Steht in Stuttgart an der Hasenbergsteige: Gebäude aus Infraleichtbeton Foto: Roland Halbe

Als Baustoff steht Beton nicht gerade für Behaglichkeit. Dies aber könnten Forschungen des Ingenieurs Mike Schlaich und der Architektin Regine Leibinger ändern. Sie setzen auf einen „Infraleichtbeton“.

Architekten lieben Beton. Die Ursache dafür ist noch nicht erforscht und muss wohl im tiefenpsychologischen Bereich zu suchen sein, denn alle anderen Zeitgenossen hassen den fahlgrauen Baustoff und pflegen betonsichtige Bauten reflexartig als „Betonbunker“ abzuqualifizieren.

Nur hin und wieder gelingt es Stararchitekten, Betonbauten zu erstellen, die auch in der allgemeinen Bevölkerung Respekt erfahren. Oder sie finden für teure Villen Bauherren mit puristischem Geschmack. Doch für alle andere Architektur hat Beton bei allen technischen Vorzügen den entscheidenden Nachteil der enormen Wärmeleitfähigkeit. Das ist der Grund, weshalb der schöne Beton allenthalben hinter Wärmedämmung und hässlichen Verkleidungen versteckt wird.

Wärmedämmverbundsysteme oder zweischalige Fassaden machen jedoch das Bauen komplizierter. Verschiedene Gewerke müssen nacheinander koordiniert werden. Details an Ecken, Sockeln und Dachanschlüssen, Fenster- und Türgewänden sind aufwendig und fehleranfällig. Im Einfamilienhausbau weicht man deshalb bei den Außenwänden auf „monolithische“ (aus nur einem Material) Bauweisen mit Leichtbetonsteinen oder Wärmedämmziegeln aus, die jedoch nach wie vor innen und außen verputzt und gestrichen werden müssen.

Bei Sichtbetonwänden möchte man darauf verzichten, und so gibt es seit einigen Jahren eine Tendenz, Außenwände aus einem leichten Ortbeton zu gießen, bei dem Blähtonkügelchen oder Blähglasperlen aus Recyclingglas-Granulat als Zuschlag für bessere Wärmedämmeigenschaften sorgen. Vor allem in der Schweiz, wo Architekten ein besonderes Faible für Sichtbeton haben, sind in jüngster Zeit zahlreiche Häuser aus dem Material entstanden. Sämtliche Wände und sogar das Dach sind bei einem Einfamilienhaus an der Hasenbergsteige in Stuttgart fugenlos aus Leichtbeton gegossen worden, was den von Matthias Bauer entworfenen Bau wie einen Fels am Hang aussehen lässt.

Der Dämmbeton hat etwa die Dichte von Buchenholz und wesentlich bessere Wärmedämmeigenschaften. Diese Werte genügen jedoch noch nicht, um ein Passivenergiehaus zu errichten. Außerdem wünschen sich die Ingenieure noch mehr Festigkeit. Grund genug für Mike Schlaich, vom Ingenieurbüro schlaich bergermann und partner und Inhaber des Lehrstuhls für Entwerfen und Konstruieren – Massivbau der TU Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Baustoffe und Baustoffprüfung in langen Versuchsreihen mit unterschiedlichen Rezepturen und Fließdichten einen verbesserten Beton zu entwickeln.

Das Ergebnis war schließlich ein Beton mit 760 Kilo pro Quadratmeter Trockenrohdichte und hervorragender Wärmeleitfähigkeit. Er nannte ihn „Infraleichtbeton“, weil er noch leichter ist, als es die Definition für Leichtbeton nach DIN 1045-1 mit einer Dichte von 800 bis 2000 Kilo pro Kubikmeter vorsieht. Der Wärmestromdurchgang einer 50 Zentimeter starken Wand entspricht etwa dem einer gleich starken Ziegelwand mit Wärmedämmverbundsystem.

Schon mal ein großer Schritt in die geplante Richtung also. Das Schwind- und das Kriechverhalten, die Druck- und Biegezugfestigkeit und andere Parameter unterscheiden sich teilweise erheblich vom Normalbeton und wollen bei der Konstruktion bedacht sein. Schon die größere Neigung zur Rissbildung macht Bewehrung notwendig. Wegen der geringeren Wasserdichtigkeit werden keine rostgefährdeten Baustahlmatten für die Bewehrung eingesetzt, sondern Glasfaserstäbe.

Tragende Decken mit größeren Spannweiten sind in Infraleichtbeton nicht möglich, aber auch nicht notwendig, da sie keine Dämmung benötigen und mit mehr Masse, wie gewünscht, die Wärme besser speichern.

Gewissermaßen im Selbstversuch testete Mike Schlaich das neue Material bei seinem 2008 errichteten Einfamilienhaus in Berlin, das mit 50 Zentimeter starken Außenwänden aus Infraleichtbeton errichtet wurde. Sein „Kuschelbeton“ (er fühlt sich nicht wie Normalbeton kalt an) hat eine seidige Oberfläche. Man kann problemlos Nägel einschlagen, um Bilder an die Wand zu hängen. Ein Monitoring hat gezeigt, dass das Haus die energetischen und konstruktiven Erwartungen erfüllt.

Inzwischen ist die Entwicklung am Institut für Massivbau der TU vorangetrieben worden. Die jüngsten Betonrezepturen erreichen bei gleicher Dämmleistung eine Verdoppelung der Festigkeit, was die monolithische Bauweise nun auch ökonomisch interessant macht. Die Gewichtsersparnis des Infraleichtbetons mindert auch Transport- und Montagekosten, so dass sich die Produktion von Fertigkeilen anbietet, was wiederum mit einer Verkürzung der Bauzeit einhergeht.

Die Architektin Regine Leibinger, vom Büro Barkow Leibinger und Professorin am Fachgebiet Baukonstruktion und Entwerfen der TU Berlin, arbeitet gegenwärtig zusammen mit Mike Schlaich an einem von der Stiftung Zukunft Bau geförderten Forschungsprojekt „Die gestalterischen Potenziale von Infraleichtbeton im Geschosswohnungsbau“, bei dem Fassadenmodelle gebaut und untersucht werden. Ziel ist, konkurrenzfähige Alternativen für die leidigen Wärmedämmverbundfassaden mit den umwelttechnisch höchst problematischen Styroporplatten zu entwickeln. Als Ergebnis soll ein Handbuch den Architekten Anweisungen, Materialtipps und Leitdetails für die neue Bauweise an die Hand geben.

Die Wärmedämmverbundfassade ist ein ökologischer Irrweg und ein gewaltiges Sondermüllproblem für die gar nicht so ferne Zukunft. Dazu Alternativen zu schaffen ist ein wahrhaft lohnendes Ziel.