In Ländern wie Indien sind Frauen oft die besseren Haushälter – sie verwalten Gelder effizient Foto: Oikocredit

Mit Kleinstkrediten Menschen in Entwicklungsländern zu einem besseren Leben verhelfen: Das ist die Idee der internationalen Kreditgenossenschaft Oikocredit. Sie gefällt immer mehr Anlegern in Deutschland.

Stuttgart - Die sanitären Verhältnisse in Indien sind „katastrophal“, sagt Christina Alff. „Fast die Hälfte aller Inder hat keinen Zugang zu Toiletten.“ Die Bildungsreferentin der Kreditgenossenschaft Oikocredit hat unlängst auf einer Indienreise mit vielen Frauen gesprochen. Sie betreffen die sanitären Missstände auf dem dicht besiedelten Subkontinent besonders stark. Um unbeobachtet ihre Notdurft zu verrichten, gehen Frauen raus aufs Feld – bevorzugt nachts. Da lauern Schlangen und halbwilde Hunde, berichtet Alff. Und „sie riskieren angemacht oder vergewaltigt zu werden“. Frauen haben ihr erzählt, „dass sie tagsüber möglichst nichts essen und trinken, weil sie Angst haben zu müssen“.

Die internationale Genossenschaft Oikocredit ist ein Pionier der ethischen Geldanlage. Seit 40 Jahren sammelt die Organisation, die einst auf Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen gegründet wurde, Gelder von Anlegern ein und reicht diese als Kredite an Mikrofinanzpartner in Entwicklungs- und Schwellenländern weiter. Die Partner wiederum vergeben Kleinstkredite – sogenannte Mikrokredite – an arme Menschen, meistens Frauen, denen sonst der Zugang zu Krediten verschlossen ist.

Kirchliche Institutionen sind auch heute noch wichtige Kapitalgeber. Die meisten Anleger sind jedoch Privatpersonen. Ihre Einlage – mindestens 200 Euro, nach oben ist keine Begrenzung – werden in der Regel mit zwei Prozent verzinst. Dabei erwerben sie nicht direkt Genossenschaftsanteile von Oikocredit, sondern werden Mitglied in einem der Förderkreise, die dann Genossenschaftsanteile erwerben.

In Indien ist Oikocredit schon seit 1978 aktiv und hat dort weltweit die meisten Kredite an Partnerorganisationen vergeben. Auf dem Subkontinent liegt ein Mikrokredit umgerechnet zwischen 50 und 800 Euro. Das reicht auch dort nicht aus, um ein Badezimmer zu bauen. Oftmals schließen sich indische Frauen freiwillig zusammen und sparen gemeinsam. Aus dem Gemeinschaftstopf werden dann an die Mitglieder der Gruppe Kredite vergeben. Einen staatlichen Zuschuss für den Bau sanitärer Anlagen gibt es auch. Indiens Regierung will die Infrastruktur verbessern. Bis 2019 sollen alle Menschen in Indien – auch in den Dörfern und den Slums der Großstädte – Zugang zu sanitären Einrichtungen und Trinkwasser haben.

Ein Mikrofinanzpartner in Indien ist Guardian, berichtet Alff. Guardian sei die erste Organisation gewesen, „die mit Toilettenkrediten angefangen hat“, so Alff. Ein Selbstläufer war das Angebot nicht. Am Anfang stand viel Aufklärungsarbeit – warum es gut ist, Trinkwasser zu haben und Toiletten zu benutzen. Der soziale Fokus ist wichtig für Oikocredit. „Es geht nicht um Geldvermehrung“, betont Alff. „Unser Ansatz ist es, Ungerechtigkeiten abzumildern und bessere Lebensbedingungen zu schaffen.“

Mit einer Anlage bei der Genossenschaft verbinden Anleger die Hoffnung, dass mit ihrem Kapital etwas Sinnvolles passiert. Die Gelder fließen in Kleinkredite, damit Frauen beispielsweise eine Nähmaschine kaufen können, um als Schneiderin arbeiten zu können. Oder damit Bauern Saatgut und Düngemittel kaufen können. Die Kredite können auch zum Bau von Schulgebäuden verwendet werden oder zur Ausrüstung für ein Krankenhaus.

Weltweit stieg im vergangenen Jahr die Zahl der Mitglieder, die Geld bei Oikocredit investiert haben, um 1000 auf über 53 000. Davon kamen 22 500 aus Deutschland – dem Land mit den meisten Anlegern. Hierzulande haben die Mitglieder 350 Millionen Euro bei Oikocredit angelegt, 13 Prozent mehr als im Vorjahr. „Wir haben hohe Zuwachsraten, aber insgesamt bewegen wir uns in einer Nische“, sagt Ulrike Pfab, Sprecherin von Oikocredit Baden-Württemberg.

Das Konzept der Mikrokredite, für das der Ökonom Muhammad Yunus 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten. Fälle von heillos überschuldeten Bauern und eine Selbstmordwelle in Indien machten Schlagzeilen. Clevere indische Geschäftsleute seien in die Dörfer gekommen und hätten Frauen Kredite angeboten, die gar nicht ermessen konnten, was es heißt, 30 Prozent Zinsen im Jahr zurückzuzahlen, sagt Alff. Die Skandale hätten dazu geführt, dass die indische Regierung den Mikrofinanzmarkt heute streng überwacht. So müssen sich etwa die Mitarbeiter der Mikrofinanzinstitute beim Staat registrieren lassen. „Die Spreu hat sich vom Weizen getrennt“.

Auch Oikocredit hat seither sehr strenge Kriterien an die Partnerorganisationen vor Ort angelegt. Beispielsweise dürfen deren Kreditsachbearbeiter keine Provision für die Vermittlung von Krediten erhalten. Auch müssen sie den Kreditnehmerinnen genau offenlegen, was an Kosten auf sie zukommt. Die Partnerorganisationen wiederum müssen beispielsweise aufzeigen, wie die Gehälter innerhalb ihrer Organisation verteilt sind, wie die Mitarbeiter geführt werden und ob die Kunden ein Beschwerderecht haben.

In dem Riesenland bewegt sich etwas. Begeistert zeigt Alff auf ein Foto: Ein Pärchen fährt auf einem Motorroller, sie sitzt vorn und lenkt. Das Bild mit einer Frau am Steuer hat Seltenheitswert, selbst in Tamil Nadu, einem der fortschrittlichsten Bundesstaaten Indiens, in dem das Foto entstand. Dazu passt die Meldung, dass Indiens Hauptstadt Neu-Delhi ihre erste Busfahrerin hat. Für Alff sind das ermutigende Signale: „Auf dem Subkontinent verändert sich etwas. In Indien ist Aufbruchstimmung zu spüren.“