Der Verdienst vieler Textilarbeiterinnen in Bangladesh reicht gerade mal für ein Leben in Slums. Foto: imago images/ZUMA Press/Alison Wright via www.imago-images.de

Das Lieferkettengesetz will die Umwelt in den produzierenden Ländern schonen, die Arbeiterinnen in dortigen Fabriken schützen und für deren würdige Entlohnung sorgen. Die Betroffenen spüren davon nichts. Sie kennen das Gesetz nicht einmal.

Khalid Hossain kommt ins Schwärmen, wenn er von den Entwicklungen in seiner Branche berichtet: „Wir befinden uns auf einer aufregenden Reise!“ Dutzende Studierende sitzen ihm in einer Aula gegenüber, machen Notizen. Man mache große Fortschritte. Das sei für alle hier Anwesenden eine gute Nachricht. Denn wenn sie erst fertig studiert haben, werde es für sie mehr gute Jobs geben als je zuvor. Hossain sitzt auf dem Podium eines Hörsaals der BGMEA University of Fashion and Technology, einer der führenden Hochschulen für alle möglichen Spezialfächer rund um Textilien in der Hauptstadt Dhaka. Als führender Vertreter der Bangladesh Apparel Exchange, einem Verband der dortigen Textilindustrie, ist Khalid Hossain überzeugt: „Wir können wirklich damit prahlen, was wir alles geschafft haben in den letzten Jahren!“ Die Branche werde nachhaltig wachsen.

Die Veranstaltung trägt den Titel: „Das Dilemma um den Textilhandel zwischen Bangladesch und Deutschland: Schnelles Wachstum mit Nachhaltigkeit in Einklang bringen.“ Deutschland, Bangladeschs zweitgrößter Abnehmer von Exporten, nimmt seit kurzem eine Vorreiterrolle ein, wenn es um den Versuch der Vereinbarung dieser zwei oft widerstreitenden Ziele geht: Das 2021 verabschiedete Lieferkettengesetz soll sicherstellen, dass künftig Menschenrechte und Umweltstandards geschützt werden.

Mitte März beschloss die Europäische Union noch das EU-Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Für Länder wie Bangladesch – dem nach China zweitgrößten Textilexporteur der Welt – müsste sich damit einiges ändern. Hossain sagt, „wir sind führend, wenn es um nachhaltiges Wachstum geht!“ Denn bei der Ausarbeitung der neuen Gesetze habe man engen Austausch mit Deutschland und der EU gehabt.

Unglück mit 1100 Toten

Gesetze, die Lieferketten überwachen, sind für Länder wie Bangladesch kaum zu überschätzen. Im südasiatischen 175-Millionenland arbeiten rund vier Millionen Menschen im Textilsektor. Die Branche ist die größte der heimischen Volkswirtschaft, steuert mehr als zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, befindet sich seit Jahrzehnten auf Wachstumskurs. Auch deshalb führt der nationale Industrieverband BGMEA (Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association) seit einigen Jahren diese moderne Hochschule am Rande von Dhaka.

Reich geworden am Textilboom im Land sind nur die produzierenden Betriebe. Diejenigen, die unter hohen Temperaturen oft zwölf Stunden am Tag an den Nähmaschinen saßen, bekamen niedrige Löhnen und waren Gefahren ausgesetzt. Der schlimmste von mehreren Vorfällen war der Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik bei Dhakar, die für für Primark, Benetton, Mango, C&A und Kik produzierte. Im Jahr 2013 kamen dort mehr als 1100 Menschen ums Leben, mehr als 2000 wurden verletzt. Das Unglück war ein Weckruf. Er warf plötzlich ein Schlaglicht auf die miserablen Arbeitsbedingungen in der Branche.

Das in Deutschland nach Jahren hitziger Diskussion beschlossene Lieferkettengesetz verpflichtet nun in Deutschland ansässige Unternehmen mit mindestens 1000 Mitarbeitenden, alle Ebenen der eigenen Lieferketten zu überwachen. Diese 5000 Betriebe müssen Sorge tragen, dass weder Kinder- noch Zwangsarbeit in ihrer Ware steckt, dass Arbeitnehmerinnenrechte eingehalten werden und die Umwelt geschont wird.

Schläge bekommen Arbeiterinnen nicht mehr

Wenn ab 2032 das EU-Gesetz – das von der FDP in mehreren Punkten abgeschwächt wurde – vollumfänglich gilt, sind europäische Betriebe noch durch etwas strengere Vorgaben reguliert. Ein Erfolg also?

