Das Bild „Orkan“ steht für die Erschütterung, die die Chemotherapie in Leonhard Sulzberger auslöste Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Leonhard Sulzberger hat während seiner Krebstherapie mit der Malerei begonnen. In seinen dunkelsten Momenten schuf er Bilder, die mit ihrer positiven Ausstrahlung überraschen.

Stuttgart - „Gott hat die Seiten gespannt“ steht unter dem Bild einer Geige, die sich in leuchtendem Pink von dem dunklen Hintergrund abhebt. Jemand hat das Wort korrigiert, statt „Seiten“ steht dort nun „Saiten“. Der Künstler selbst nimmt es gelassen: „Es soll zwar ‚Seiten’ heißen, aber es freut mich, dass sich jemand mit meinem Bild beschäftigt hat“, sagt Leonhard Sulzberger mit einem Schmunzeln. Das Bild liegt ihm besonders am Herzen, weil es entstand, als sein Leben am seidenen Faden hing.

„Faszination Farbe“ ist die erste Ausstellung des 73-Jährigen. Seine Bilder sind vielleicht auch deshalb so aussagekräftig, weil sie in einer besonderen Lebenssituation entstanden sind. Während seiner Krebstherapie begann der an einem unheilbaren Multiplen Myelom Erkrankte unter Anleitung der Kunsttherapeutin des Diakonie-Klinikums mit der Malerei. „Ich hatte seit der Schulzeit nicht mehr gemalt. Doch jeden Freitag, wenn die Kunsttherapeutin mich besuchte, war das für mich ein großes Erlebnis“, sagt der Bauingenieur. Schnell wurde klar, dass er Talent hat. Und so entstanden innerhalb von vier Jahren 62 Kunstwerke. Eine Auswahl davon hängt nun im Foyer des Krankenhauses. Den Erlös aus dem Verkauf seiner Bilder spendet der Stuttgarter an den Förderverein des Diakonie-Klinikums – aus Dankbarkeit für die gute Betreuung.

Die unterschiedlichen Bilder vereint ihre positive Ausstrahlung

Seine Werke sind ganz unterschiedlich: Mal hat er geometrische Formen mit exakten Linien gezeichnet, dann wieder Mohnblumen mit leuchtenden Farben. Andere Bilder, gefertigt mit einer Spachteltechnik, ziehen den Betrachter durch strudelartige Formen in ihren Bann, die nächsten symbolisieren mit Kerzen eine Sehnsucht nach dem eigenen Zuhause. „Die Nerven in meinen Händen sind inzwischen durch die Chemotherapie so geschädigt, dass ich keine exakten Linien mehr malen kann. Deshalb habe ich mir die Spachteltechnik angeeignet“, erklärt er die verschiedenen Techniken.

Gemeinsam haben die Bilder aber, dass sie etwas positives, fast fröhliches ausstrahlen. Damit stehen sie im Kontrast zu den Sätzen, die Sulzberger zu den Werken geschrieben hat. Er beschreibt darin, in welchen Situationen sie entstanden: „Ich habe auch gemalt, wenn es mir sehr schlecht ging.“

Dieser Umgang mit der Krankheit scheint typisch für ihn. Als passionierter Radfahrer war er viel mit dem Mountainbike unterwegs, nun fährt er E-Bike. „E-Bikes habe ich früher nur belächelt, aber jetzt geht es eben nicht mehr anders“, sagt er ohne Bitterkeit.

Der Verzicht tut manchmal weh

Seit er im Jahr 2000 die Diagnose erhielt, dass er an einem Multiplen Myelom erkrankt ist, musste sich Sulzberger nach und nach einschränken. „Manchmal tut es weh, zu verzichten“, gibt er zu. Die Krebserkrankung des Knochenmarks breitete sich schleichend aus, erst zwölf Jahre nach der ersten Diagnose wurde die erste Chemo-Behandlung nötig. Seinen geliebten Beruf hat er der Gesundheit zuliebe im Alter von 71 Jahren aufgeben. Einen Gottesdienst kann er wegen seines geschwächten Immunsystems nicht besuchen. Der Verzicht aufs Skifahren fällt ihm jedoch besonders schwer. „Als es mir schon schlecht ging, war ich noch einmal für einen Tag in Lech zum Skifahren. Davon konnte mich auch meine Familie nicht abbringen“, sagt Sulzberger mit einem schelmischen Lachen. Er träume immer noch davon, eines Tages eine schnelle Abfahrt zu fahren. Doch mit seinem Schicksal hadert er nicht: „Die Frage nach dem Warum habe ich nie gestellt.“ Auch sei er nie in eine Depression verfallen, wie es vielen anderen Patienten in seiner Situation passiert. „Das halte ich nicht für meine Leistung, sondern für ein Geschenk.“

Statt den Mut zu verlieren und sich isolieren zu lassen, geht Sulzberger offen mit der Erkrankung um. „Ich rede vielleicht sogar etwas zu viel darüber“, sagt er. Mit seiner Kunst hat er eine Möglichkeit gefunden, Gefühle auszudrücken und Kraft zu tanken. Das positive Lebensgefühl gibt er mit seiner Ausstellung an andere Patienten weiter.

Die Ausstellung ist noch bis zum 17. Februar täglich von 8 bis 20 Uhr im Diakonie-Klinikum, Rosenbergstraße 38, zu sehen. Der Eintritt ist frei.