Die Lokführer drohen mit einem Ausstand Foto: dpa

Bei der Bahn konkurrieren zwei Gewerkschaften um Macht, Einfluss und Mitglieder. Sie tun dies allerdings auf dem Rücken der Kunden – deshalb ist es höchste Zeit, für solche Fälle einige klare Spielregeln festzulegen.

Bei der Bahn konkurrieren zwei Gewerkschaften um Macht, Einfluss und Mitglieder. Sie tun dies allerdings auf dem Rücken der Kunden – deshalb ist es höchste Zeit, für solche Fälle einige klare Spielregeln festzulegen.

Stuttgart - Wenn sich die Tarifparteien nicht noch in letzter Minute einigen, steht Reisenden in Deutschland ein heißer Herbst bevor: Sowohl bei der Bahn als auch bei der Lufthansa spitzt sich die Tarifauseinandersetzung zu. Bei den Konflikten geht es um mehr als die üblichen Lohnprozente. Das zeigt sich schon an den Lohnforderungen: Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) legte ein Forderungspaket auf den Tisch, das sich nach Angaben der Bahn auf rund 15 Prozent summiert. Für die Piloten fordert die Vereinigung Cockpit ein Plus von rund zehn Prozent. Daher dürfte sich das Verständnis vieler Reisender für Einschränkungen in Grenzen halten – und das zu Recht.

Im Mittelpunkt dieser Tarifkonflikte stehen Eigeninteressen von Gewerkschaftsfunktionären, die sich um Macht und Einfluss streiten. Bisher vertrat die Gewerkschaft GDL nur die Lokführer der Bahn, während die EVG für die übrige Belegschaft zuständig war. Nun will die GDL ihren Einfluss auf das gesamte Zugpersonal ausweiten – im Gegenzug greift die EVG nach der Macht bei den Lokführern. Es tobt ein Machtkampf auf dem Rücken der Bahn – und von deren Kunden.

Etwas anders gelagert ist der Fall bei der Lufthansa, die ebenfalls mit unterschiedlichen Gewerkschaften in Verhandlungen steht, die ihre Zuständigkeiten aber voneinander abgegrenzt haben. Doch auch dort werden Einzelinteressen auf dem Rücken der Kunden ausgetragen. Denn die 5400 Piloten, die von der Vereinigung Cockpit vertreten werden, sind eine kleine, feine Minderheit in der Lufthansa-Belegschaft – ohne die in dem 117 000-Mitarbeiter-Konzern nichts läuft. Das verschafft der Mini-Gewerkschaft ein gewaltiges Druckpotenzial: Das Unternehmen wird sich gut überlegen, ob es tatsächlich einen riesigen Betrieb stilllegt, weil es sich mit einer vergleichsweise kleinen Beschäftigten- gruppe nicht einigen kann.

Läuft der Verkehrssektor nicht rund, steht die Wirtschaft still

Längst hat diese Tarifauseinandersetzung eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung gewonnen. Wenn der Verkehrssektor nicht rund läuft, droht der Wirtschaft der Stillstand. Pendler kommen nicht zur Arbeit, Fabriken müssen schließen, weil der Nachschub fehlt. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat inzwischen ein Eckpunkte-Papier vorgelegt, das vorsieht, dass in Betrieben keine konkurrierenden Tarifverträge gelten können. Doch würde kleineren Gewerkschaften das Recht genommen, Tarifabschlüsse abzuschließen, wäre das Grundrecht der Koalitionsfreiheit wohl so stark beschnitten, dass die Regelung kaum vor dem Verfassungsgericht bestehen könnte.

Längst gibt es jedoch intelligente Vorschläge, wie die Eskalation von Tarifforderungen gebremst werden kann. So ist es durchaus möglich, gesetzlich dafür zu sorgen, dass Tarifforderungen nicht nacheinander, sondern parallel verhandelt werden müssen. Dadurch lässt sich verhindern, dass Gewerkschaft A einen Vertrag abschließt und Gewerkschaft B Forderungen draufsattelt, um Gewerkschaft A vorzuführen.

An einem Ende dieses unwürdigen Gezerfes muss auch den Gewerkschaften selbst gelegen sein. Denn das wichtigste Faustpfand, das sie besitzen, ist die Zusicherung an die Arbeitgeber, bei einer Einigung für längere Zeit den Betriebsfrieden zu wahren. Je mehr Gewerkschaften aber zu unterschiedlichen Zeiten auf die Arbeitgeber zugehen, desto weniger ist ein Abschluss für die Arbeitgeber wert, weil sie trotz Einigung schon bald mit dem nächsten Streik rechnen müssen. Einige klare Spielregeln, die dafür sorgen, dass wieder der Ausgleich zwischen den Tarifparteien im Mittelpunkt steht und nicht der Bruderzwist zwischen Gewerkschaften, erscheinen daher überfällig.