Welche Menge Schadstoffe kommt aus dem VW-Diesel? Foto: dpa

Der Skandal um manipulierte Abgaswerte in den USA könnte den VW-Konzern deutlich mehr kosten als bisher angenommen. Auch in Deutschland ist umstritten, ob Grenzwerte eingehalten werden. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.

Stuttgart - die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Abgas-Affäre:

Worum geht es?
Die Vorwürfe der amerikanischen Umweltbehörde EPA sind heftig. Bei rund 482 000 in den USA zugelassenen Vier-Zylinder- Dieselfahrzeugen des Volkswagen-Konzerns sollen die Schadstoff-Grenzwerte bewusst umgangen worden sein. Betroffen sind laut EPA die VW-Modelle Jetta, Beetle, Golf und Passat sowie der A3 von Audi. VW hat demnach eine Software eingesetzt, die Prüfsituationen erkennt und die Abgasbehandlung anpasst. Im Normalbetrieb auf der Straße wurden jedoch vor allem bei Stickoxiden Konzentrationen gemessen, die 40-mal höher lagen als die zulässigen Werte. Stickoxide gelten als gesundheitsschädlich und mitverantwortlich für hohe Ozon- und Feinstaubwerte in Ballungszentren.
Was sagt VW zu den Vorwürfen?
Der VW-Konzern hat die Tricksereien an den Fahrzeugen eingeräumt. „Die Manipulation an der eingesetzten Software hat es gegeben“, sagte ein Sprecher. Konzernchef Martin Winterkorn kündigte eine umfassende Aufklärung des Abgas-Skandals an. „Die Geschehnisse haben für uns im Vorstand und für mich ganz persönlich höchste Priorität“, sagte der Konzernchef. „Wir arbeiten mit den zuständigen Behörden offen und umfassend zusammen, um den Sachverhalt schnell und transparent vollumfänglich zu klären.“
Wieso hat VW überhaupt getrickst?
Darüber lässt sich nur spekulieren. Klar ist, dass die Abgasbehandlung in Dieselfahrzeugen komplex und teuer ist. Ein verbreitetes Verfahren ist etwa die selektive katalytische Reaktion (SCR), bei der bevorzugt die Stickoxide (NO, NO2) reduziert werden. Das Problem ist, dass solche Verfahren viel Geld kosten, den Verbrauch erhöhen und die Leistung etwa bei hohen Geschwindigkeiten hemmen können. Die Versuchung, diese Auswirkungen zu umgehen, ist daher hoch.
Was sind die Konsequenzen?
Neben einem immensen Imageverlust drohen Volkswagen Strafzahlungen von bis zu 18 Milliarden Dollar und Rückrufkosten. Die Rating-Agentur Fitch warnte, dass der Skandal den Ruf des Weltkonzerns vor allem in den USA gefährden könne. Der Druck auf die Bewertung des Automobilherstellers könne dadurch weiter steigen. Das Unternehmen erließ einen Verkaufsstopp für die betroffenen Modelle in den USA.
Was bedeutet dies für VW-Chef Martin Winterkorn?
Für den Vorstandsvorsitzenden von Deutschlands größtem Autohersteller kommt der US-Fall zum denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nach dem gewonnenen Machtkampf mit Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch war im Konzern gerade wieder Ruhe eingekehrt. Winterkorn saß fester im Sattel denn je. Am 25. September soll der Aufsichtsrat entscheiden, ob sein Vertrag bis Ende 2018 verlängert wird. Die Zustimmung galt als sicher. Jetzt aber wackelt der Chef. Am Montagabend tagte das Aufsichtsratspräsidium um Betriebsratschef Bernd Osterloh und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die seit Jahren Grenzwertüberschreitungen der Hersteller anprangert, forderte am Montag den Rücktritt von Winterkorn. Auch Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Institut der Uni Duisburg Essen hält den VW-Chef für nicht mehr tragbar. Betriebsratschef Bernd Osterloh verschärfte am Montag die Tonart. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. „Wir müssen verloren gegangenes Vertrauen bei unseren Kunden zurückgewinnen.“ Vor allem Vorstandschef Martin Winterkorn sei dabei nun in der Pflicht. Er warnte aber auch vor einer Vorverurteilung.
