Die CDU ringt um die Mehrheit der Direktmandate in Stuttgart, die Grünen verteidigen sie. Foto: dpa

Atomkatastrophe in Japan und heftige Verwerfungen um Stuttgart 21 – so ungewöhnliche Rahmenbedingungen wie 2011 gibt es diesmal nicht. Dennoch wird den die Grünen in Stuttgart einiges zugetraut

Stuttgart - Den höchsten prozentualen Stimmenanteil in Stuttgart und drei Viertel der Direktmandate – die Grünen haben sich bei der Landtagswahl 2011 in der Landeshauptstadt sensationell als stärkste politische Kraft etabliert, nachdem sie fünf Jahre zuvor noch als Dritte über die Ziellinie gegangen waren. Aber bei der Wahl 2011 herrschten ja auch quasi irreguläre Verhältnisse, wurde damals gleich eingewendet.

Im japanischen Fukushima war es nämlich gerade zur Atomkatastrophe gekommen. Und CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus hatte den Karren seiner Partei gegen die Wand gefahren, indem er sich als Rambo betätigte und den Baubeginn des völlig umstrittenen Bahn- und Städtebauprojekts Stuttgart 21 brachial durchsetzen ließ. Inzwischen spricht von Fukushima nur noch selten jemand, und der leidige Streit um Stuttgart 21 hat den größten Schrecken verloren.

Werden in Stuttgart daher am 13. März die alten Verhältnisse wiederhergestellt? Werden die Grünen von den Wählern wieder zurechtgestutzt und – wenn schon nicht auf Rang Nummer drei – auf den zweiten Platz zurückverwiesen? Müssen sie die Direktmandate, die sie 2011 zum ersten Mal errangen, wohl wieder abgeben? Womöglich alle vier der CDU überlassen, die 2006 den Durchmarsch geschafft hatte? Oder werden sie sich noch einmal – wie 2011 mit drei Prozentpunkten Vorsprung – vor der CDU als stärkste politische Kraft etablieren können? Das sind in Stuttgart vor dem 13. März die spannendsten Fragen.

Beide Parteien beanspruchen alle Direktmandate

Fragt man die beiden Parteien, die sich um die Direktmandate duellieren, dann ist die Sache einfach: Sowohl die Christdemokraten wie auch die Grünen haben den Anspruch, vier Sitze direkt zu gewinnen. Bei den entsprechenden Tönen der CDU könnte es sich allerdings um das berühmte Pfeifen im Wald handeln, mit dem man gegen die eigene Angst ankämpft. Hohe Umfragewerte der rechten AfD müssen die Union eigentlich auch noch um das letzte Direktmandat bangen lassen, das ihr 2011 in der Landeshauptstadt Stuttgart geblieben ist.

Der Politologe Oscar W. Gabriel, emeritierter Professor der Universität Stuttgart, kann der CDU wenig Hoffnung machen. „Kurzfristig sehe ich nicht, wie sie die verlorenen Direktmandate zurückgewinnen könnte“, sagte er unserer Zeitung. Dafür müsste die Partei „ganz, ganz starke Personalangebote“ haben. Die Trends hätten zuletzt gegen die Wiedereroberung gesprochen. Die Umfragewerte der CDU im Land seien weiter unter das schon schlechte Wahlergebnis von 2011 gefallen, seit sich der Flüchtlingsstrom verstärkt habe, den Grünen wurden noch rund vier bis sechs Prozentpunkte Zugewinn vorhergesagt. Und Guido Wolf, der CDU-Spitzenkandidat im Land, sei mit seinem konservativen Profil eher für Wählerinnen und Wähler in ländlichen Gebieten attraktiv als in großstädtischen Bereichen oder Ballungsräumen.

Keine Problemfälle bei der Landesregierung

Er rechne eher damit, dass die Grünen in weiteren großstädtischen Wahlkreisen das Direktmandat erobern, als dass sie 2011 eroberte Sitze wieder verlieren, sagte Gabriel. Dass sie in Stuttgart alle drei Direktmandate zurückgeben müssen und ganz auf die Zweitauszählung angewiesen sein werden, betrachtet er als „höchst unwahrscheinlich“. Zumal Verkehrsminister Winfried Hermann heute offenbar keine Belastung für die grün-rote Koalition mehr sei wie zu Beginn der Legislaturperiode. Problemfälle gebe es gerade im grünen Teil der Landesregierung jetzt nicht, sagte Gabriel, die Grünen hätten ihre Regierungsfähigkeit nachgewiesen.

Eine Renaissance der SPD, die bis in die 1970er Jahre hinein beim Ringen um Direktmandate oft die Nase vorn gehabt hatte und ansonsten die Nummer zwei gewesen war, sieht Gabriel nicht: „Da ist kein Land in Sicht.“ Rückläufige Umfragewerte der Landes-SPD im Vergleich zum Wahlergebnis 2011 lassen auch keinen Rückenwind für die Stuttgarter Kandidatinnen und Kandidaten erwarten. Eher im Gegenteil. Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid sei eben ein hervorragender Fachpolitiker, aber besitze keine Ausstrahlung –  „und ohne geht es halt nicht“, sagte Gabriel.

Eine komplette Rolle zurück, meint auch der Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling, wird es bei der Wahl in Stuttgart eher nicht geben. Auch er rechnet damit, dass die Grünen das eine oder andere der drei Direktmandate verteidigen können. Ob das auch im Filderwahlkreis Stuttgart II gelingen wird, sei noch einmal eine andere Frage, sagt Wehling mit Blick auf die Besonderheiten dieser CDU-Traditionsdomäne.

Rund 375 000 Wahlberechtigte

Wie die Direktmandate verteilt werden und welche Parteien bei der Zweitauszählung der Stimmen zum Zuge kommen, haben in Stuttgart rund 375 000 Wahlberechtigte in der Hand – rund 7500 mehr als vor fünf Jahren. Diese Wahlberechtigten sind verteilt auf vier Wahlkreise, in denen jeweils zwischen 90 000 und 95 000 Personen an die Wahlurnen dürfen.

Darunter sind insgesamt etwa 24 000 Personen, die erstmals den Landtag mitwählen. Im Vergleich zur Gemeinderatswahl 2014, bei der die Altersgrenze für die Wahlberechtigung gesenkt wurde, sind aber nur 1000 Erstwähler dabei.

Drei der Stuttgarter Landtagsmitglieder, die über das Direktmandat in den Landtag eingezogen waren, kandidieren erneut: Muhterem Aras und Brigitte Lösch (beide Grüne) sowie Reinhard Löffler (CDU). Werner Wölfle (Grüne), der 2011 im Wahlkreis Stuttgart II das Direktmandat erobert hatte, ist längst nicht mehr im Landtag, sondern Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung und Krankenhäuser im Stuttgarter Rathaus. An seiner Stelle tritt diesmal Landesverkehrsminister Winfried Hermann an. Umweltminister Franz Untersteller, der 2011 über die Zweitauszählung ins Parlament gekommen war, bewirbt sich für die Grünen erneut.

Die CDU hat ihre Bewerberinnen und Bewerber, sieht man von Reinhard Löffler ab, komplett ausgetauscht.