„Man muss damit rechnen, dass jemand in eine Steckdose ein Kabel einsteckt“, meint die Richterin. Die Vermieterin ist anderer Ansicht. Foto: Archiv

Eine Vermieterin will einen alten Herrn aus seiner Wohnung klagen, vordergründig wegen Strom für ein paar Euro. Der Fall beschäftigt das Amtsgericht.

S-Ost - Vor jeder Autofahrt stehen für Heinz Müller stete Mühen. Der Rentner stöpselt in seiner Wohnung an der Haußmannstraße ein Stromkabel ein. Dann stapft er hinunter zu seiner Garage. Er kraucht durch das stets halb geöffnete Tor und stöpselt den Stecker am anderen Ende des Kabels ein, auf dass sein elektrischer Toröffner die Arbeit beginnt. Nachdem er seinen Wagen aus der Garage gefahren hat, wiederholt Müller die Prozedur in umgekehrter Reihenfolge.

Der Lohn der Mühe ist, dass ihm seine Vermieterin gekündigt hat, nicht die Garage, gleich die Garage samt der Wohnung, dies nicht einmal, gleich dreimal, zuletzt wegen angeblicher Brandgefahr, zuerst wegen angeblichen Stromdiebstahls. Gäbe es den, betrüge der Schaden ein paar Cent pro Monat. Der Fall wird trotzdem vor dem Amtsgericht verhandelt, weil die Vermieterin auf ihrer Kündigung beharrt, im Saal 305. In dem urteilt die Richterin Claudia Utz regelmäßig über Mietstreitigkeiten.

Nachbarn unterstützen den alten Herrn

Wie die Sympathien im Saal verteilt sind, ist unzweifelhaft. Nachbarn sind gekommen, um Müller zur Seite zu stehen. Sie halten für Schikane, was dem alten Herrn widerfährt. Die Richterin gibt vorab zur Kenntnis, sie könne nicht erkennen, dass Müller Unrechtmäßiges getan habe. Selbst wenn: Ein Elektriker sitzt im Zeugenstand. Er war gerufen worden, die Installationen zu prüfen. Der ganze Auftrag sei ihm „spanisch vorgekommen“, sagt er, was zu gewisser Belustigung führt. Die Vermieterin ist Spanierin und lebt in Spanien. Für die Verhandlung ist sie angereist. Weil die Angelegenheit ihn beschäftigte, hat der Elektriker überschlagen, wie viel Strom der Torantrieb verbraucht. Er kam auf umgerechnet zehn bis zwölf Euro – pro Jahr und unter der Voraussetzung, dass Müller sein Tor täglich zehnmal öffnet und schließt.

Müller selbst sagt, er fahre eigentlich nur noch am Wochenende – in die Sauna. Schließlich hat er den 80. Geburtstag hinter sich. Ungeachtet dessen: Womöglich zersägt er in seiner Garage Holz, poliert das Auto, teilt Stein oder Metall, alles mit elektrischem Gerät. So gibt es mit dem gebotenen Ernst der Anwalt der Vermieterin zu Bedenken, Jörg Staudenmayer von der Kanzlei Carroll Burdick. Die betreibt Niederlassungen in Peking, Hongkong, Los Angeles, San Francisco und Böblingen. In aller Gewissenhaftigkeit merkt Staudenmayer an, dass im Gehäuse des Garagentorantriebs während des Öffnens und Schließens noch ein Lämpchen brennt.

Das wäre inzwischen zwar gleichgültig, weil Müller den Strom aus seiner Wohnung abzapft. Aber der Streit begann so: Vor zehn Jahren – mehr oder minder – ließ Müller den elektrischen Antrieb montieren. Der Strom stammte aus der Steckdose in seiner Garage. Die Leitung ist verbunden mit einem Zähler für den gemeinsamen Stromverbrauch im Haus. Müllers Mitmieter zahlten also das Garagentor mit. Das hat sie zwar nie gestört, ebenso wenig wie den früheren Hauseigentümer, den neuen aber sehr wohl.

Die Vermieterin kappte die Stromleitung

Der Elektriker gibt zu Protokoll, dass die Leitungen so alt seien wie das Haus, Müller mithin nirgendwo Strom abgezweigt habe. Er lag schon immer. Utz sagt, „man muss damit rechnen, dass jemand in eine Steckdose ein Kabel einsteckt“ – und sei es eines für ein elektrisches Garagentor. Die Vermieterin sah es anders. Sie ließ die Leitung kappen. Der alte Herr legte das Kabel, mit dem er sich vor jeder Fahrt müht. Nachdem ihm erklärt wurde, das Provisorium sei eine Gefahr für das Haus und die Allgemeinheit, legte er eines, das für den Gebrauch im Freien zugelassen ist, samt Schutzstecker.

Ulrich-Michael Weiss kündigt eine einstweilige Verfügung gegen die Vermieterin an. Eine Garage mit einer Steckdose und Beleuchtung sei gefälligst mit Strom zu versorgen. Weiss vertritt Müller für den Mieterverein. Sein Mandant habe lang und oft genug um eine gütliche Lösung gebeten. Niemand widerspricht, schon gar nicht die Richterin. Sie fragt Staudenmayer, ob er die Klage zurückzieht. Daran, wie sie zu urteilen gedenkt, lässt sie keinen Zweifel: für Müller. Staudenmayer kündigt einen neuen Schriftsatz an. Wann das Urteil fällt, ist deswegen offen.

Draußen, vor dem Saal 305, erklärt Weiss, was er für den eigentlichen Grund der Kündigungen samt des Gerichtsverfahrens hält: Müller lebt seit bald 40 Jahren in jener Wohnung. Würde sie aktuell neu vermietet, „wären die Mieteinnahmen um 50 bis 100 Prozent höher“, sagt der Rechtsanwalt, „aber das ist natürlich nur reine Spekulation“.

(Der Name Heinz Müller ist geändert)