Symbolisch für die Diskussionen im deutschen Spitzensport: Ringen um die Reform Foto: Baumann

Das Ziel der Leistungssportreform ist klar: Mehr Gold fürs Geld. Doch über die Wege dorthin tobt der Streit. An diesem Wochenende stimmt der DOSB über sein Maßnahmenpaket ab und verpasst nach Meinung von StN-Autor Gunter Barner die Chance, eine grundlegende Frage zu beantworten: „Welchen Sport will diese Gesellschaft – und was ist er ihr wert?“

Stuttgart - Die Welt ist kompliziert geworden. Sogar für den Papst. Als der Pontifex via Twitter den Athleten bei den Sommerspielen in Rio viel „Erfolg“ wünschte, gab’s einen Rüffel über die automatische Software der Rechteschützer vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Das Wort „Erfolg“ war während der Wettbewerbe für den Gebrauch durch Sponsoren reserviert. Zwar haben die Herren der Ringe bei Franziskus umgehend um Nachsicht gebeten und die Regeln gelockert, aber der Eindruck blieb haften: Dem Spitzensport ist im Dreikampf aus Gold, Geld und Gier so gut wie nichts mehr heilig. Der Wertekanon Olympischer Spiele gerät mehr und mehr zur billigen Camouflage für das undurchsichtige Geflecht rücksichtloser Funktionäre.

Das Potenzialanalyse-System

Der olympische Glanz verblasst. Das macht die Diskussionen um die Reform im Spitzensport nicht leichter. An diesem Wochenende stimmen die führenden Köpfe deutscher Bewegungswelten in Magdeburg über ein Paket ab, das wieder mehr Topathleten zu Olympiasiegern macht. Verkürzt auf die Formel „mehr Gold fürs Geld“ hirnten die Emissäre des Bundesinnenministeriums, des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) und der Fachverbände zwei Jahre lang über neue Wege zum Erfolg. Schon jetzt sind sich die Kritiker der Reform einig, dass der Berg kreißte und eine Maus gebar. Noch dazu eine mit monsterhaften Zügen. Sie trägt den Namen Potenzialanalyse-System, ihre Freunde rufen sie Potas. Sie wertet für jede sportliche Disziplin 20 Haupt- und 59 Unterkategorien per Computer aus. Dann beugt sich eine fünfköpfige Kommission über die Ergebnisse, ordnet beispielsweise den Hockeysport je nach Erfolgsaussichten drei möglichen Clustern zu. Und wenn es gut läuft, hebt die Förderkommission, in der Vertreter des Ministeriums und des betroffenen Sportdachverbands sitzen, unter Leitung des DOSB den Daumen. Dann gibt es den maximalen Schluck aus der Steuergeld-Pulle. Wer schlecht abschneidet, hat ein ziemlich großes Problem.

Was so umstandskrämerisch klingt, soll die jährlichen Bundeszuschüsse von 163 Millionen Euro gezielter als bisher dorthin lenken, wo das Geld Rendite in der beliebtesten Sport-Währung abzuwerfen verspricht: Olympia-Gold. Was bedeutet, dass es es keine Erbhöfe mehr geben wird, wie bei den einst so erfolgreichen Musketieren. Und Sportverbände wie die Schwimmer, die ihre Arbeit noch eher Pi mal Daumen ausrichten, werden ihre Kräfte bündeln müssen. Auch gegen das Vorhaben, die Zahl der Olympiastützpunkte von 19 auf 13 zu reduzieren, ist wenig zu sagen. Aber wie immer im Ringen um Reformen, haben die Beteiligten im Vorfeld das eine oder andere Kriterium verwässert. Ganz ohne finanzielle Grundförderung werden nur Sportarten auskommen müssen, die ihre Geschäfte so erbärmlich führen, dass jeder Zuschuss an die Veruntreuung von Steuergeldern grenzt. Auch die vier Olympiastützpunkte in Baden-Württemberg bleiben allen Befürchtungen zum Trotz weitgehend ungeschoren. Nur den Fechtern in Tauberbischofsheim droht Ungemach.

Zerstörte Werte

Was die Reform tatsächlich taugt, wird sich erst in Jahren erweisen. Klar ist aber schon jetzt, dass die Lenker der deutschen Sports die Chance verpasst haben, die grundlegende Frage zu stellen: Welchen Sport will diese Gesellschaft und was ist er ihr wert? Die Strukturen konsequenter als bisher auf Erfolge auszurichten, ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass in Zeiten, in denen Doping, Korruption, Größenwahn und kommerzielle Ausbeutung den Sport zerstören, der Sieg um jeden Preis kein Wert mehr ist, den der Steuerzahler alimentieren sollte.

gunter.barner@stuttgarter-nachrichten.de