Ein koptisches Kreuz hat an jedem Arm drei Kreise, die für die Dreifaltigkeit stehen. Die zwölf äußeren Kreise symbolisieren die zwölf Apostel, die vier inneren stehen für die vier Evangelisten Foto: dpa

Die Koptische Kirche versteht sich als „Kirche der Märtyrer“. Seit dem Vormarsch der Islamisten in der arabischen Welt sind ihre Gläubigen mehr denn je der Gewalt und dem Hass von Fanatikern ausgeliefert.

Stuttgart - Es sind 21 Namen, die in orangefarbener Schrift in einem schwarzen Kasten auf der Website der Koptisch-Orthodoxen Gemeinden in Deutschland stehen. Darunter ist zu lesen: „Wir sprechen den Angehörigen unser tiefstes Mitgefühl aus. Wir bitten Gott um seinen Beistand.“ Es sind die Namen jener koptischen Christen, die jüngst von Islamisten in Libyen getötet wurden.

Pater Johannes Ghali kennt die Männer nicht persönlich, auch nicht ihre Familien. Und doch verbindet ihn viel mit den Toten. Die 21 ägyptischen Gastarbeiter, die vor wenigen Tagen in Libyen von Angehörigen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) enthauptet wurden, gehören wie er zur Religionsgemeinschaft der Kopten. Und wie der orthodoxe Priester stammen sie aus der Kopten-Hochburg Al-Minya, einem Gouvernement 250 Kilometer südlich von Kairo.

Die 25 ermordeten Kopten stammen aus Pater Ghalis Heimatregion

„Ich bin sehr stolz, dass die 21 Märtyrer aus meiner Heimatregion kommen“, sagt der Priester mit überraschender Gelassenheit. Andere wären aufgewühlt, erschüttert, hasserfüllt. Nicht so Pater Johannes. „Ich bin stolz auf meine Kirche, die Kirche der Märtyrer.“ Der 50-Jährige mit dem schwarzen Zottelbart und der sanften Stimme ist seit 1996 Priester von St. Georg, einer ehemaligen evangelischen Kirche in Stuttgart-Degerloch, die der koptischen Gemeinde als Gotteshaus dient. Den bodenlangen schwarzen Talar und das silberne koptische Kreuz auf seiner Brust trage er immer, auch im Urlaub, erzählt er.

Unter koptischen Christen, die nach der Eroberung Ägyptens durch den Islam im siebten Jahrhundert zur Minderheit im eigenen Land wurden, ist das Märtyrer-Gedenken weit verbreitet. Das Wort Märtyrer stammt aus dem Griechischen. „Martys“ sind die Blutzeugen, die um des Bekenntnisses ihres Glaubens willen leiden und einen gewaltsamen Tod erdulden. Jeder Kopte, der das Kondolenzschreiben liest, weiß: Es hätte auch seine Angehörigen, seine Verwandten, seine Freunde treffen können.

„Es gibt immer mehr Tote“, sagt Pater Johannes. Soeben hat er erfahren, dass weitere 35 Kopten, die als Gastarbeiter in Libyen arbeiteten, von Extremisten entführt worden sind. „Muslime dürfen das Land verlassen, doch Kopten werden entführt und ermordet, nur weil sie Christen sind.“ Die IS-Terroristen hätten den 21 Getöteten vor ihrer Hinrichtung angeboten, sie zu verschonen, wenn sie zum Islam konvertierten. „Keiner hat seinem Glauben abgeschworen, selbst dann nicht, als dem neben ihm der Kopf abgeschnitten wurde.“

Der koptische Ritus ist einer der ältesten Liturgien der Christenheit

Die morgendlichen Sonnenstrahlen, die durch die Buntglasfenster fallen, tauchen das von Weihrauchschwaden erfüllte Kirchenschiff von St. Georg in ein geheimnisvolles Licht. Vorne im Altarraum, der wie für orthodoxe Kirchen üblich durch eine Ikonostase – eine mit Ikonen geschmückte Wand – abgetrennt ist, feiert Pater Johannes mit einer Handvoll Gläubigen den Gottesdienst. Mit dem Rücken zum Volk, so wie es auch in der Katholischen Kirche vor der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) üblich war.

