Michael Fischer und seine Frau Gisela Staufner Foto: Engel

Michael Fischer nennt sich selbst einen Edelbehinderten. Probleme hat er trotzdem. Zurzeit sucht der Degerlocher seinen 65. Helfer.

Degerloch - Einen Schluck Wasser trinken, sich am Kopf kratzen oder sich die Zähne putzen: alltägliche Kleinigkeiten, für die Michael Fischer helfende Hände braucht. Seit einem Autounfall im Jahr 1985 sitzt der 54-jährige Degerlocher im Rollstuhl. Die Diagnose lautet Querschnittlähmung im Bereich des vierten und fünften Halswirbels. Konkret bedeutet das: Kopfschütteln und Schulterzucken ist kein Problem, ein Glas anheben unmöglich. Deshalb sucht er gerade seinen 65. Helfer.

„Im Prinzip brauche ich rund um die Uhr Hilfe“, sagt Fischer. Zwar hatte er Glück im Unglück, der Ingenieur kann auch nach seinem Unfall am Schreibtisch arbeiten – wenn auch nicht ohne die Unterstützung der Familie und Freiwilliger. Vor allem nachts und am Wochenende muss Fischer auf solche Helfer zurückgreifen. Seit dem Wegfall des Wehrdienstes und des damit verknüpften Zivildienstes gestaltet sich die Suche nach geeigneter Hilfe allerdings immer schwieriger.

Michael Fischer muss sich was ausdenken, um Hilfe zu finden

„Früher mussten die jungen Männer einen Dienst ableisten – da war es deutlich einfacher, Zivis zu finden“, sagt Fischer. Mittlerweile muss der Maschinenbauingenieur bei der Suche nach seinem 65. Helfer kreativ werden. Wo früher Plakate in Schulen ausreichend Bewerber für die Stelle brachten, wird Fischer heute viel eigenes Engagement abverlangt. „Vor knapp zwei Jahren haben wir eine Kurzdokumentation über meinen letzten Zivi und mich gedreht“, erzählt Fischer. Dabei habe er intime Einblicke in seine Privatsphäre gewährt, um potenziellen Helfern die Scheu zu nehmen. Schließlich ist Pflegen nicht jedermanns Sache.

Angefangen beim Aufstehen, der Körperpflege und dem Anziehen – wer sich nicht vorstellen konnte, wie viele Handgriffe für die individuelle Versorgung nötig sind, bekommt durch die Doku einen Einblick. Viele positive Rückmeldungen habe er auf den Film bekommen. Leider reiche dieser zwischenzeitlich auch nicht mehr aus, Helfer zu finden.

Zwei bis drei davon braucht Michael Fischer pro Jahr. In der Regel habe man eine Woche Dienst, eine Woche frei. Dabei sind vor allem die Kosten für die Rundumpflege enorm: Ein Zivi, beziehungsweise der vom Bund geschaffene Nachfolger, der Bundesfreiwilligendienstler (Bufdi) oder jemand, der ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert (FSJ), kostet pro Stunde elf Euro. Bei einer durchschnittlichen Einsatzzeit von dreihundert Stunden im Monat summieren sich die Kosten auf 3300 Euro. Abzüglich des Pflegekassenanteils muss Fischer 1800 Euro monatlich selbst aufbringen.

„Ich bin ein Edelbehinderter“

Wenn es keine FSJler oder Bufdis gäbe, müsste er auf Springerkräfte des Trägers zurückgreifen. Die kosten allerdings das Doppelte. Das spornt Fischer an: „Ich suche immer dringend nach Bufdis oder FSJlern, damit das Geld bis zum Ende reicht“, sagt er.

Der Querschnittgelähmte weiß aber auch um seine privilegierte Lage: „Ich bin ein Edelbehinderter. Meine Familie unterstützt mich auch finanziell, und ich kann zudem arbeiten“, sagt Fischer. Sonst wären diese Summen nicht zu tragen. Trotzdem eint ihn und andere Hilfebedürftige die Sorge um Helfernachschub.

Um bundesweit junge Menschen zu finden, ist Fischer auch dem sozialen Netzwerk Facebook beigetreten. Auf einer eigenen Seite können sich dort ehemalige und künftige Helfer austauschen. Im Jahr 2013 schaltete er Stellenanzeigen bei mehreren Suchportalen für Bufdi-Stellen. „Ich kann überhaupt nicht planen, wenn ich nicht weiß, ob ich im Sommer noch genug Helfer habe“, sagt Fischer. Eine zusätzliche Belastung – die oft schlaflose Nächte bedeutet – zu der ohnehin nicht einfachen Situation.

Ab dem Sommer sucht er auch mit Plakaten in Spanien

Die Helfernot macht erfinderisch: In diesem Jahr sucht Fischer zum ersten Mal auch international. Dank seiner Nichte, die Kontakte nach Spanien hat, will der Rollstuhlfahrer ab dem Sommer auch dort via Plakaten an Schulen nach Helfern suchen. Einzige Voraussetzung: ein paar Brocken Deutsch und ein Führerschein. Er hofft, die dortige Arbeitslosigkeit könne junge Menschen zu einem sozialen Dienst im Ausland motivieren.

Helfer oder Helferin Nummer 65 erwartet bei Michael Fischer ein durchaus lehrreiches Jahr. „Alle haben bei mir an Lebenserfahrung gewonnen“, sagt Fischer. Das verlange ihm allerdings auch manchmal starke Nerven ab. Schließlich mache jeder am Anfang die gleichen Fehler – und der Degerlocher war natürlich selbst bei den bisherigen 64 Anfängern und ihren Fehlern dabei.