Das Hauerloch im Muschelkalk: ein sagenumwobener Ort, über den es auch Geschichten gibt. Foto: Jürgen Bach

In einem Tal nahe Stuttgart erblickt man drei Löcher im Muschelkalk. Um die dahinterliegende Höhle, ihre Entstehung und mögliche Bewohner ranken sich viele Legenden. Unsere Serie über Lost Places in der Region

Man mag es ja erst mal nicht glauben, aber: Die Linie der S-Bahnen 6 und 60 führt nicht nur durch teils triste, typische Bahnhofsviertel. Sie verbindet den Stuttgarter Speckgürtel im Westen mit dem Kern der Landeshauptstadt – und sie verläuft dabei tatsächlich durch teils malerische Landschaften. So zum Beispiel zwischen Höfingen und der Leonberger Kernstadt, wo sich die Gleise durchs Tal schlängeln, vorbei an einer alten Sägemühle.

Die Löcher am Lost Place sind vergittert

Unten windet sich die Glems auf ihrem verschlungenen Weg nach Norden in Richtung Enz, die sie bei Unterriexingen in sich aufnehmen wird. Doch ist es nicht der Fluss, der dem S-Bahnpassagier auf seiner Fahrt beim Blick aus dem Fenster ins Auge fällt. Es ist eine massive Felswand, deren Schichten klar zu erkennen sind – und die eine Besonderheit birgt: eine große, seltsam anmutende Höhle in der oberen Hälfte des Muschelkalks. Rechts daneben befindet sich noch eine zweite, kleinere Öffnung im Gestein, wiederum daneben eine dritte.

Das Hauerloch bleibt nach wie vor ein kleines Mysterium. Foto: Jürgen Bach/Jürgen Bach

Allesamt sind sie seit 1999 vergittert, sodass niemand auf den Gedanken kommt, hinab – oder hinauf – zu klettern. Einfach, um mal zu schauen, was es damit auf sich hat. Einer der Gitterstäbe ist bereits sichtbar verbogen, den Versuch hat es also schon längst gegeben. Denn um das Hauerloch, so heißt dieser vielleicht gar nicht mal so verlorene Ort, ranken sich Mythen und Legenden.

Die bekannteste Geschichte geht wie folgt, wobei Parallelen zum Märchen des Rumpelstilzchen nicht gänzlich von der Hand zu weisen sind: Schon im 15. Jahrhundert liegt die Felsensägmühle unterhalb des Hauerlochs an der Glems. Sie diente einst auch zur Bearbeitung von Leder, Stoffen und Metall. „Wenn die Einwohner vom Amt Leonberg etwas zu walken oder zu schleifen haben, muss das hier geschehen“, heißt es im Höfinger Heimatbuch, erschienen 1986.

Die Legende will es nun so: Einst steht die Mühle zum Verkauf, ein junges Höfinger Paar bekundet Interesse. Es fehlt jedoch am Geld. Also wenden sie sich an einen Zwerg, der im Hauerloch einen unermesslich wertvollen Schatz hütet. Er sagt seine Unterstützung zu, im Gegenzug verlangt er jedoch, die erstgeborene Tochter des Paares zu ehelichen – falls es dieser bis zu ihrem 20. Lebensjahr nicht gelingt, seinen Namen zu erraten.

Urige Stimmung: Am Hauerloch werden Legenden greifbar. Foto: Jürgen Bach

Am Ende kommt sie zufällig doch dahinter, der Zwerg namens „Erdmann“ muss 500 Jahre in seiner Höhle weiterhausen. Weiter heißt es im Heimatbuch auf Schwäbisch: „Beherzte Hefenger sollat uf des naʼ zwor a paarmol probiert han, des Männle ufzʼschtöbera ond den sagahafta Schatz zʼhega, aber bis jetzt ischʼs offabar no neamerd gʼlonga, da richtige Zauberspruch zʼfenda ond mit aʼbissle ‚Hokuspokus‘ gʼwissermaßa über Nacht schtoireich zʼwerda.“