Könnte auch in Deutschland getrickst worden sein?
Die DUH und andere Naturschutzverbände wie der Nabu gehen davon aus, dass neben dem Volkswagen-Konzern auch Hersteller wie Daimler, BMW, Ford oder Opel die in Europa geltenden Abgasvorschriften aushebelten, indem sie bei der Abgasreinigung manipulierten. Demnach müssen die Autobauer bei der Zulassung eines Fahrzeugtyps zwar versichern, dass die Schadstoff-Grenzwerte in unterschiedlichen Betriebssituationen eingehalten werden. Bisher allerdings drohen bei Verstößen keine Konsequenzen. Denn laut DUH kontrolliert das zuständige Kraftfahrtbundesamt die Autos nach der Zulassung nicht mehr. „Diese Praxis geschieht auf Anweisung der Automobilindustrie“, sagte DUH-Chef Jürgen Resch unserer Zeitung. Eine entsprechende Anfrage unserer Zeitung beim Kraftfahrtbundesamt blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Dem Automobilclub ADAC fallen nach eigenen Angaben schon seit Jahren Abweichungen bei Abgastests auch in Deutschland auf. Seit 2003 überprüfe man jährlich 150 Autos. „Das sagen wir seit Jahren, dass die Herstellerwerte nicht stimmen“, berichtete ein Sprecher. „Da wird nicht betrogen aus unserer Sicht. Der legale Rahmen in Deutschland ist einfach zu lasch.“
Was sagen die Hersteller dazu?
Der Autobauer Daimler versichert, die länderspezifischen Vorgaben zu erfüllen. „Wir manipulieren nicht und halten uns selbstverständlich auch in Deutschland an die Vorgaben des Gesetzgebers“, sagt ein Sprecher des Daimler-Konzerns unserer Zeitung. Von den 220 900 Mercedes-Fahrzeugen, die in den ersten acht Monaten dieses Jahres in den USA verkauft wurden, seien 8700 Diesel gewesen. Beim Sportwagen-Hersteller Porsche spielen Diesel-Fahrzeuge nur eine nachrangige Bedeutung – die VW-Tochter setzt vor allem auf Benziner. Da es bei den untersuchten Diesel-Autos in den USA aber nur um Vier-Zylinder-Motoren gehe, sei man ohnehin nicht betroffen – die verwende man schließlich gar nicht, sagte ein Sprecher. Auch BMW teilte mit, von den Untersuchungen nicht betroffen zu sein.
Wie reagiert die Bundesregierung?
Als Reaktion auf die VW-Abgas-Affäre will Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sämtliche Diesel-Modelle des Autobauers auf dem deutschen Markt überprüfen. Der CSU-Politiker sagte der „Bild“-Zeitung: „Unabhängige Kontrollen finden immer wieder statt. Allerdings habe ich das Kraftfahrtbundesamt angewiesen, bei den VW-Dieselmodellen jetzt umgehend strenge spezifische Nachprüfungen durch unabhängige Gutachter zu veranlassen.“ Ähnliches hatte das Umweltbundesamt bereits zuvor gefordert.
Welche Folgen könnte die Talfahrt des Aktienkurses haben?
Sowohl in Deutschland als auch in den USA drohen Schadenersatzklagen von Aktionären. Denn möglicherweise hat der Konzern gleich mehrfach gegen Kapitalmarktvorschriften verstoßen, so dass Anleger versuchen können, sich für den Kurssturz von rund 20 Prozent oder rund 30 Euro pro Aktie entschädigen zu lassen. Rechtsanwalt Marc Schiefer von der Anwaltskanzlei Tilp in Kirchentellinsfurt, die im Kapitalmarktrecht zu den führenden Adressen in Deutschland zählt, erklärte unserer Zeitung, VW sei durch die Manipulationen immense Risiken eingegangen, über die die Anleger nicht informiert wurden. Auch über die Ermittlungen der US-Umweltbehörden EPA habe VW die Märkte nicht unterrichtet. Folgen die Gerichte dieser Argumentation, haben Anleger, die nach diesen Verstößen bei VW eingestiegen sind, Chancen auf Ersatz ihres Schadens. Dies gilt auch dann, wenn der Kurs des Papiers seither gestiegen ist – schließlich wäre der Kurs ohne den Absturz noch höher. Wer bereits vor 2009 eingestiegen ist, als die Manipulationen offenbar begannen, hat dagegen nach geltender Rechtsprechung eher schlechte Karten.