Der amerikanische Weihnacht-Klassiker „I wish you am merry christmas and a happy new year“ ist ein Ohrwurm-Evergreen. Foto: Imago//ckhard Stengel

Hörgewohnheiten und Musikgeschmack ändern sich unentwegt. Was eben noch hip war, ist bald schon wieder out. Die einzige Konstante im schnelllebigen Music Business scheinen eingängige Melodien zu sein, die sich im inneren Gehör festkleben. Die Rede ist von Ohrwürmern.

Kennen Sie dieses Phänomen auch? Sie hören einen Song und wie von Zauberhand geht diese Melodie nicht mehr aus Ihrem Kopf. Die Töne haben sich in Ihr inneres Gehör regelrecht eingebrannt und lassen sich nicht mehr resetten.

Wieso wird Musik zur nervigen Dauerschleife?

Es gibt Musik, die ist so genial gut, dass man sie immer und immer wieder hören möchte. Und dann gibt es noch jene „Tralala“, bei der man sich schon nach den ersten Tönen am liebsten die Ohren mir Oropax zustopfen will. Leider steht es nicht immer in unserer Macht – oder der unseres Gehirns –, welche Musik zur nervigen Dauerschleife wird.

Was eignet sich zum Ohrwurm-Medley?

Gemeinsam ist allen Ohrwurm-Medleys, das sie einen hohen Wiedererkennungswert sowie eine exzellente Mischung aus Vertrautheit und Überraschungseffekt besitzen. Welchem Genre sie entstammen – ob E(rnste)- oder U(nterhaltungs)-Musik – ist eigentlich ziemlich egal.

Wolfgang Amadeus Mozarts „Kleine Nachtmusik“ oder Ludwig van Beethovens berühmtes Anfangsmotiv aus der 5. Symphonie hat genauso exzellente Ohrwurm-Qualitäten wie Helenes Fischers „Atemlos in der Nacht“ oder Henry Mancinis „Pink-Panther-Soundtrack“.

Vor allem Popsongs und Schlager, bei den man das Tanzbein schwingen kann und die emotional eingängige und intellektuell seichte Lyrics haben, sind Ohrwurm-affin.

Ohrwurm-Hörbeispiele: Helene Fischer – Ludwig van Beethoven

Musikwissenschaftler haben sich intensiv mit diesem Phänomen auseinandergesetzt – und sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Die Wiederholung eines 3- oder 4-Takte-Motivs ist ideal für Ohrwürmer. Hierfür zwei allseits bekannte und sehr unterschiedliche Hörbeispiele:

Helene Fischer „Atemlos durch die Nacht“: Der Schlagersong beginnt mit einem kurzen 4-taktigen Intro, gefolgt vom ersten Vers. Der Auftakt besteht aus einer Achtelkette mit Sextsprüngen . . .

Ludwig van Beethoven, 5. Sinfonie, 1. Satz: Das berühmte Anfangsmotiv aus der „Schicksalssinfonie“ besteht aus drei Achtelnoten mit abschließendem Terzsprung (g–es). Es erklingt im Fortissimo mit Streichern und Klarinetten und wird anschließend auf drei Takte erweitert . . .

Wie schädlich sind Ohrwürmer?

Abgesehen vom psychologisch hohem Nerv-Potenzial sind bei musikalischen Ohrwürmern keine medizinisch bekannten gesundheitlichen Dauerschäden zu befürchten.

Woher hat der musikalische Ohrwurm seinen Namen?

So weit, so beruhigend. Doch wie kommt der musikalische Ohrwurm zu seinem ulkigen Namen? Ein Ohrwurm ist schließlich nicht nur eine kurzzeitig oder dauerhaft im menschlichen Ohr anklebende Folge von Tönen, sondern auch ein Insekt, das Opfer von Aberglaube, Unwissenheit und übler Nachrede wurde.

