Anja Bunge zeigt Risse in einer Wand in ihrem Wohnhaus Wohnhaus in Leonberg. Foto: dpa

Nach Erdwärmebohrungen sind an Gebäuden in Leonberg teils massive Schäden entstanden.

Leonberg - Nach Geothermiebohrungen sind an Gebäuden im Leonberger Stadtteil Eltingen teils massive Schäden aufgetreten. 24 Häuser sind bisher betroffen, hieß es am Montag im Böblinger Landratsamt. Gutachter forschen nach der Ursache. Am Dienstagabend gibt's Informationen zum Stand der Erkenntnisse.

Bernd Arnold hat es sprichwörtlich faustdick erwischt. Zuerst klemmte vor einigen Tagen die Tür, dann knisterten die Holzbalken. Und nach einem lauten Schlag fiel die Familie in der Nacht fast aus den Betten. Eine fünf Zentimeter große Lücke klafft nun neben der Eingangstür. In die Lücke passt eine Faust. Stück für Stück ist der Riss höher gekrochen. Nun reicht er von den Fliesen bis zur Decke und zieht sich über drei Stockwerke. Innerhalb von zwei Tagen sind Ende Juli erhebliche Gebäudeschäden in der Thomas-Mann-Straße entstanden. Für die geschädigten Bewohner liegt die Ursache auf der Hand: Schuld sind die Bohrmaschinen auf dem Grundstück eines etwa hundert Meter entfernten Hauses. Dort wurde nach Erdwärme gesucht.

Keine weiteren Bohrungen

Vor rund zwei Wochen rückte eine riesige Spezialbohrmaschine in der Thomas-Mann-Straße in Leonberg-Eltingen an. Drei Tage später wurden die Nachbarn jäh aus dem Schlaf gerissen: Betonstücke brachen laut auseinander und Kacheln fielen aus den Fugen. Am nächsten Morgen entdeckten die betroffenen Bürger haushohe Mauerrisse an ihren Außen- und Innenwänden. Nach und nach kamen im Wohngebiet immer mehr Schäden ans Licht. Die Bohrarbeiten wurden von der Stadt Leonberg gestoppt. In die Bohrlöcher wurde Zement gegossen. Damit sollte ein weiteres Absacken des Fundaments verhindert werden.

Für Kurt Braun kamen diese Maßnahmen zu spät. Sein Haus sackte um etwa zwei Zentimeter ab, neigte sich zur Seite. Seither trennt ein fingerdicker Spalt den Grundbau und den Anbau des Sohnes. Braun moniert: "Wenn dafür kein Schuldiger gefunden wird, bleiben die Kosten an uns hängen." Für den Gutachter, der sich die Schäden ansah, musste Braun bereits 1000 Euro zahlen. Er kritisiert, dass keine Informationen durchdringen: "Alle sagen nur abwarten, abwarten, abwarten." Auch Nachbar Frank Riethmüller, auf dessen Grundstück gebohrt wurde, ist geschockt.

Nach rund einer Woche Ursachenforschung wissen die Experten des Landratsamts Böblingen und des Landesamts für Geologie noch nicht, ob die Risse auf geothermische Arbeiten zurückgehen. Der Sprecher der Kreisbehörde, Dusan Minic, versichert, es werde keine weitere Bohrung geben, bis die Ursache geklärt sei - doch dies kann bis Ende der Sommerferien dauern. Über die bisherigen Erkenntnisse werden die Betroffenen am heutigen Dienstag im Großen Sitzungssaal des Leonberger Rathauses informiert. Beginn ist um 18.30 Uhr.

80 Meter in die Erde

Ratlos ist auch der Leiter des Freiburger Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, Ralph Watzel. "Wir wissen nicht, welche Mechanismen in Leonberg gewirkt haben", sagt er. In der Regel sei es Aufgabe der Bohrfirma, die Technik auf die individuelle geologische Situation abzustimmen.

Die Bohrfirma will sich den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen. "Die Sache wird enorm hochgespielt, das ist unglaublich", sagte ein Sprecher der Geschäftsleitung. Bevor kein Gutachten feststehe, werde man sich nicht zu den Vorfällen in Leonberg äußern. Das Unternehmen war mit seinen tonnenschweren Bohrmaschinen 80 Meter in die Erde eingedrungen. Diese Tiefe ist nach Auskunft des Firmensprechers "völlig im Rahmen". In der gesamten 37-jährigen Firmengeschichte sei kein vergleichbarer Fall passiert.

Den bisher folgenschwersten Fall von Problemen bei Tiefen-Bohrungen hat das südbadische Staufen vorzuweisen, als im Jahr 2007 mehrere Hundert Häuser beschädigt wurden. In Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) wurden im Herbst 2008 für ein Wohnhaus im Lilienweg zwei 115 Meter tiefe Erdwärmesonden gebohrt. Die Folge: Der Grundwasserspiegel senkte sich, an der 200 Meter bergab gelegenen Keplerschule entstanden ebenso breite Risse wie auch an etlichen Privathäusern wie jenem von Gerhard Brunner im Dahlienweg. "Wie Schüsse" habe es geknallt, wenn in der Nacht sich die Spannungen in den Wänden und Ecken entluden. Mittlerweile wurden auf Initiative des Waiblinger Landratsamts die Bohrlöcher für 305.000 Euro repariert - das Geld hat die Versicherung der Bohrfirma an die Kreisbehörde überwiesen. Die Rissbildung an den Gebäuden wurde gestoppt - doch die vorhandenen Schäden müssen beseitigt werden. Weitere juristische Auseinandersetzungen sind zu erwarten, da die Bohrfirma zu Zahlungen bisher nicht bereit ist.