Zeitlose Humoristen: Loriot und seine kongeniale Partnerin Evelyn Hamann nahmen den bundesdeutschen Alltag auf die Schippe. Foto: SWR/dpa

Am 12. November wäre der große deutsche Satiriker Vicco von Bülow alias Loriot 100 geworden. Die ARD blickt mit einem Porträt zurück – und entdeckt darin einen Richter, der niemanden richtet, es sei denn seinesgleichen.

Ewiges Leben ist – Überbevölkerungsfachleute meinen: zum Glück – sogar für Steinläuse unmöglich. Selbst Hundertjährige gibt es hierzulande schließlich gerade mal gut 25 000, obwohl sie immer mehr werden. Unsterblich allerdings sind auch die Ältesten darunter nicht. Bis auf einen natürlich: Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, bürgerlicher Abkömmling eines verarmten Mecklenburger Adelsgeschlechts, besser bekannt als: Loriot.

Vor gut zwölf Jahren ist der unsterblichste aller deutschen Komiker mit gerade mal 88 viel zu früh gestorben; er bleibt aber auch am 100. Geburtstag, den seine ARD umfangreich feiert, quietschfidel und quicklebendig. Wie sehr, zeigt mehr noch als die gut gereifte Biedermeiersatire „Pappa ante Portas“ im Anschluss ein Porträt zur besten Sendezeit. Fürs Empfinden des Porträtierten vermutlich zu unbescheiden in Großbuchstaben betitelt, lässt „LORIOT100“ eine Humorkarriere Revue passieren, die ihresgleichen sucht.

Spaßvogel und Staatsmann

„Weil man sich selbst darin gesehen hat“, sagt Helge Schneider zu Beginn. „Weil er in jede Zeit passt“, ergänzt Hape Kerkeling am Ende. „Weil er ein subversiver Künstler ist“, versichert Gerhard Haderer zwischendurch, während Wissenschaftler, Freunde, Kollegen (leider nur wenige Kolleginnen) das halbe Vokabular hiesiger Demutsbegriffe von Gentleman über Respektsperson bis Preuße im besten Sinne durchdeklinieren, als ginge es nicht um einen Spaßvogel, sondern um einen Staatsmann.

Aber gut – wenn ihm mit Gerhard Polt, Olli Dittrich, Torsten Sträter, Oliver Kalkofe oder (zum Glück doch ein paar Frauen) Mirja Boes und Sarah Bosetti Deutschlands geballte Humorkompetenz die Ehre erweist, zeigt sich eindrucksvoll: Er war halt beides in einem. Und der Regisseur André Schäfer weiß auch, wo diese Personalunion ihren Ursprung hat: in Brandenburg an der Havel, wo Loriot 1923 zur Welt kam als Sohn eines preußischen Polizeioffiziers, der seinen Filius frühzeitig prägte.

„Ich habe niemals über jemanden mehr gelacht als über meinen Vater“, sagt Vicco als Loriot 1986 in einem Interview und erzählt auch, warum: „Es war der witzigste Mann, den ich kannte, aber dabei sehr ernst.“ Genau diese Kombination macht den Sohn zum vielleicht witzigsten Mann der Generationen Wirtschaftswunder und Golf, dem auch die Generationen X bis Z noch etwas abgewinnen – das legen Huldigungen junger Epigonen wie der Komikerin Ariana Baborie oder dem Slam-Poet Jann Wattjes nahe.

Sie könnten seine Urenkel sein und bilden somit den Nachwuchs eines 90-minütigen Konzentrats realsatirischer Milieustudien, die ihren Untersuchungsobjekten – anders als Nach-unten-Treter à la Mario Barth oder Dieter Nuhr – alles abverlangt, ohne sich nach oben anzubiedern. Kosakenzipfel und Jodeldiplom, Erwin Lindemann und Familie Hoppenstedt, Mops und Ente, Nudel und Ehebett – das waren ja keine Abstraktionen, das waren wir alle. In überzeichneter, aber nie surrealer Form.

Vom Zwischenkriegskind zum Kaltkriegskomödianten

Und wie der kleine Vicco über den Umweg des großen Bülow Richtung unsterblicher Loriot reifen konnte – auch das erzählt André Schäfer angemessen demütig, ohne in Ehrfurcht zu verfallen. Die Trickfiguren Wum & Wendelin etwa, denen in der Quizshow „Der große Preis“ jeder Tiefgang fehlte, werden da ebenso wenig ausgespart wie Wehrmachtserfahrungen mit Auszeichnung. Nur: Interessanter ist eben Loriots Werdegang vom Zwischenkriegskind über den Weltkriegsjugendlichen und Nachkriegskarikaturisten bis hin zum Kaltkriegskomödianten mit musikalischem Spätwerk.

Stets an seiner Seite: Evelyn Hamann, die ungleich mehr war als ein weibliches Accessoire auf dem grünen Sofa von Radio Bremen. Sie erst hat dem Aberwitz bundesdeutscher Normalität Bodenhaftung verliehen und Loriots Werk damit etwas ungemein Altersloses. Obwohl er Damen wie Herren der nivellierten Mittelstandsgesellschaft fortwährend der Lächerlichkeit preisgibt, sei es in den Worten Hape Kerkelings „definitiv nicht frauenfeindlich“ gewesen – in der durchschnittlich verrauchten Mietwohnung mit Alleinverdiener nach 1945 also fast schon außergewöhnlich.

So außergewöhnlich wie der Nischenkomiker mit Massengespür und umgekehrt. Der ernsthaft komische Verhaltensanalytiker, der uns den Alltag im Korsett strikter Konventionen ein wenig lüften half. Weil er frischen Wind durch muffige Stuben blies und selbst mittendrin stand, nicht vor der Tür wie das politische Kabarett jener Tage. Deren Arbeit, doziert Loriot in einem Talkshow-Auftritt, „richtet sich gegen die Macht“. Weil sie in einer Demokratie „beim Volk, also den Wählern“, liege, richte er sich lieber an die, ohne über sie zu richten.