Die Rede ist von „Forficula auricularia“ – besser bekannt als Gemeiner Ohrwurm. Wobei sich gemein nicht etwa auf die moralische Verwerflichkeit seines Tuns bezieht, sondern auf die zoologische Unterart, welche keine herausragenden Merkmale hat.

Wie viele Ohrwurm-Arten gibt es?

Gemeiner Ohrwurm („Forficula auricularia“) Foto: Imago/NurPhoto
Sandohrwurm ( „Labidura riparia“ ) Foto: Imago/Steffen Schellhorn
Ohrwurm-Nachwuchs Foto: Imago//Ardea
Zangen eines Ohrwurms Foto: Imago//Stephen Dalton

Arten: Weltweit sind rund 2000 Ohrwurm-Arten in elf Familien bekannt, die auf allen Kontinenten außer Antarktika zu Hause sind. Elf Arten davon leben in Deutschland. Ohrwürmer werden zehn bis 20 Millimeter lang. Der in Australien beheimatete Riesen-Ohrwurm („Titanolabis colossea“) bringt es sogar auf 50 Millimeter Körpergröße.

Lebensraum: Welchen Lebensraum die jeweilige Art bevorzugt, lässt sich schon an der Bezeichnung ablesen: Sandohrwurm, Gebüschohrwurm oder Waldohrwurm.

Nahrung: Ohrwürmer sind nacht- und dämmerungsaktiv. Sie verbringen den Tag am liebsten unter Baumrinden, Steinen oder Laub. Als Allesfresser verspeisen sie Blattläuse und Schmetterlingsraupen genauso gern wie Blüten, Früchte und Samen. Einige Arten wie der Sandohrwurm ernähren sich ausschließlich von Fleisch.

Schädlingsbekämpfer: Das Krabbeltier trägt dazu bei, die Schädlingspopulation zu reduzieren. Dennoch wird der Ohrwurm häufig als ungebetener Gast geschmäht, weil er mit Vorliebe wie Äpfel, Zwetschgen oder Trauben anknabbert. Der Schaden hält sich aber stets in Grenzen.

Zangen: Das berüchtigte Paar Zangen am Ende des Hinterleibs von Ohrwürmern dient zur Verteidigung, um Beute festzuhalten, als Hilfsmittel beim Entfalten der rudimentär ausgebildeten Flügel und beim Begattungsritual.

Nachwuchs: Ohrwürmer bekommen jährlich Nachwuchs. Die Eier und Larven werden in selbst gebauten Höhlen, Blattrillen oder unter Baumrinde gepäppelt, gesäubert und mitunter gefüttert.

Kneifer, Zwicker, Wusler, Pitscher, Höhler

Die rötlich-braun gefärbten Tierchen haben viele Spitznamen: Ohrenkneifer, Ohrenzwicker, Wusler, Pitscher, Höhler. Besonders irreführend ist die Bezeichnung Wurm, da es sich um Fluginsekten handelt.

Die anmutigen und geschmeidigen Bewegungen von „Forficula auricularia“ waren wohl der Grund, warum das Insekt fälschlicherweise als Wurm deklariert wurde. Der Name ist vermutlich auf ein Wortspiel zurückzuführen. Die nach innen gebogenen Zangen am Hinterleib erinnern an ein „O“.

Wann entstand das Wort Ohrwurm?

Etymologisch entstand das Wort Ohrwurm im 14. Jahrhundert. Getrocknet und zu Pulver zerstoßen, diente das Insekt als Allheilmittel gegen Ohrenkrankheiten und Hörproblemen.

Ohrwürmer bevorzugen feuchte und warme Gebiete, weshalb der menschliche Gehörgang für sie theoretisch ein attraktiver Lebensraum sein könnte. Das ist natürlich Humbug. Trotzdem ist bis heute der Irrglaube verbreitet, dass die Tierchen in die Ohren von Schlafenden krabbeln, sich durchs Trommelfell beißen und im Gehirn ihre Eier ablegen.