Eine Autostunde von der Hochschule entfernt, bei der AWAJ Foundation im Zentrum von Dhaka, teilt man den Optimismus nicht. „Auf die Idee, alles sei gut, kann man nur kommen, wenn man uns nicht zuhört“, sagt Halima Begum, die sich bei der AWAJ Foundation engagiert und in einer Fabrik arbeitet, die für Tchibo produziert. Die Stiftung hat sich dem Kampf um Arbeiterrechte im Textilsektor verschrieben. Die 32-Jährige kommt gerade aus einer Besprechung mit Gewerkschafterinnen anderer Fabriken: „Von einem Lieferkettengesetz hat in den Fabriken niemand ein Wort gehört.“ Die Arbeitgeber hätten darüber nicht informiert. Sie habe erst durch die AWAJ Foundation davon erfahren. „Aber es hat sich seitdem auch nichts geändert in den Fabriken.“

Nur marginal habe sich bemerkbar gemacht, dass sich europäische Marken zusammengeschlossen haben, um neuen Gesetzgebungen zuvorzukommen: „In den Fabriken, die für Europa arbeiten, werden die Arbeiterinnen heute nicht mehr geschlagen“, sagt Begum bitter lächelnd. Aber sei es dies, was Arbeitsbedingungen ausmache, auf die ein Land stolz sein könne? Sie selbst hat als Kind vor rund 20 Jahren in der Branche angefangen und ist zur Managerin aufgestiegen. „Ich habe seit Jahren Schmerzen, weil ich stundenlang an der Nähmaschine sitzen und den Kopf beugen musste.“ Medizinische Versorgung sei erst seit kurzem Teil des Arbeitsrechts. Wenn sie eine größere Behandlung brauche, müsse sie die Kosten vom eigenen Lohn bezahlen – wie auch das Pendeln zum Arbeitsplatz. Deswegen lebt ein Großteil der Arbeitskräfte in fußläufiger Nähe zum Arbeitsplatz.

Für Europa darf es nicht zu teuer werden

„Bei den letzten Verhandlungen haben wir einen Mindestlohn von 24 000 Taka gefordert.“ Das entspricht rund 200 Euro. Die Regierung aber hat sich letztlich auf 12 500 Taka festgelegt. „Das reicht nicht für ein vernünftiges Leben“, sagt Begum. „Ich habe zwei Kinder und ernähre noch meine Schwiegereltern mit. Wir leben in zwei Zimmern und müssen uns ein Bad mit vier anderen Wohnparteien teilen.“ Dabei ist sie als Managerin eine Besserverdienerin.

Die Löhne der meisten Arbeitskräfte im Textilsektor sind bis heute so niedrig, dass sie nur für Lebensumstände in slumähnlichen Vierteln reichen, sagt Yusuf Saadat vom Centre for Policy Dialogue, einen unabhängigen Thinktank in Dhaka. „Wir haben ausgerechnet, dass man für eine vierköpfige Familie pro Monat mindestens 24 000 Taka allein für eine ausgewogene Ernährung bräuchte. Alle weiteren Kosten wie Miete und Gesundheit kommen noch obendrauf.“ Die Textilarbeiter blieben trotz Lieferkettengesetz arm. Ein wichtiger Grund dafür sei: „Die BGMEA ist die stärkste Lobby im Land. Viele Vertreter sind auch in der Politik engagiert.“ So werde die seitens des Industrieverbands so gelobte Kooperation mit den europäischen Marken für neue Standards oft auf dem Rücken der Arbeitskräfte ausgetragen.

Wie viel ist ein Lieferkettengesetz wert, wenn die Arbeitskräfte, die dadurch geschützt werden sollen, davon nichts wissen? Und wenn es trotz neuer Arbeitsstandards keine gerechten Löhne garantiert? Khalid Hossain von der Hochschule räumt ein: „Wir haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass viele Fabriken grün geworden sind“, sagt er. „Aber das bezahlen ja nicht die Abnehmer in Europa, sondern wir.“ Anders ausgedrückt: Es geht bloß Umweltschutz oder Lohnerhöhungen. Aber beides auf einmal funktioniere nicht, denn „wir müssten sonst höhere Abnahmepreise aus Europa erhalten,“ erklärt Hossain.