Unheilsprophet: Der Sänger Mark Lanegan Foto: Steve Gullick

Er ist der große Überlebenskünster des Grunge: Mark Lanegan hat im ausverkauften Universum in Stuttgart eine bluesige Rock-Messe gefeiert

Stuttgart - Grunge ist längst tot, Seattle als veritable Musikhochburg Amerikas dieser Tage höchstens für eine Geschichtsstunde gut. In den späten 1980ern war das anders, damals, als sich verwirrte und unsichere Teenager in weiten Schlabberpullis und mit strähnigen Haaren Gitarren um die Kniekehlen hängten und ihren Weltschmerz in verzerrt-verzweifelte Rocknummern kleideten.

Nirvana kennen selbst Spätgeborene, früher dran und für viele sogar wichtiger waren immer schon The Screaming Trees. Deren Kopf Mark Lanegan ist seit 1990 solo aktiv, nahm schon mit Kurt Cobain Songs auf und ist einer der Überlebenden dieser Zeit. Ein Relikt, das nach Heroinabhängigkeit und bodenlosem Alkoholkonsum voriges Jahr tatsächlich seinen 50. Geburtstag feiern konnte, auf der Bühne immer noch eine gute Figur macht und sich längst von seinem Status als Grunge-Papst gelöst hat. Dafür gibt er jetzt den Weltuntergangspropheten. Und diese Rolle steht ihm ausgezeichnet.

400 Leute lockt der Crooner mit der düsteren Stimme dann auch ins ausverkaufte Universum, um mit seiner vierköpfigen Band das zu machen, was er am liebsten tut: mit seinem unnachahmlichen Tom-Waits-Grollen Lieder von geisterhafter Einsamkeit singen, von zerschmetterter Hoffnung, vom Freitod, während das Radio läuft. Eben jene Nummer, „Gray Goes Black“, gehört zu den ersten des Konzerts und sorgt für spontane Jubelausbrüche im Publikum. So gemischt es an diesem Abend auch ist – viele hier haben bei Kurt Cobains Tod eine Kerze entzündet.

Der Weltschmerz ist geblieben

Dem Grunge sind alle entwachsen, die Melancholie, der Weltschmerz und die Ängste sind geblieben. Da hilft es auch nicht, dass Lanegans aktuelles Album „Phantom Radio“ vorsichtig optimistischer gestimmt ist: Live ist das bei ihm sowieso immer eine andere Geschichte.

Was bleibt, wenn der Grunge gegangen ist, machen Stücke wie „One Way Street“ vom 2001er-Album „Field Songs“ deutlich: Der Blues bleibt. Und Lanegan, ganz schlicht mit Brille, Hemd und Jeans, ist genau der Richtige, um diese Musik zu spielen, sie zu leben. Tempowechsel sind seine Sache nicht, auch bei „Creeping Coastline Of Light“ (im Original von den Leaving Trains) beschränkt er sich auf ein schleppendes Tempo. Dazu Lanegans nicht vorhandene Ansagen und die herrlich vor sich hin schrammelnde Band, fertig ist die Hypnose. Einzig Stücke wie „Dry Iced“ oder „Floor Of The Ocean“ mit ihren elektronischen Beats und antiquiert wavigen Flächen fallen da etwas ab, zu nichtssagend wirken sie angesichts des restlichen Kanons aus Blues, Schwermut und eleganter Rockmonotonie.

Sein Herz gehört dem Blues

Ein Faible für Wave und Post Punk hat der 50-Jährige aber eben immer schon gehabt, covert oft und gern auch Joy Divisions „Atmosphere“. Sein Herz gehört dennoch dem kratzigen, verwaschenen Blues, letztlich passt das ja auch viel besser zu seiner Stimme. Von der kann sich selbst Duke Garwood eine Scheibe abschneiden. Selbst mit einer alles andere als klaren und fröhlichen Stimme gesegnet, darf Lanegans Kumpel im Vorfeld ein paar Lieder durch seinen Orange-Verstärker zupfen und schon mal vorab in düstere Trance versetzen.

Mit „Black Pudding“ haben die beiden 2013 sogar ein gespenstisches Blues-Album aufgenommen, heute sorgen beide für wunderbar exerzierte, oftmals eher exorzierte Stücke. Ob man das jetzt Post Grunge, Blues oder einfach nur Rock nennt, ist einem wie Lanegan völlig schnuppe. Was zählt, ist die Wirkung. Und die kommt an diesem Abend im stickigen Universum trotz kleinerer Durchhänger voll zur Geltung.