Ludwigsburgs neuer Chefdirigent: Pietari Inkinen Foto: dpa

Im Eröffnungskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele hat sich der neue finnische Chefdirigent des Festivals vorgestellt: Pietari Inkinen spielte Geige in Bachs d-Moll-Doppelkonzert und dirigierte Jean Sibelius’ monumentale „Kullervo-Sinfonie“

Herzlich willkommen! Das, mag mancher Besucher am Freitagabend im fast ausverkauften Ludwigsburger Forum am Schlosspark gedacht haben, könnte auch eine Bedeutung des riesigen Halbkreises sein, mit dem der finnische Männerchor Ylioppilaskunnan Laulajat beim Eröffnungskonzert der Schlossfestspiele auf der Bühne das linke mit dem rechten Parkett verbindet. Fünfzig finnische Männer singen, was man von fünfzig finnischen Männern erwartet: Chorsätze von Jean Sibelius über Wasser, Wellen und Tod, getragen vom dunklen, voll klingenden Resonanzraum maskuliner Kehlen.

Dieser Anfang ist eine Behauptung, und die nachfolgende Rede ist es auch. Wer schließlich hätte ein Festival, welches das „Spiel mit Identitäten“ zu seinem Motto erklärt, besser eröffnen können als ein Deutscher mit türkischen Wurzeln, der mit einer Argentinierin verheiratet ist und dessen Partei sich die Integration des Fremden und anderen besonders offensiv auf die Fahnen geschrieben hat? Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, wäre auch ohne seine klaren, bündigen Worte über die Vorreiterfunktion der Kultur im Einwanderungsland Deutschland der richtige Mann gewesen.

Ob Pietari Inkinen der richtige Mann für Bachs d-Moll-Doppelkonzert für zwei Violinen ist (oder, andersherum betrachtet, Bach der richtige Mann für den Geiger Inkinen), darf hingegen durchaus bezweifelt werden. Gemeinsam mit einem in der Tiefe (mit zwei Kontrabässen) angefetteten Festspielorchester und an der Seite des stellvertretenden Konzertmeisters im Stuttgarter Staatsorchester, Gustavo Surgik, serviert der neue Ludwigsburger Chefdirigent als Solist barocke Konzertmusik mit vibratogeschwängertem, undifferenziertem Klang, im zweiten Satz schleppend, außerdem viel zu einförmig und grobschlächtig in der Gestaltung von Dynamik, Tempi und Affekten. Ein Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten.

Man mag das Schubladendenken im Musikbetrieb verurteilen, aber tatsächlich überzeugt Inkinen erst, als er Musik seines Landsmanns Sibelius dirigiert. Dafür, dass das größte Werk des Abends zum eindrucksvollsten wird, sorgt allerdings auch die „Kullervo-Sinfonie“ selbst: eine über achtzig Minuten hinweg wuchernde Tondichtung, gleichsam das finnische Pendant zu Strauss’ „Heldenleben“, nur trauriger und verzweifelter.

Dass Sibelius’ Stück außerdem deutlich weniger durchgearbeitet ist, liegt an der Jugend des bei der Uraufführung gerade mal 27-jährigen Komponisten; dafür entschädigen die Unmittelbarkeit der Musik und der unbedingte Wille zu einer betont einfachen Klangsprache, die das Publikum in Helsinki 1892 tatsächlich als finnisch bejubelte.

Dabei kommt dem einstimmig oder in Oktaven geführten Männerchor in Sachen Volkstümlichkeit eine Schlüsselrolle zu: Die fünfzig finnischen Männer erzählen wie Barden das Leben Kullervos bis hin zu jenem Augenblick, in dem sich der Held schuldbewusst in sein eigenes Schwert stürzt. Helena Juntunen singt die Schwester mit Hingabe, und dem Bariton Jorma Hynninen hört man seine jahrzehntelange Vertrautheit mit der Titelpartie an.

Das Festspielorchester spielt ebenfalls hoch engagiert. Die Aktionen der exzellenten Bläser kommen auf den Punkt, und abgesehen von wenigen Einsätzen wirken auch die Streichergruppen präzise gebündelt. Nachdem Kullervo mit sehr viel fröhlicher Emphase in den Krieg gezogen ist, endet das Stück mit einem Chor-Lamento, einem Variationensatz, dem die Paukerin des Orchesters, Babette Haag, mit einer Glanzleistung zu großer Wirkung verhilft. Der anschließende Jubel im Forum am Schlosspark ist so lang und so deutlich, dass man ihn durchaus als Botschaft verstehen kann: Herzlich willkommen, Pietari Inkinen!