Die Häuser an der Bottroper Straße werden saniert. Foto: Achim Zweygarth

Die Sanierung ist dringend nötig. Und doch haben die Anwohner der Bottroper Straße Angst: Nach der Modernisierung soll die Miete stark steigen.

Bad Cannstatt - Vor 30 Jahren ist Hakim Zadran nach Deutschland gekommen. Seither haben seine Frau und er sechs Kinder bekommen, perfekt Deutsch gelernt und Freunde gefunden – und waren keinen einzigen Tag lang auf staatliche Unterstützung angewiesen. Diese Unabhängigkeit ist Zadran wichtig, doch nun ha er Angst, sie zu verlieren. Nach der anstehenden Modernisierung des Hauses an der Bottroper Straße, in dem die Familie lebt, wird die Grundmiete von 475,35 auf 770,65 Euro steigen.

„Ich verstehe ja, dass nach einer Modernisierung die Miete steigt. Aber doch nicht um 62 Prozent“, sagt der Familienvater, der in einem Ludwigsburger Unternehmen als Einsteller arbeitet und eine Summe in dieser Höhe nicht einfach aus dem Ärmel schütteln kann. Seine Kinder sind zwischen neun und 22 Jahre alt. Alle leben noch zu Hause, der älteste Sohn studiert. Wohngeld zu beantragen, wie es die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) vorschlägt, kommt für Zadran nicht infrage. Es wäre gegen seinen Stolz und seine Überzeugung. Schon eher denkt er über einen Umzug nach – doch auch das ist nicht so einfach für eine achtköpfige Familie „Wir brauchen mindestens fünf Zimmer zu einem bezahlbaren Preis.“ Das sei in Stuttgart erstens schwer zu finden, zweitens sei auch ein Umzug dieser Größenordnung nicht gerade zum Schnäppchenpreis zu haben.

Mieter fühlen sich nicht ernst genommen

„Wir wissen natürlich, dass Mieterhöhungen eine Belastung darstellen“, sagt Stefanie Wachtarz, die bei der SWSG für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Dennoch lägen die Mieten für die betreffenden Gebäude auch nach der Mieterhöhung noch unter der ortsüblichen Vergleichsmiete für Stuttgarter Wohnungen mit gleicher Ausstattung, Lage und Größe. Auf die Mieter umgelegt würden nur die Investitionen in energiesparende Maßnahmen. Die Modernisierung von Bädern und Aufzugsanlagen würde sich nicht auf die Mieten auswirken.

13,4 Millionen Euro investiert die SWSG ihrerseits in die Modernisierung von 120 Wohnungen in den Gebäuden Bottroper Straße 65-69, 45-49 und 57-63: In drei Bauabschnitten sollen die Gebäudehüllen energetisch saniert, Dachdeckung und Fenster erneuert, Bäder und Aufzüge modernisiert und die Zugänge zu den Häusern barrierefrei gestaltet werden.

Das ist den Mietern angesichts der zu erwartenden Mieterhöhungen nicht genug: „Das meiste ist Verschleiß, den jeder Vermieter in gewissen Abständen beheben muss“, sagt Tuncay Yilmaz, der seit 15 Jahren an der Bottroper Straße zuhause ist. Würde seine Wohnung rundum erneuert, wäre er auch bereit, mehr Miete zu zahlen. „Ich habe den Eindruck, dass die Sanierung als Deckmantel benutzt wird, um die Miete zu erhöhen.“ Ebenso schwer wie die finanzielle Belastung wiege die Enttäuschung. Beim ersten Informationsabend habe er sich und seine Sorgen nicht ernst genommen gefühlt. „Ich möchte als Mensch und Kunde behandelt werden.“ Dazu würde für Yilmaz gehören, ein Haus nach dem anderen zu sanieren – und die Bewohner in Ausweichquartieren unterzubringen.

SWSG sucht nach individuellen Lösungen

Auch Ursula Falk plagen nicht nur finanzielle Sorgen: Die Rentnerin, die seit drei Jahrzehnten an der Bottroper Straße wohnt und ihre zwei Enkel aufzieht, möchte dort nicht weg: „Ich habe nette Nachbarn, die Kinder gehen hier zur Schule und haben ihre Freunde in der Nähe. Wir leben gerne hier.“ Vor der Modernisierung graut es ihr schon, bevor die Bauarbeiter angerückt sind, insbesondere vor der Erneuerung der Badezimmer: „Mindestens drei Wochen lang sollen wir in Containern duschen und zur Toilette gehen.“ Das sei für kleine Kinder und Senioren nicht nur eine Zumutung, sondern auch unhygienisch: „Man muss sich das vorstellen, allein hier im Haus Nummer 69 sind 24 Wohnungen.“

„Uns ist bewusst, dass jede Modernisierung mit Unannehmlichkeiten verbunden ist“, sagt Stefanie Wachtarz. Dennoch könne sie die Mieter beruhigen: „Ein Badcontainer wird durchschnittlich von zwei Mietparteien genutzt.“Die SWSG habe viele und gute Erfahrungen mit Sanierungen im bewohnten Zustand und bemühe sich, im Notfall auch individuelle Lösungen zu finden: „Sollte es für eine Mietpartei aus nachvollziehbaren Gründen nicht zumutbar sein, während der Badmodernisierung in der Wohnung zu bleiben, suchen wir gemeinsam nach einer Lösung wie zum Beispiel einer vorübergehenden Unterkunft.“ Generell sei der SWSG das persönliche Gespräch mit den Mietern ein Anliegen. „Seit dem ersten Informationsabend vor zwei Wochen führen wir Einzelgespräche, um auf individuelle Bedürfnisse der Mieter eingehen zu können.“ Während der Arbeiten, die im März beginnen sollen, stünden den Bewohnern dann auch Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung.