt für den Verein die Aussicht auf deutlich gestiegene Verwaltungskosten. Angesichts dessen sieht Ewald beim Gesetzgeber dringenden Anpassungsbedarf.

Funktionäre fordern Ausnahmeregelung

Roland Medinger gehört ebenfalls zu den Kritikern des zusätzlichen Bürokratieaufwands. Der Geschäftsführer des VfL Sindelfingen springt seinem Kollegen zur Seite: „Das erschwert wieder einmal die Arbeit von Sportvereinen.“ Medinger fordert, dass man den semiprofessionellen Sport generell aus der Mindestlohnregelung herausnehmen sollte. „In diesem Bereich wird der Sport doch mehr als Hobby gesehen und ist mit einer lohnabhängigen Arbeit nicht zu vergleichen“, sagt er.

Strukturelle Probleme im Großen – problematische Einzelfälle im Kleinen. Von einem solchen berichtet Walter Betsch. Der Vorstandsvorsitzende des Turnerbundes Cannstatt sieht sich bei der Suche nach einem neuen Platzwart mit den neuen Richtlinien konfrontiert: „Natürlich wollen wir unseren Mitarbeiter ordentlich bezahlen. Aber durch die neue Regelung bewegen wir uns bei weitem nicht mehr im selben finanziellen Rahmen wie früher.“

Eine gute Nachricht gibt es für die Sportvereine: Weiterhin sind das Ehrenamt und die Übungsleiterpauschale vor dem Mindestlohn geschützt. Doch bis zu welchem Grad der Professionalisierung kann eine Tätigkeit in einem Verein noch als ehrenamtlich bezeichnet werden? Welche Sportler sollten für ihre Leistung eine adäquate finanzielle Entschädigung erwarten und welche nicht? Auf diese und weitere Fragen gibt es noch keine genaue Antwort.

Das Problem haben alle Sportarten

Thomas Müller vom Württembergischen Landessportbund (WLSB) bestätigt, dass die Anfragen von Vereinen zur rechtskonformen Umsetzung des Mindestlohns in letzter Zeit deutlich zugenommen haben. Müller stellt außerdem die wichtige Frage: „Was zählt bei einem bezahlten Sportler zur Arbeitszeit?“ Die Antwort des Bundes auf dementsprechende Anfragen steht noch aus. „Wir brauchen da eine klare Berechnungsgrundlage und eine klare Definition“, meint Müller. Bislang gäbe es dahingehend zu viel Interpretationsspielraum.

Die Problemzone beginnt zum Beispiel dort, wo Vertragsspieler für ihren Club im Monat eine Menge Zeit investieren, aber nur 250 Euro verdienen. Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV) erläutert: „Nach dem neuen Gesetz dürften die Spieler für 250 Euro monatlich nur 29 Stunden arbeiten.“ Schon angesichts regelmäßiger Spiele am Wochenende und mehreren Trainingseinheiten in der Woche eine illusorische Vorstellung. Bei der VdV, die ihren Fußballern sogar rät, sämtliche geleistete Stunden aufzuschreiben, rechnet man auch Besprechungen, Anfahrten und Pressetermine zur Arbeitszeit hinzu. Wie mit wochenlangen Trainingslagern verfahren wird, ist bislang ebenfalls nicht geklärt.

Arbeitsgruppe will sich dem Thema annehmen

Die finanzielle Umsetzung dieser Vorgaben sei schwierig, heißt es bei den Stuttgarter Kickers. Beim Traditionsverein aus Degerloch betrifft die Neuregelung vor allem die Oberliga-Mannschaft und die U-19-Junioren. Die Blauen arbeiten deshalb eng mit dem Württembergischen Fußballverband zusammen. In Kürze soll eine Arbeitsgruppe im Deutschen Fußball-Bund gebildet werden, die sich explizit mit dem Problem auseinandersetzen wird.

Der Club versucht in Absprache mit den Verbänden eine Lösung zu finden. Eine leicht umsetzbare wäre, keinen Nachwuchs-Spieler mehr mit einem Vertragsamateur-Vertrag auszustatten. Damit würden sich die Kickers ins eigene Fleisch schneiden: Talente könnten sich ablösefrei anderen Clubs anschließen. Zudem wären die Spieler nicht mehr adäquat sportversichert. Dieser Weg kommt für die Blauen nicht infrage.

Das Problem ist sportartenübergreifend. So mussten die Volleyballer des TV Rottenburg zum Jahreswechsel ein Viertel der Verträge ihres Bundesliga-Kaders den Richtlinien anpassen. Betroffen sind vor allem die jungen Spieler im Team. Geschäftsführer Daniel Mey ist bedient: „Das Gesetz trifft uns mit voller Härte.“ Der Mindestlohn blockiert laut Mey die Entwicklung von Nachwuchsspielern: „Da geht es um deutsche Talente, denen wir neben ihrem Studium durch professionelles Training und regelmäßige Spielanteile eine gute Perspektive bieten wollen.“

Sollte das Gesetz in der jetzigen Form bestehen bleiben, wäre der finanzielle Rahmen für die Bezahlung solcher Talente in den nächsten Jahren sehr eingeschränkt. Ein Problem, das Auswirkungen auf den gesamten deutschen Volleyball hätte. „Wo sollen die Nationalspieler denn herkommen?“, fragt Mey, der ebenfalls vom Gesetzgeber entsprechende Nachbesserungen fordert.

Sogar der VfB Stuttgart ist betroffen

Auch den VfB Stuttgart betrifft die neue Regelung. Beim Fußball-Bundesligisten wird man deshalb in Zukunft die Praktikumsplätze nur noch mit Pflichtpraktikanten besetzen. Als solche zählen Schüler und eingeschriebene Studenten, die vom Mindestlohn befreit sind.

Trotz der Kritik am neuen Gesetz haben die Clubs aktuell keine andere Wahl, als die Vorgaben vollständig umzusetzen. Sollten sie sich nicht an die Regelung halten, droht neben hohen Geldbußen seitens des Bundes außerdem eine weitere Gefahr. So ist es laut Thomas Müller vom Württembergischen Landessportbund durchaus vorstellbar, dass sich ein wechselwilliger Spieler mit Verweis auf den nicht bezahlten Mindestlohn aus seinem Vertrag klagen könnte: „Wenn sich zwei verkrachen, ist es im Verein wie im echten Leben – dann sind plötzlich viele Mittel recht.“