Im Muschelkalk würde man versteinerte Muscheln finden

Zurück zur Realität. Thomas Rathgeber, renommierter Höhlenforscher, hat das Hauerloch 1992 so beschrieben: „Das Hauerloch stellt einen kleinen ellipsenförmigen Hohlraum dar, der künstlich in Fels geschlagen wurde.“ Der Eingang sei 1,2 Meter breit und 1,6 Meter hoch. „Rechts daneben sind zwei Felsenfenster eingehauen, die ebenfalls in den Hohlraum führen, der wiederum eine Horizontalgesamtlänge von maximal 2,8 Metern aufweist“, so Rathgeber.

Tafel: Etwas Unterhalb gibt es ein paar Infos, vor allem zur Glems. Foto: Jürgen Bach

„Das Hauerloch ist eine Naturgewalt“, sagt die Leonberger Stadtarchivarin Anke Steck über das legendenumwobene Loch im Muschelkalk. „Man würde darin wirklich versteinerte Muscheln finden“, fügt sie hinzu. Als gesichert sieht auch sie: Der Raum in der Größe eines kleinen Zimmers, der sich hinter der Höhlenöffnung verbirgt, ist nicht einfach so entstanden. „Der ist nachträglich vergrößert worden“, so die Archivarin und muss schmunzeln. „Und die Sage mit dem Zwerg hält sich ja hartnäckig.“ Offiziell bewohnt sei es aber nie gewesen, weil es dann doch viel zu klein für solche Zwecke sei. Auch, wer den Raum wann vergrößert habe, sei nicht bekannt. „Es gibt nicht viele Informationen zum Hauerloch“, sagt Steck.

Der Name des Lost Places könnte sich auf ein Tier zurückführen lassen

Zumindest die Vermutungen über den Namen sind ein wenig habhafter als die über Entstehung und potenzielle Bewohner. 1535, als die Höhle erstmals erwähnt wird, geschieht das noch als „Huhenloch“. Von „huhen“ wurde die Verbindung zum Uhu hergestellt. Das ist die eine These. Die andere besagt, dass es sehr wohl etwas mit dem Verb „hauen“ auf sich hat. „‚Huben‘ im Sinne von ‚hauen‘, also Bäume fällen“, stellt Anke Steck in den Raum – womit dann auch die Brücke zur Sägemühle geschlagen wäre. „Aber auch da gibt es keine gesicherte Erkenntnis“, bekennt die Archivarin.

So bleibt das Fazit: Das Hauerloch ist und bleibt nach wie vor ein kleines Mysterium. Und vielleicht ist es ja auch gar nicht so schlimm, wenn nicht jede Sehenswürdigkeit und jede Ecke einer Stadt ganz genau analysiert werden kann. Das Hauerloch dürfte für viele Leonbergerinnen und Leonberger ein solcher Winkel bleiben. Zumindest den Zwerg hat noch niemand erblickt – wohl auch nicht die Ziegen, die ab und zu an der Felswand umherklettern.

Geheimnisvolle Orte in der Region

Lost Places
Der Begriff beschreibt verlassene Orte, oftmals handelt es sich um aufgegebene, dem Verfall überlassene Gebäude. Nicht immer haben diese historische Bedeutung. Gemein ist ihnen jedoch ihre geheimnisvolle Aura. Die Bezeichnung Lost Places ist ein Pseudoanglizismus, der sich im deutschsprachigen Raum etabliert hat.

Serie
In loser Folge stellen wir in den kommenden Wochen Lost Places in der Region vor, erzählen ihre Geschichte und dokumentieren fotografisch ihr morbides Ambiente. Manche dieser Orte sind offen sichtbar, andere verfallen – teils seit Jahrzehnten – unbemerkt von der Öffentlichkeit.