Ein Beamer wirft die liturgischen Texte im koptischem Original und in deutscher Übersetzung an die hölzerne Wand der Ikonostase. „Amen, Amen, Amen. Deinen Tod, Herr, verkünden wir, Deine Heilige Auferstehung und Auffahrt in den Himmel bekennen wir.“ Der koptische Ritus gehört mit seinen gesungenen Gebete und Hymnen zu den ältesten christlichen Kulten. An normalen Werk- und Sonntagen wird die Basilius-Liturgie gefeiert. Die beiden anderen Varianten mit der Gregorius- und Kyrillos-Anaphora (dem Hochgebet während der Eucharistiefeier) sind mit mehr als drei Stunden noch mal um eine halbe Stunde länger als dieser „normale Ritus“.

„Es ist eine Liturgie, wie sie schon die frühen Christen feierten“, erläutert Pater Ghali. Seit dem 12. Jahrhundert sprechen die Kopten Arabisch. Ihre Sprache, die aus dem Altägyptischen entstand (weshalb sie sich als Nachfahren der Pharaonen sehen) wird heute nur noch im Gottesdienst verwendet.

Rund 450 Kopten leben in Baden-Württemberg

Als Seelsorger für die Kopten in Baden-Württemberg betreut Pater Ghali rund 450 Gläubige in Aalen, Freiburg, Konstanz, Heilbronn, Ulm, Tuttlingen und Stuttgart. Rund 60 von ihnen leben in der Landeshauptstadt. Insgesamt gibt es 20 koptische Gemeinden in Deutschland sowie zwei Kloster – eines im hessischen Kröffelbach, das andere im nordrhein-westfälischen Höxter. Dort haben die Bischöfe für Nord- und Süddeutschland ihren Sitz.

Der koptisch-orthodoxe Bischof in Deutschland, Anba Damian, sieht in der Enthauptung der 21 Christen durch IS-Milizen den möglichen „Beginn einer Lawine“. Für die mit dem Tod bedrohten Kopten gelte wie für die Ermordeten: „Es gibt keine Schuld, nur die Tatsache, dass sie Christen sind“, so Damian. „Die rote Verfärbung des Mittelmeerwassers mit dem Blut der Märtyrer lässt unsere Herzen bluten.“ Der 60-Jährige ist eng mit Deutschland verbunden, wo er seit 1980 lebt. Bevor er 1993 zum Priester und zwei Jahre später zum Bischof der in Deutschland lebenden Kopten geweiht wurde, studierte er Medizin in Kairo und absolvierte seine Facharztausbildung zum Radiologen im Ludwigsburger Kreiskrankenhaus.

35 weitere Kopten sind von IS-Terroristen entführt worden

Die Bundesregierung fordert Anba Damian auf, mit der ägyptischen Regierung im Kampf gegen die Islamisten zu kooperieren. Auch Deutschland sei Zielscheibe des Terrors. Ob Terrorismus mit militärischen Mitteln wirksam bekämpft werden könne, vermöge er als Geistlicher nicht zu beurteilen. Militärische Luftschläge, wie sie Ägyptens Präsident al-Sisi habe durchführen lassen, seien emotional nachvollziehbar. „Man muss aber vorsichtig sein und die Konsequenzen im Blick haben“, warnt der Bischof.

Nach Angaben des christlichen Hilfswerks Open Doors in Kelkheim hatten die Geiselnehmer wenige Tage vor der Bluttat noch die Personalausweise der Ägypter überprüft, um sicherzugehen, dass es sich um Christen handle. „Die Saat des Hasses und der Spaltung der ägyptischen Gesellschaft zwischen Muslimen und Christen soll nicht aufgehen“, sei die Botschaft, die für Ägypten „alles andere als selbstverständlich“ sei, heißt es seitens Open Doors.

