Szene aus „MCP“: Der Junge stellt Adolf Hitler dar, überfahren von einem Auto Foto: Screenshot

Filmstudenten genießen Narrenfreiheit. Im Schutz der Hochschule dürfen sie sich und ihr Medium ausprobieren, und das ist prinzipiell gut so. Nun sorgt ein Film für Diskussionen

Stuttgart - Filmstudenten genießen Narrenfreiheit. Im Schutz der Hochschule dürfen sie sich und ihr Medium ausprobieren, und das ist prinzipiell gut so – die Zwänge des Alltagsgeschäfts kommen früh genug. Die Werbefilmstudenten der Ludwigsburger Filmakademie gewinnen mit Witz und technischer Finesse Preise am laufenden Band.

Hier können Sie sich den Film anschauen.

Nun sorgt einer für Diskussionen. Tobias Haase zeigt in „MCP“ einen zeitgenössischen Mercedes in bäuerlicher Kulisse um das Jahr 1900, dessen futuristisches Bremssystem eine Kollision mit spielenden Mädchen verhindert, kurz darauf aber zulässt, dass ein Junge überfahren wird – das Kind Adolf Hitler.

Der Spot kursiert im Internet und ist für den First Steps Award nominiert, den größten deutschen Nachwuchspreis. Sponsor des Preises in der Kategorie Werbung ist Mercedes – so wurde das Unternehmen aufmerksam und hat die Filmemacher gebeten, durch Schrifteinblendungen kenntlich zu machen, dass es sich nicht um einen offiziellen Mercedes-Spot handelt.

Tatsächlich ist der visuell brillante Clip inhaltlich zumindest unreflektiert: Propagiert er Selbstjustiz? Dürfen spätere Verbrecher präventiv verurteilt werden, bevor sie ihre Taten begangen haben? Philip K. Dick hat diese Frage gründlich diskutiert in seiner berühmten Kurzgeschichte „Minority Report“, 2002 verfilmt von Steven Spielberg. Darf überhaupt eine Maschine über Menschen richten? Über Kinder gar? Und darf man die Kindheit des für Massenmorde und industrielle Menschenvernichtung verantwortlichen Diktators Adolf Hitler derart romantisieren?

Wie hoch man bei einer Studentenarbeit die moralische Latte legen sollte, darüber wird im Netz heftig diskutiert. Bei First Steps steht man zur Nominierung. „Ein Studium ist dazu da, Grenzen auszutesten und auch zu überschreiten, sonst kämen von den Hochschulen nur brave Nachmacher“, sagt Programmleiterin Andrea Hohnen. „Wir interessieren uns weniger dafür, ob jemand perfekt einen gegebenen Rahmen ausfüllt, und mehr dafür, ob jemand versucht, einen eigenen Ansatz zu finden.“

Die fünfköpfige Jury schreibt über „MCP“: „Als Zuschauer wird man förmlich dazu gezwungen, sich eine Meinung zu bilden. Darf ein fiktiver Spot eine real existierende Marke zum obersten Richter über Leben und Tod machen? (...) Noch nie hat die Jury so kontrovers diskutiert. (...) Trotz offizieller Distanzierung des Kunden (...) und mit Aussicht auf kritische Stimmen bleibt der Regisseur Tobias Haase seinen künstlerischen Idealen treu. Solche Ideen-Verfechter braucht die Kreativbranche.“

Am 16. September werden in Berlin die Preise vergeben – auch an „MCP“?

Hier können Sie sich den Film anschauen.