Auf dem Bau, in der Gastronomie oder der häuslichen Pflege werden Billigkräfte aus Osteuropa ausgebeutet. Foto: dpa

35.000 Haushalts- und Pflegehilfen aus Osteuropa arbeiten allein in Baden-Württemberg, schätzt der Zoll. Ein glänzendes Geschäft für Vermittler und Arbeitgeber. Wer eine Suchanzeige schaltet, erlebt Eindrückliches.

Stuttgart - Der Job ist anspruchsvoll. Eine häusliche Pflegekraft für zwei hochbetagte Menschen soll es sein. Und günstig dazu. So steht es in dem Inserat, das diese Zeitung geschaltet hat. „Sie werden sich wundern, was Sie da alles bekommen“, sagt Maria Simo. Sie berät im Stuttgarter Fraueninformationszentrum (FIZ) vor allem Gestrandete aus Rumänien und Bulgarien, aber auch anderen östlichen EU-Ländern. Solche, die mit Arbeit nach Deutschland gelockt werden und sich in einem Albtraum aus Abhängigkeit und Ausbeutung wiederfinden. Maria Simo soll Recht behalten.

Kaum ist die Anzeige erschienen, füllt sich das E-Mail-Postfach mit Antworten. Etwa 25 sind es am Ende. Rund die Hälfte davon stammt von deutschen Interessenten, oft mit einwandfreien Referenzen. Die andere Hälfte kommt aus Osteuropa. Von der Qualifikation her unterscheiden sich die Damen, die sich von dort melden, kaum von den deutschen Kolleginnen. Allerdings im Preis, der angebotenen Arbeitszeit – und oft genug in der Art der Vermittlung.

Herr H. etwa stellt sich sehr höflich vor. „Ich vermittle unter verwandten und bekannten Damen aus Ungarn“, erläutert er. Es geht halt nichts über eine große Verwandtschaft. Für ihn fällt für die Vermittlung ein kleiner „Unkostenbeitrag“ ab. Und höchstwahrscheinlich danach regelmäßig eine satte Gebühr von den Damen. Deren Dienste kosten übrigens nur 1200 Euro im Monat. Für die 24-Stunden-Pflege zweier alter Menschen.

„Die Leute sind vollkommen isoliert und nach einigen Monaten psychisch am Ende“

Solche Angebote von Agenturen gibt es einige – auch von deutschen, die mit Partnern etwa in Polen zusammenarbeiten. Manche wirken seriös, andere nicht. Und auch die Interessentinnen, die sich von alleine melden, scheinen leidensfähig. Mehr als 1500 Euro im Monat fordert keine. Arbeit rund um die Uhr ist für niemanden ein Problem. Einige fragen fast verschämt danach, ob sie angemeldet sein würden oder einen freien Tag pro Woche bekämen. „Ich will 1480 Euro pro Monat. Mit Agentur kostet 2100“, schreibt eine. Die Differenz stecken die Vermittler ein. Auf die Rückfrage, ob denn Agenturgebühren anfallen, melden sich mehrere Bewerberinnen überhaupt nicht mehr.

Auch ein Hilferuf ist dabei. Beim Anruf unter der angegebenen Nummer meldet sich eine Frau aus der Region. Sie kennt in der weiteren Verwandtschaft eine polnische Pflegekraft, die nach Strich und Faden ausgenutzt wird. „Sie kam über eine deutsche Agentur“, erzählt die Frau. Jeden Monat bezahlt die Familie 1650 Euro, von denen nur 900 bei der Pflegerin ankommen. „Das geht nicht für die 24-Stunden-Pflege von Demenzkranken im höchsten Stadium“, sagt die Frau. Sie wolle die Betroffene unbedingt dort raus haben. „Die Leute sind vollkommen isoliert und nach einigen Monaten psychisch am Ende“, sagt sie, „das ist menschenverachtend.“ Sie wehrten sich aber nicht und hätten Angst vor Repressalien. Das schildern auch andere Antworten auf die Anzeige, in denen Interessenten anbieten, Pflegekräfte zu vermitteln, die anderswo ausgebeutet werden. Das Mitleid mit den Betroffenen wächst.

„Transparent läuft da sehr wenig“, weiß Maria Simo, die sich um einige der Fälle kümmern wird. Man wisse bei Agenturen im Endeffekt nie, wie viel Geld überhaupt bei den Frauen ankomme. Natürlich sind deren Angebote für Suchende trotzdem interessant. „Das ist angenehm für die Kunden. Sie müssen sich um nichts weiter kümmern“, sagt Simo. Sie weiß, dass viele Angehörige selbst in einer Notlage stecken. Die Pflege zu Hause kostet viel Kraft und Geld. Da kommen einfache, günstige Angebote gelegen und können bei seriösen Firmen auch eine Lösung sein.