Die meisten Kopten sind als Gastarbeiter und Studenten in den Südwesten gekommen. Einige von ihnen haben einen deutschen Ehepartner. Nur zehn Prozent von ihnen sind Pater Johannes zufolge Flüchtlinge. Er selbst ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Anders als in der Katholischen Kirche dürfen Priester heiraten. Wer Mönch werden oder in der Kirchenhierarchie zum Bischof aufsteigen will, muss allerdings zölibatär leben.

Präsident Al-Sisi – für die Kopten ein „Erlöser“

„Ich telefoniere mehrmals täglich mit Verwandten und Pfarrern in Ägypten“, erzählt Pater Johannes. Die Situation der Kopten sei unter dem islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi „sehr schlimm“ gewesen. „Ohne die Machtübernahme durch die Armee im Juli 2013 wäre die Lage heute wie im Irak und in Syrien.“ Das Militär habe die Christen vor der Verfolgung durch die Islamisten gerettet, ist der Priester überzeugt. Präsident Abdel al-Sisi sei für die Kopten „wie ein Erlöser“.

Seit der Revolution kommt das Land am Nil nicht zur Ruhe. Auf der Sinaihalbinsel verbreitet die Terrorgruppe Ansar Beit al-Makdis Angst und Schrecken. Wie die im ostlibyschen Derna kämpfende Miliz hat auch sie dem IS die Treue geschworen.

Seit langem beklagen die Kopten die gesellschaftliche und staatliche Benachteiligung. Sie werden von der muslimischen Mehrheit ausgegrenzt, diskriminiert und unterdrückt. Übergriffe und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. So wurden 2010 bei einem Angriff von Islamisten auf ein Weihnachtsfest im oberägyptischen Nadsch Hammadi sechs Kopten getötet. Am Neujahrstag 2011 starben 23 Menschen bei einem Bombenanschlag auf eine Kirche in Alexandria. Im Zuge der Revolution 2011 und der Staatskrise 2013 wurden zahlreiche Kirchen geplündert und zerstört.

Getötet, nur weil sie Christen sind

„Die IS-Terroristen sind Mörder. Sie töten Kopten, weil sie Christen sind.“ Doch so abscheulich ihre Verbrechen auch sind, Pater Johannes verzeiht den Tätern. „Ich spüre keinen Hass in meinem Herzen.“ Die Mörder seien Opfer einer verbrecherischen Ideologie, die Gewalt und Zerstörung sät und erntet. Wovor er sich fürchte, wollen wir wissen? „Dass sich die Menschen in Deutschland und anderswo an das Unrecht gewöhnen und es nicht mehr zur Kenntnis nehmen.“

Der Arm des selbst ernannten Kalifats ist lang. Die IS-Milizen versuchen nach dem Irak und Syrien auch Ägypten und Libyen zu vereinnahmen. Al-Sisi sucht nun den offenen Kampf. Die 21 Ermordeten gelten als „Märtyrer“, das Regime ordnete eine siebentägige Staatstrauer an. Aus den Dschihadisten vor der Haustür schlägt der Präsident innen- wie außenpolitisch Kapital. Dass es um die Menschenrechte schlecht bestellt ist, seit der Ex-General die Macht ergriffen hat, ist für die Kopten das kleinere Übel.

Am 12. April feiern die koptischen Christen Ostern – neben Weihnachten ihr höchstes Fest. Auch in St. Georg werden sie sich versammeln, um für die Lebenden zu beten und der Toten zu gedenken. Bis dahin, fürchtet Pater Johannes, werden weitere koptische Christen ihres Glaubens wegen ihr Leben lassen. „Wir sind die Kirche der Märtyrer. Daran wird sich auch nichts ändern.“