Operationsroboter, die von Chirurgen bedient werden, gibt es bereits an deutschen Kliniken. Das daVinci-Operationssystem wird zum Beispiel an einer Münchner Klinik zur Prostataentfernung eingesetzt und ermöglicht Operationen mit winzigen Schnitten. Foto: Mark Clifford/Intuitive Surgical

In zehn Jahren gehören Mikrochips zum medizinischen Alltag, Organe kommen aus dem 3-D-Drucker. Das ergibt eine Umfrage unter Pharmaexperten.

Stuttgart - Sie messen Schritte, Puls und die verbrauchte Kalorienzahl; sie bestimmen Blutdruck und Blutzucker, entwerfen Trainingspläne und erinnern an die Einnahme von Medikamenten: Gesundheits- und Medizinapps entwickeln sich zum täglichen Begleiter. Sie verarbeiten die Daten, die ihnen Sensoren von Fitnessarmbändern, Computeruhren und Smartphones drahtlos schicken. Rund 400 000 Apps bieten die Internetläden an. Elektronikmärkte haben sich mittlerweile zur elektronischen Variante von Sanitätshäusern entwickelt, das Geschäft mit den digitalen Helfern zum Milliardenmarkt.

„Immer mehr Patienten kommen mit mehr Informationen über sich in die Sprechstunde“, sagt Vincent Jörris, Sprecher des Deutschen Hausärzte-Verbands. „Die Ärzte müssen das in ihren Beratungen berücksichtigen und die Informationen erörtern und einordnen können. Das sehe ich aber eher als Chance.“

Experten glauben, den Krebs besiegen zu können

Ob Chance oder Bedrohung: Die Digitalisierung wird die Gesundheits- und Medizinbranche in den kommenden zehn Jahren radikal verändern. Das sagen zumindest gut 100 Geschäftsführer und Vorstände von Pharmaunternehmen, die der IT-Branchenverband Bitkom befragt hat. Am Donnerstag wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Demnach sieht die große Mehrheit von ihnen digitale Technologien geradezu als Heilsversprechen.

Zwei Drittel der Befragten erwarten, dass digitale Technologien die Prävention verbessern und entscheidend dazu beitragen werden, die Lebenserwartung der Menschen zu verlängern. Vier von fünf Befragten glauben, dass dadurch auch Krankheiten wie Krebs besiegt werden können. „Dank digitaler Technologien werden wir länger und gesünder leben, gleichzeitig werden die Kosten der medizinischen Versorgung reduziert“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bitkom.

Vor allem bei der individualisierten Medizin sehen die Branchenexperten großes Potenzial. Dabei werden Therapien exakt auf den einzelnen Patienten zugeschnitten, indem man unter anderem Erbgut und Lebensstil analysiert, Arztbriefe, Laborwerte und weitere Befunde heranzieht und mit den weltweiten Daten von ähnlichen Behandlungen vergleicht. Auf diese Weise behandelt beispielsweise das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg Patienten. Möglich macht das die immer schnellere Auswertung von riesigen unterschiedlichen Datenquellen, auch Big Data genannt. Brauchte eine Analyse vor Jahren noch Wochen, ist die Zeit heute auf Stunden geschrumpft und wird bald wohl nur noch Minuten dauern.

Ein Medikament für den individuellen Gebrauch

Die Mehrzahl der Pharma-Experten geht davon aus, dass in zehn Jahren viele Arzneimittel für den individuellen Gebrauch hergestellt werden. „Heute bekommen Patienten meist Medikamente von der Stange. In Zukunft werden sie maßgeschneidert sein“, so Rohleder.

Medizinische Datenbanken, die sich in Sekundenschnelle auswerten lassen, werden auch für Ärzte immer wichtiger. Sie könnten dadurch Krankheitsbilder schneller und präziser erkennen und geeignetere Therapien vorschlagen, glauben 76 Prozent der Befragten. Außerdem spielten Mikrochips eine immer größere Rolle. Sie würden implantiert, um die Funktionsfähigkeit von Organen zu verbessern und Körperfunktionen zu überwachen. Digitale Tabletten senden bei senilen Patienten ein Signal, ob sie tatsächlich eingenommen wurden. Prothesen oder auch Organe könnten zunehmend im 3-D-Druck-Verfahren hergestellt werden. 80 Prozent der befragten Experten glauben gar, dass Roboter bei Operationen sporadisch oder gar alltäglich eingesetzt werden.

Telemedizin wird zum Standard

Die Gesundheitsversorgung aus der Ferne, Telemedizin genannt, werde in zehn Jahren zum Standard gehören – darin sind sich praktisch alle Befragten einig. So würden sich Hausärzte mit Fachspezialisten austauschen, um die Diagnose zu verbessern, Operationen aus der Ferne zu leiten und zu unterstützen. Gängig sei es dann, den Gesundheitszustand eines Patienten zu überwachen, zum Beispiel Blutdruck, Gewicht oder Blutzucker bei Herz- oder Diabetespatienten. „Gerade für chronisch kranke oder ältere Menschen sowie für Patienten in dünn besiedelten Regionen kann Telemedizin große Vorteile bringen“, sagt Rohleder.

„Wir werden vierteljährlich Innovationen erleben. In zehn Jahren ist unser Gesundheitssystem ein völlig anderes“, sagt Achim Himmelreich vom Bundesverband Digitale Wirtschaft. Dass die digitale Technik einmal den Arzt ersetze, glaubt er aber nicht. Das ist auch das beruhigende Ergebnis der Bitkom-Untersuchung. Immerhin drei Viertel der Befragten sind sich sicher, dass auch in zehn Jahren Ärzte noch wichtig sind.