Susa Ramsthaler liest aus dem Buch von Irmgard Keun, das 1932 erschien. Foto: Mostbacher-Dix

Der Kunstraum Oberwelt stellt Autorinnen vor. Den Auftakt machte Irmgard Keun mit ihrem 1932 verfassten Roman „Das kunstseidene Mädchen“.

S-West - Das war gestern Abend so um zwölf, da fühlte ich, dass etwas Großartiges in mir vorging ... Aber ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so sein.“ Eine Portion Chuzpe gepaart mit einer Prise Siegessicherheit blitzen aus Susa Ramsthalers Augen. In königsblauem Kleid, Spangenschuhen à la End-Zwanziger und Plüschschal gibt sie Doris, „getauft und christlich und geboren“, im Jahre 1931 lebend und mit dem festen Willen „ein Glanz“ in der großen Stadt Berlin zu werden. In ihren eigenen Augen hat sie das Zeug dazu. Die 18-Jährige aus kleinem Hause einer mittleren Stadt der Provinz beschreibt sich wie den Stummfilmstar „Colleen Moore, wenn sie Dauerwellen hätte und die Nase mehr schick ein bisschen nach oben.“

Steinige Wege nach oben

Doris, das ist die Protagonistin im Roman „Das kunstseidene Mädchen“, die mit Tricks und vor allem mit Hilfe von Männern versucht, zum Ende der Weimarer Republik in die bessere Gesellschaft aufzusteigen. Nur um am Ende zu erkennen „Auf den Glanz kommt es nämlich vielleicht gar nicht so furchtbar an.“

Geschrieben hat dies 1932 Irmgard Keun, die als eine der wichtigen Vertreterinnen der Neuen Sachlichkeit gilt. Wie die Schriftstellerin bereits damals hinterfragte, auf welche Weise Frauen es schaffen, beruflich und gesellschaftlich anerkannt zu werden, das ist tragisch, komisch, brillant und – in Zeiten, in denen allerlei Casting-Shows boomen – höchst aktuell.

Keuns Person und ihr Werk bildeten am vergangenen Freitag den passenden Anfang eines neuen Sets literarischer Abende in der Oberwelt, die nach Autoren nun Autorinnen gewidmet sind. Kuratiert hatte den Auftakt in dem Offspace, der 1978 von Studenten gegründet wurden, um die Grenzbereiche der Kunst auszuloten und über Kunsttheorie, Soziologie, Politik oder künstlerische Praxis zu diskutieren, Annik Aicher. Die Literaturwissenschaftlerin und Journalistin schlug – nach Ramsthalers performativer Lesung – die Brücke zur Gegenwart. „In Baden-Württemberg verdienen Frauen noch 25 Prozent weniger als Männer, im Bundesdurchschnitt sind es 21,6 Prozent, selbst bei gleicher Tätigkeit“, zitierte sie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Eine schreibende Frau mit Humor

Derlei Statistiken gab es noch nicht, als Irmgard Keun ihr kunstseidenes Mädchen schrieb. Das Mädchen aus gutem Hause hatte noch mit anderen, jahrhundertealten Vorurteilen zu kämpfen, etwa dass Frauen nichts Eigenes hervorbringen, sondern lediglich reproduzieren könnten. „Man folgerte, das Genie kann nur männlich sein“, so Aicher. Ihr höchst gelobter Erstling „Gigli – eine von uns“ wurde als Plagiat bezeichnet. Auch von Kurt Tucholsky, der zunächst konstatierte: „Eine schreibende Frau mit Humor, sieh mal an!“ Ein Eklat freilich war, dass Keun, deren Bücher die Nazis als unmoralisch verboten, selbst einen schillernden Lebensstil führte – und da manchem männlichen Kollegen in nichts nachstand. Sie hatte mehrere Männer, unter anderem den österreichischen Schriftsteller Joseph Roth, war Alkoholikerin, konnte schlecht mit Geld umgehen, gebar nach dem Krieg ein Kind, dessen Vater sie verschwieg. „Sie liebte ihre Tochter innig“, so Aicher. „Aber manchmal gab es nur Cognac für Irmgard und Salzletten für das Kind.“