Am Dienstag eröffnet die Marmaray-Bahnstrecke – Sie soll in Istanbul den Verkehr entlasten und Europa mit Asien verbinden Foto: EPA

Ein Bahntunnel unter dem Marmarameer, ein Tunnel, der den europäischen und den asiatischen Teil Istanbuls verbindet – davon erhofft sich die türkische Regierung viel.

Istanbul - Ein Bahntunnel unter dem Marmarameer, ein Tunnel, der den europäischen und den asiatischen Teil Istanbuls verbindet – davon erhofft sich die türkische Regierung viel. Das umgerechnet gut 3,6 Milliarden Euro teure Marmaray-Projekt soll nicht nur die Verkehrsprobleme in der staugeplagten 15-Millionen-Metropole lindern, sondern auch dem internationalen Reise- und Güterverkehr neue Impulse verleihen. Politiker sehen schon den Handel bis nach China florieren und sprechen von einer „neuen Seidenstraße“. Über die legendäre Handelsroute wurden einst nicht nur Waren wie Gewürze und Seide ausgetauscht, sondern auch Geschichten und Kultur.

„Wir verbinden London und Peking“, schwärmte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich. Schon die osmanischen Sultane im 19. Jahrhundert dachten über einen Tunnel zwischen Europa und Asien bei Istanbul nach, doch daraus wurde lang nichts. Auch die Passagiere des legendären Orientexpress mussten mit der Fähre vom europäischen zum asiatischen Teil Istanbuls übersetzen, wenn sie ihre Reise Richtung Bagdad fortsetzen wollten.

Die in neunjähriger Bauzeit und teilweise mit Hilfe der Europäischen Investitionsbank (EIB) errichtete Bahnverbindung soll das Umsteigen überflüssig machen. „Es ist ein 150 Jahre alter Traum“, sagte Erdogan, der den Marmaray-Tunnel mit Präsident Abdullah Gül am 90. Gründungstag der Türkischen Republik am 29. Oktober einweiht. Eröffnet wird zunächst das Kernstück der neuen Verbindung: ein rund 13,6 Kilometer langer Tunnel zwischen Europa und Asien inklusive einer 1,4 Kilometer langen und erdbebensicheren Doppelröhre aus Beton unter dem Marmarameer.

Marmaray soll in das Metronetz Istanbuls integriert werden

Die Arbeiten hatten sich um Jahre verzögert, weil beim Bau eines unterirdischen Bahnhofs nahe der Istanbuler Altstadt ein kompletter byzantinischer Hafen gefunden wurde. Archäologen arbeiteten zeitweise rund um die Uhr, um die reichen Funde zu sichern, darunter mehr als 30 Schiffe.

In den kommenden Jahren soll die Marmaray-Strecke um mehr als 60 Kilometer an ebenerdigen Gleisen auf 77 Kilometer ausgebaut werden. Dann, so die Planung, wird die Fahrt zwischen den Endhaltestellen Gebze auf der asiatischen Seite im Istanbuler Südosten nach Halkali im europäischen Westen der Stadt etwa eine Stunde und 45 Minuten dauern – rund die Hälfte der Zeit, mit der man derzeit rechnen muss.

Marmaray soll in das im Ausbau begriffene Metronetz Istanbuls integriert werden. Bis 2030 soll es in der Stadt knapp 800 Kilometer an Nahverkehrsschienen geben; derzeit sind es 124 Kilometer. Metro und Marmaray sollen die chronisch verstopften Istanbuler Straßen entlasten. Die beiden Autobahnbrücken über den Bosporus werden jährlich von 140 Millionen Fahrzeugen überquert – das ist fast das Dreifache der ursprünglich anvisierten Kapazität. Eine dritte Brücke, die bis 2015 fertig sein soll, wird nur einen Teil dieses Verkehrs aufnehmen können. Daher sollen möglichst viele der Istanbuler Pendler die Schiene umsteigen.

Bis zu 75 000 Passagiere sollen stündlich von einem Kontinent zum anderen gebracht werden. Auch eine Seilbahn zwischen Asien und Europa soll bis 2015 entstehen. Die Planungen der türkischen Regierung reichen jedoch weit über die Istanbuler Verkehrsprobleme hinaus.

Während in Istanbul am Marmaray-Projekt gearbeitet wird, bauen Ingenieure und Arbeiter in Anatolien ein Netz von modernen Zugtrassen aus. Ankara strebt für 2014 die Fertigstellung einer neuen Verbindung von der Osttürkei über Georgien bis nach Baku in Aserbaidschan an: „Marmaray ist Teil einer eisernen Seidenstraße“, sagt Verkehrsminister Binali Yildirim. Der türkische Bahnchef Sülyeman Karaman will schon im Jahr 2015 rund 6,5 Millionen Tonnen an Gütern zwischen der Türkei und Zentralasien auf der Schiene rollen lassen. Von da aus soll es weitergehen bis nach China.

Unumstritten ist das Marmaray-Projekt aber dennoch nicht. Einige Erdbebenexperten haben Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der unterirdischen Anlagen, die 20 Kilometer von einer aktiven Verwerfungslinie entfernt gebaut wurden. Wissenschaftler kritisieren zudem, dass die Arbeiten an dem Tunnel unter dem Meer der Unterwasserwelt des Marmarameers Schaden zugefügt haben.