Kost und Logis vom kärglichen Lohn abgezogen

Experten schlagen längst Alarm. Nach Schätzungen des Stuttgarter Hauptzollamts arbeiten derzeit allein in baden-württembergischen Haushalten 35 000 Frauen aus Osteuropa. Oft unter schlechten Bedingungen. „Die meisten Leute sind nach zwei, drei Monaten krank“, sagt Elmar Leonbacher vom Stuttgarter Hauptzollamt. Manchmal würden auch noch Kost und Logis vom kärglichen Lohn abgezogen.

Die häusliche Pflege ist aber nur eine der Branchen, in der massiv Schindluder getrieben wird. Auch auf dem Bau oder in der Gastronomie setzt so mancher Arbeitgeber auf Billigkräfte, meist scheinselbstständig, weil dann keine Mindestlöhne gezahlt werden müssen. So stoßen Ermittler immer wieder auf kuriose Phänomene wie selbstständige Küchenhelferinnen. Im Extremfall landen Frauen aus Rumänien oder Bulgarien in der Prostitution. Unter Fachleuten kursiert die Geschichte eines rumänischen Paars, das im Stuttgarter Rotlichtviertel strandete. Beide teilten sich ein Zimmer. Wenn die Frau auf der Straße einen Freier fand, rief sie oben ihren Mann an, damit der das Zimmer räumt und seine Frau Geld verdienen kann.

Und warum machen die Betroffenen all dies mit? Die Antwort ist für Leonbacher einfach. „In Rumänien arbeiten 25 Prozent der Leute für den gesetzlichen Mindestlohn von 160 Euro monatlich. Das sind 94 Cent pro Stunde. Da sind Sie bereit, vieles zu tun“, sagt er. Auf diese Weise komme das Land auf eine relativ niedrige Arbeitslosenquote, „weil zwei bis drei Millionen Rumänen ihr Geld im Ausland verdienen.“

„Die Drahtzieher agieren bundesweit“

Eine erhebliche Rolle spielt auch Druck. Gerade in der Baubranche werden die Leute von den Arbeitgebern erpresst – damit, die Arbeit zu verlieren oder das Zimmer, in dem sie wohnen. „Die Drahtzieher agieren bundesweit“, weiß Zoll-Kollege Heinz-Dieter Kainzbauer-Hilbert. Man verspreche den Betroffenen 1200 Euro im Monat und zahle nur hundert. Wenn sie sich beschweren, sage man ihnen, es gebe kein Geld mehr, drücke ihnen 300 Euro in die Hand und schicke sie nach Hause. „Die nehmen das, fahren zurück und der Arbeitgeber ist das Problem los“, sagt Leonbacher. „Manche sind schon fünf Mal auf die Schnauze gefallen und kommen trotzdem ein sechstes Mal wieder.“

Zur Polizei oder zu Hilfseinrichtungen wie dem FIZ verirren sich nur ganz wenige. Nur dann, wenn sie auf der Straße stehen oder so am Ende sind, dass sie keinen Ausweg mehr wissen. Das bestätigt auch Ingo Filippi. Der Stuttgarter Anwalt hat sich auf rumänische Klienten spezialisiert und unter anderem Frauen betreut, die in den sogenannten Pussy-Clubs als Prostituierte ausgebeutet worden sind. „Die Leute kommen erst, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen“, sagt er. Und auch dann gehe es meist nicht um Anzeigen, sondern nur darum, noch etwas Geld vom Arbeitgeber zu bekommen. Filippi erzählt von einer Reinigungskraft, die nach drei Jahren Arbeit ohne Urlaub krank geworden ist – und daraufhin nicht nur sofort den Job, sondern auch die Wohnung verlor.

Lösungsansätze gibt es viele, aber keine einfachen. Der Zoll brauche mehr Leute, so Leonbacher. Man müsse außerdem Anreize schaffen, dass Betroffene die Profiteure verklagen und die Klage auch durchziehen. Beim FIZ könnte man sich einen EU-Topf zur Unterstützung solcher Leute vorstellen. Außerdem müssten Gewerbeämter, Politik und die gesamte Öffentlichkeit dem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken.

Herr H. könnte übrigens prompt liefern. „Eine Dame hätte ich hier, die wäre gleich zur Verfügung“, schreibt er. Die anderen „verwandten und bekannten Damen aus Ungarn“ würden eine kurze Wartezeit von vier bis fünf Tagen erfordern. Nach Begleichung des Unkostenbeitrags natürlich.