Der ehemalige Industrieboss Michael Rogowski beklagt, dass zu wenig in Straßen investiert wurde. Foto: dpa

Michael Rogowski war einer der mächtigsten deutschen Manager: Zum einen als Vorstandschef der Voith AG, zum anderen als Präsident des BDI. Nun meldet er sich zur aktuellen Politik.

Stuttgart - Herr Rogowski, nichts prägt die Politik derzeit so wie das Thema Flüchtlinge. Wie bewerten Sie als Unternehmer die Entwicklung?
Alle wissen um das Problem, aber keiner hat eine wirkliche Lösung. Es muss jedoch ein Weg gefunden werden. Denn der gigantische Strom an Zuwanderern nach Europa und Deutschland wird nicht so schnell abebben.
Was muss die Politik jetzt tun?
Die Gesellschaft ist in der Frage, wie man mit den Fremden umgehen soll, sehr gespalten. Zwar stellt sich die Mehrheit der Bevölkerung dieser Aufgabe, aber das hat etwas von der Diskussion um die Windkraft: Alle sind dafür, nur will niemand das Windrad vor seiner Haustür. Was wir dringend brauchen, ist eine Harmonisierung der europäischen Haltung. Denn dieses Problem kann ein Land alleine nicht lösen, da müssen sich die EU-Mitgliedstaaten endlich auf eine Linie einigen. Baden-Württemberg selbst muss schnellstens die Frage des Wohnraums lösen. Und in den Brennpunkten muss aktiv Kommunikation betrieben werden. Nur so schafft man Vertrauen bei den Bürgern.
Was halten Sie davon, die Flüchtlinge verstärkt auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen. Der baden-württembergische IHK-Chef Peter Kulitz sagt, das fördere die Integration und helfe, den Fachkräftemangel in den Unternehmen zu beheben.
Da ist bestimmt einiges möglich, wobei das natürlich davon abhängt, welche Qualifikation die Menschen mitbringen. Ich fürchte, dass viele Flüchtlinge nicht die beruflichen Voraussetzungen haben, die wir in den Unternehmen brauchen. Aus meiner Sicht ist es vor allem wichtig, dass besser als bisher zwischen politisch Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden wird.
Wenn es nach Ministerpräsident Kretschmann geht, ist das Land für alle Flüchtlinge offen. Er sagt, das Boot sei nie voll.
Das sagt sich so leicht dahin. Wenn der Ministerpräsident an diesem Punkt seine stets proklamierte Bürgerbeteiligung umsetzt, wird er von den Bürgern etwas anderes zu hören bekommen. Natürlich muss man den Flüchtlingen helfen. Man muss den Leuten dann aber auch sagen, was das bedeutet.
Wie meinen Sie das?
Die Kreise und Kommunen im Land stöhnen unter dem Zustrom, haben kaum noch Unterkünfte und warnen, dass die Stimmung schnell kippen könnte, wenn Haushaltsgeld nur noch für das Thema Flüchtlinge verwendet werden kann. Und ich fürchte, dass das Problem noch größer wird, weil weitere Flüchtlinge zu uns kommen. Insofern befinden wir uns erst am Anfang einer sehr schwierigen Zeit.
Das Thema Flüchtlinge überlagert viele andere Themen im Land . . .
. . . zum Beispiel Themen wie Infrastruktur und Bildungspolitik.
Wie schätzen Sie den Stand der Dinge aus Sicht eines Unternehmens wie Voith ein?
Wenn ich über die Autobahnen, aber auch über manche Landesstraße in Baden-Württemberg fahre, ist das eine mittelgroße Katastrophe. Viele unserer Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand. Das passt nicht zu einem Wirtschaftsstandort wie Baden-Württemberg. Die Investitionen in die Infrastruktur sind seit Jahren viel zu gering. Aber das ist so ähnlich wie mit dem Abbau von Bürokratie. Da verspricht die Politik auch seit Jahren, etwas zu tun, aber in Wahrheit wird es immer mehr, wie man an der Zahl der Gesetze und Verordnungen sieht.
