OB Fritz Kuhn spricht in der Turnhalle des Solitude-Gymnasiums mit Asylbewerbern. Doch mit einer ersten notdürftigen Unterbringung wird es auf Dauer nicht getan sein. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Politik konzentriert sich auf die Bewältigung des Flüchtlingsandrangs. Doch die größere Herausforderung wird vernachlässigt: Die Frage, wie die vielen Neuankömmlinge künftig integriert werden, wo sie wohnen und arbeiten sollen.

Stuttgart - Gut 5200 Flüchtlinge leben derzeit in Stuttgart. Für eine stolze Landeshauptstadt mit einem gewissen Wohlstand und 600 000 Einwohnern ist das eigentlich nicht viel. Und doch brodelt es an allen Ecken und Enden. Bei vielen städtischen Stellen ist Land unter, Anwohner gehen auf die Barrikaden, neue Standorte für Asylbewerber werden diskutiert, verworfen oder beschlossen. Und auch so mancher Flüchtling selbst hat inzwischen massiv unter der Not an Unterkünften zu leiden. In den Turnhallen, die jetzt nach und nach belegt werden, regt sich bereits Widerstand. Die Aussicht, monatelang mit der Familie in einer überfüllten Halle hinter Baustellengittern leben zu müssen, wäre wohl für jeden deprimierend.

Der vielbeschworene Stuttgarter Weg endet an den nackten Zahlen. Flüchtlinge auf möglichst kleine Standorte über das ganze Stadtgebiet zu verteilen ist schlicht nicht mehr möglich, wenn jeden Monat 1200 Menschen zusätzlich kommen. Die Stadtverwaltung kann für diese Entwicklung nichts, muss aber die Folgen tragen – genauso wie die Bürger. Sie sehen kein Ende des Zustroms und kein Konzept für die Zukunft. Denn zu glauben, mit sicher sinnvollen Verschärfungen des Asylrechts und verstärkten Abschiebungen ließe sich die Lage in den Griff bekommen, wäre eine Sackgasse. Alles deutet darauf hin, dass der Großteil der Flüchtlinge dauerhaft in Deutschland bleiben wird.

Gerade deshalb wäre es längst an der Zeit, sich über die Zukunft Gedanken zu machen. Die Politik jedoch ist derzeit ausschließlich damit beschäftigt, sich zu streiten und die Erstaufnahme der Leute irgendwie geregelt zu bekommen. Doch die wirklichen Schwierigkeiten beginnen erst danach. Viele der Flüchtlinge werden Asyl bekommen. Dann brauchen sie Wohnungen, Arbeit, Sprachkenntnisse und Integration, um ihren Beitrag leisten zu können und keine Dauerfälle für die Sozialkassen zu werden. Dabei darf man nicht blauäugig sein: Bei manchen wird die Eingliederung einfach sein, bei vielen anderen aber eine Herausforderung.

Der Stuttgarter Weg muss deshalb eine neue Richtung nehmen. Er muss sich mit der Zukunft befassen. Nicht ewig werden sich Freundeskreise um jeden Asylbewerber kümmern können. Wie schafft man es, die Neuankömmlinge zu Stuttgartern zu machen? Wie vermeidet man Parallelgesellschaften? Woher kommen die Wohnungen, die man braucht? Oberbürgermeister Fritz Kuhn hat erst vor kurzem betont, es dürfe keine Konkurrenz zwischen Asylbewerbern und Einheimischen entstehen. Die aber droht vor allem auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Deshalb müssen der Mahnung Taten folgen. Die Stadtverwaltung muss Antworten finden, wie das gemeinsame Leben in Stuttgart funktionieren kann. Doch klar ist auch: Schwillt der Zustrom weiter ungebremst an, fällt auch das schönste Konzept der Realität zum Opfer.

j.bock@stn.zgs.de