Ralf Hütter und seine Band Kraftwerk erfanden vor 40 Jahren den Elektropop Foto: dpa

Kraftwerk sind keine Band, sondern ein Gesamtkunstwerk. Daher ist es nur konsequent, dass die Formation um Ralf Hütter mit ihrer 3-D-Konzertshow nach Gastspielen im New Yorker MoMa, der Tate Modern in London und der Kunst- sammlung NRW in Düsseldorf jetzt auch im ZKM in Karlsruhe aufgetreten ist.

Seit es Rockmusik gibt, ist die Straße ihr Sehnsuchtsort – ein Ort, der Freiheit und Abenteuer verspricht. Die A 555 zwischen Köln und Bonn taugt – anders als die Route 66 – aber nicht zum Schauplatz der On-the-road-Romantik des Rock’n’Roll. Vielleicht deshalb interpretiert der Song „Autobahn“ die Besessenheit der Popmusik vom Unterwegssein neu. Die repetitive, monotone Synthesizersinfonie, die weder Heim- noch Fernweh kennt, ist eine Hymne an die Gleichförmigkeit des Fahrens, auf das Eintönige, Ereignislose. Das unternehmungslustige „Fun, Fun, Fun“ der Beach Boys hat sich in ein nüchternes „Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“ verwandelt.

Als Kraftwerk Samstagnacht im ZKM in Karlsruhe „Autobahn“ spielen, fahren auf der Leinwand hinter den vier Maschinenbedienern 1970er-Jahre-Modelle von Mercedes und Porsche und ein VW-Käfer mit dem Kennzeichen D-KR 70 durch eine trostlose 3-D-Welt. Diese ahmt Emil Schults Cover des „Autobahn“-Albums nach – jene Platte, mit der Ralf Hütter und seine Band Kraftwerk vor 40 Jahren den Elektropop erfanden.

Mit den drei Konzerten (eines am Freitag, zwei am Samstag), beteiligt sich Ralf Hütter mit Kraftwerk am Programm zum 25. Geburtstag des Karlsruher Zentrums für Kunst- und Medientechnologie (ZKM), das mit seinem interdisziplinären und unmusealen Ansatz ausgezeichnet zu dieser Formation passt, die eher eine multimediales Gesamtkunstwerk als eine Band ist. Dass es nicht der erste Auftritt von Kraftwerk im ZKM ist, wundert da nicht.

Obwohl sich die Auswahl der Stücke vom Oktober 1998 gar nicht so sehr von der aktuellen unterscheidet, bekommen die Zuschauer jetzt in den ausverkauften Konzerten eine andere Show geboten. Die Auftritte im ZKM sind ein Best-of der 3-D-Konzertreihe „Der Katalog 1 2 3 4 5 6 7 8“, bei der an acht Abenden jeden Tag ein anderes Kraftwerk-Album auf dem Programm stand. Die Reihe gastierte 2012 und 2013 im MoMa in New York, in der Kunststiftung NRW in Düsseldorf und in der Tate Modern in London.

An die Konzertbesucher werden 3-D-Brillen verteilt, damit die Videoprojektionen auf der Leinwand hinter der Bühne den Eindruck erwecken können, dass tatsächlich ein Ufo ins ZKM fliegt, dass einem Zahlen, Notenschlüssel, Tabletten oder Scherben um die Ohren fliegen. Auch der Raumklangsound setzt auf solche 3-D-Effekte.

Während bei „Autobahn“ der Käfer durch eine grüne Nichtwelt, fährt, in der manchmal am Horizont eine Industrielandschaft zu erkennen ist, schimmert durch dieses Stück musikalisch durchaus noch die Krautrock-Vergangenheit – Improvisationselemente werden elektronisch verfremdet in dieses Lied aus dem Jahr 1974 eingearbeitet. Das dazugehörige Album war das letzte, bei dem ein Gitarrist Mitglied von Kraftwerk war.

Die Lieder von der Platte „Computerwelt“ sind fast ebenso innovativ wie die „Autobahn“-Elektrosinfonie. Denn 1981, als Bands wie Depeche Mode Kraftwerk-inspirierten Synthiepop zum Mainstreamphänomen machten, waren Ralf Hütter und Florian Schneider, die bis 2008 den Kraftwerk-Kern bildeten, schon ganz woanders – nahmen mit ihren Beatcollagen, mit Synthiebass-Rhythmen Techno und House vorweg. In „Heimcomputer“, dessen spröder Beat in neongrün flimmernde 3-D-Streifenmuster übersetzt wird, ebenso wie in den blubbernden Sequenzern des Titelsongs. Und wenn Hütter mit technoid verzerrter Stimme singt „Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard / Finanzamt und das BKA haben unsere Daten da“, hat „Computerwelt“ nebenbei eine erschütternde Aktualität. Ebenso wie das Lied „Radioaktivität“ aus dem Jahr 1975, das als elektronischer Blues, inzwischen auch die Störfälle in Tschernobyl und Fukushima betrauert.

Das zentrale Motiv im Kraftwerk-Œuvre ist aber auch bei den Karlsruher Shows die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Kraftwerk inszenieren sich seit über 30 Jahren in den Fotografien Peter Boettchers zwischen Floppy Discs und klobigen mattweißen Telefonapparaten als Menschmaschinen, Männer ohne Unterleib, als Schaufensterpuppen. Auch in den zur Abstraktion, zum Strukturalismus und zum Formalismus neigenden Ton- und Bildinszenierungen des Konzerts begegnet man diesen entmenschlichten Gerätebedienern ständig wieder – ob im minimalistischen „Die Mensch-Maschine“ oder im Popmanifest „Die Roboter“, das die Konzerte in Karlsruhe eröffnet: „Wir funktionieren automatik / Jetzt wollen wir tanzen mechanik.“

Passend dazu stehen Hütter und seine Audio- und Videooperatoren in Cyberspace-Jumpsuits auf der Bühne, bleiben die meiste Zeit regungslos, verziehen keine Miene. Nur wenn der Elektrogroove mal besonders heftig zuckt, sieht man den einen oder anderen Fuß im Takt mitwippen. Vorausgesetzt, man wird nicht gerade wieder einmal von der 3-D-Show überwältigt, die das Spiel mit Zeichen und Zahlen, mit Piktogrammen und grafischen Elementen liebt, sich nur ganz selten mit realen Filmszenen abgibt – wie zum Beispiel bei „Das Modell“.

Ein flackernd-flimmernder Mittelstreifen kann da in der „Autobahn“-Inszenierung zum Pendant zu Kubricks Sternenreise aus „2001 – Odyssee im Weltall“ werden, zur Meditation über das Immer-weiter. Denn auch wenn der VW-Käfer am Ende des Stücks eine Ausfahrt nimmt, bleibt „Autobahn“ eine der Kraftwerk-Oden auf das Nie-zum-Ende-Kommen. Ebenso wie das sich dramatisch steigernde „Trans Europa Express“, die Radsuite „Tour de France“ oder das Stück „Techno Pop“, in dem Hütter verkündet: „Es muss immer weiter gehen / Musik als Träger von Ideen.“