Und die Bildungspolitik?
Bildung beginnt im frühkindlichen Bereich. Alle Experten sagen, die größtmögliche Lernkapazität haben junge Leute bis maximal zwölf Jahre. Darauf muss das Bildungssystem entsprechend ausgerichtet werden. Wenn das nicht geschieht, setzt sich der Trend fort, den wir an unseren Universitäten sehen, dass nämlich ein Drittel der Studenten das Studium abbricht. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage: Mit welchen Qualitäten kommen die Leute eigentlich aus den Schulen an die Universitäten? Ich wage die Behauptung, dass viele unserer Schulen den Standard nicht erfüllen. Wir müssen uns deshalb nicht darüber wundern, dass manche Universitäten die Studenten nach kurzer Zeit wieder aussortieren oder die jungen Leute das Studium selbst abbrechen.
Unternehmer Klaus Fischer hat in einem Interview mit unserer Zeitung die Forderung geäußert, man müsse Kinder bereits im Kindergarten stärker fördern, um Talente zu entdecken. Es dürfe, gerade auch in den Schulen, keine Gleichmacherei stattfinden.
Ich sehe das genauso. Dann müssen wir uns aber auch die Frage stellen, wie gut und qualitätsvoll die Ausbildung der Leute ist, die für die frühkindliche Bildung sorgen sollen. Und man muss sich fragen, ob es eine ausreichende Zahl an Institutionen gibt, in denen die Kinder betreut werden können. Daran fehlt es nämlich.
Fischer hat auch gesagt, der Numerus clausus an den Universitäten sei ein überholtes Verfahren. Wie sehen Sie das?
Ich habe eine Enkeltochter, die ihr Abitur mit 1,5 gemacht hat und nach meiner Einschätzung eine sehr hohe soziale Kompetenz aufweist. Wenn ich aber sehe, wie sie kämpfen muss, um einen Studienplatz für Medizin zu erhalten, ist das eine Katastrophe.
Kann die grün-rote Landesregierung diese Probleme beheben, oder setzen Sie auf eine Kurskorrektur nach der Landtagswahl im März 2016?
Ich hoffe sehr, dass die FDP im nächsten Landtag wieder vertreten sein wird und in einer Koalitionsregierung dafür sorgt, dass der Liberalismus in diesem Land nicht völlig untergeht. Derzeit erleben wir eine CDU, die immer weiter nach links wandert, wir haben eine SPD, deren Standort man nicht so richtig kennt, und wir haben die Grünen. Herr Kretschmann macht keinen schlechten Job, aber meine Traumvorstellung einer Regierung ist die Kombination Grün-Rot nicht.
Was würden Sie von der FDP erwarten?
Grundsätzlich gilt, dass der Liberalismus das Individuum in den Mittelpunkt seiner Politik stellt und der Staat erst eingreift, wenn der Einzelne nicht weiterkommt. Ich setze deshalb darauf, dass die FDP als Bürokratiebremse und als Sozialtourismusbremse auftritt. Zudem würden die Liberalen sicher dazu beitragen, die Bildungslandschaft möglichst pluralistisch zu gestalten.
Was heißt das? Weniger Gemeinschaftsschulen, dafür eine größere Wertschätzung für Gymnasien und Realschulen?
Genau. Die Bildungspolitik von Grün-Rot ist mir zu einseitig auf die Gemeinschaftsschule ausgerichtet. Die hilft sicher in Sachen Integration, aber das Bildungsniveau steigert sie sicherlich nicht. Die Gemeinschaftsschule ist mit Blick auf die Herausforderungen, die junge Leute jetzt und in Zukunft auf dem internationalen Arbeitsmarkt haben, meines Erachtens nicht das Gelbe vom Ei.