Hunderte Gemeinden im Land haben in den kommenden Monaten die Chance, ihre Energieversorgung in die eigene Hand zu nehmen. Das Nachsehen hätte der Energieriese EnBW, der bisher mit den Rathäusern stark verbandelt ist.

Stuttgart - Hunderte Gemeinden im Land haben in den kommenden Monaten die Chance, ihre Energieversorgung in die eigene Hand zu nehmen. Das Nachsehen hätte der Energieriese EnBW, der bisher mit den Rathäusern stark verbandelt ist. Fachleute sprechen von einem "historischen Zeitfenster" für die Kommunen.

Vielleicht war Fellbach einfach zu früh dran. Als sich der Gemeinderat des Städtchens vor gut zehn Jahren entschloss, sein Stromnetz wieder in die eigene Hand zu nehmen, schüttelte manch anderer Schultes nur müde den Kopf. Gerade waren die Energiemärkte in Deutschland liberalisiert worden, und vieles wurde damit unsicherer. Plötzlich konnte jeder Kunde Strom von überallher beziehen, und mit den Energiekonzernen und deren flinken Vertriebstöchtern stand den Stadtwerken mächtige Konkurrenz ins Haus. War man da im Schoß eines Konzerns - in Fellbachs Fall die heute mit der Karlsruher EnBW verschmolzenen Neckarwerke-Stuttgart - nicht ganz gut aufgehoben?, fragten sich daher viele.

Die Fellbacher Kommunalpolitiker gingen damals auf Risiko. "Ihre Vision war, die eigenen Stadtwerke zu stärken und die Energieversorgung der Bürger wieder zur Chefsache im Rathaus zu machen, sagt der jetzige Stadtwerke-Chef Thomas Mahlbacher. Fellbach kaufte daher sein Stromnetz zurück, und heute sagt Mahlbacher: "Wir sind gut damit gefahren."

Gut zehn Jahre nach der Fellbacher Entscheidung treibt die Schultes überall im Land wieder ein ganz ähnlicher Gedanke um. Grund sind sogenannte Konzessionen für Strom und Gas, die bis Ende 2012 im Südwesten massenhaft auslaufen und über deren Neuvergabe die Kommunen dann entscheiden dürfen. Die spannende Frage dabei ist, wer beim neuen Poker um Betrieb und Besitz der wichtigen Strom- und Gasnetze das Rennen machen wird. Wieder die Energie Baden-Württemberg (EnBW), die nach eigenen Angaben im gesamten Südwesten rund 70 Prozent der rund 1100 Stromkonzessionen hält? Oder doch die Kommunen, die nach Ende der Vertragslaufzeit die EnBW vor die Tür setzen können, um sich selbst das Netzgeschäft zu sichern, und die Machtverhältnisse im Energiesektor damit nachhaltig umkrempeln könnten. Fachleute wie der energiepolitische Sprecher der Landes-SPD, Thomas Knapp, sprechen denn auch von einem "historischen Zeitfenster", das sich derzeit für die Kommunen auftue.

Wie tief ins Gebiet der Konzerne die Rekommunalisierungswelle schwappen wird, ist unsicher. Klar ist aber, dass in den letzten Monaten hinter den Kulissen ein Tauziehen um die Herrschaft über die Energienetze entbrannt ist, wie selten zuvor. Denn viele Städte und Gemeinden haben - anders als noch vor Jahren - den Wert einer eigenen Energieversorgung erkannt, deren zentraler Baustein die Netze sind. "In vielen Rathäusern ist das Interesse an einer Rekommunalisierung immens", sagt Peter Turkowski, der als Experte und Gutachter Kommunen im Energiegeschäft berät. Immer mehr setze sich die Einsicht durch, dass die Daseinsvorsorge - also etwa die Versorgung der Bürger mit Energie - zu den ureigensten Aufgaben der Gemeinde zähle.

Beispiele dafür gibt es allein in der Region Stuttgart genug. In Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt, Leonberg und Metzingen denke man über einen Netzrückkauf nach, heißt es beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) im Südwesten. Sindelfingen, Fellbach und Schorndorf hätten bereits seit längerem wieder die Netzregie übernommen. Mehrere Gemeinden im Remstal gehen sogar noch einen Schritt weiter. Ihr Ziel ist es, ein eigenes Stadtwerk zu gründen. Vorbild sind sieben oberschwäbische Gemeinden, die sich im Sommer 2008 zum Regionalwerk Bodensee zusammengeschlossen haben und seither Strom und Gas selbst an ihre Bürger verkaufen. Ähnlich lief es auch in Südbaden, wo sich die Städte Müllheim und Staufen ebenfalls zur Neugründung von Stadtwerken entschlossen haben oder in den Gemeinden Mainhardt und Wüstenrot bei Schwäbisch Hall. Auch dort wurde im Frühsommer 2009 ein eigener Versorgungsbetrieb gegründet. Auslöser der Rekommunalisierung war überall, dass Konzessionsverträge mit den Versorger-Platzhirschen Badenova bzw. EnBW ausliefen. Selbst in der Landeshauptstadt Stuttgart wird über eine Neuvergabe der Strom- und Gaskonzessionen bzw. die Gründung von Stadtwerken nachgedacht, heißt es im Rathaus. Die Nervosität bei den Großversorgern, das Rennen um das Energiegeschäft auf breiter Front zu verlieren, wächst.

Gründe, die Netze wieder zurück zur Gemeinde zu holen oder gar in die eigene Energieversorgung einzusteigen, gibt es genug. "Abgeschriebene Netze erwirtschaften relativ niedrige, aber sichere Renditen, sagt Fachmann Turkowski. Andere Fachleute sprechen von vier bis acht Prozent jährlichem Ertrag auf das eingesetzte Kapital, die über die Leitungen direkt in die Stadtsäckel flössen. Die Gemeinde Schorndorf könne sich so jährlich über einen hohen sechsstelligen Euro-Betrag freuen, wie Stadtwerkechef Andreas Seufer erläutert. Geld, das sonst in die Kassen ferner Konzerne flösse und jetzt in kommunale Wirtschaftskreisläufe und in den Unterhalt von Schulen und Hallenbädern in der Gemeinde investiert wird. Dazu kommt, dass immer mehr Orte auf eine eigene - auf regenerativen Energien fußende - Energieerzeugung setzen, auch um damit den Öko-Trend unter den Wählern zu bedienen. Auf diese Weise könnten die Bürger mehrfach von der Rekommunalisierung profitieren, sagt Seufer.

Allerdings gibt es auch Risiken. Dass die Strompreise sinken, ist keinesfalls sicher. Wer heute im liberalisierten Energiemarkt erfolgreich sein will, braucht gewiefte Insider, die sich auch locker über das Parkett der Leipziger Energiebörse (EEX) bewegen - ein Trumpf, mit dem nicht jeder städtische Betrieb wuchern kann. Allerdings hat speziell bei den Stadtwerken eine Professionalisierung eingesetzt. Immer mehr Betriebe stellen Fachleute ein, die auch schon mal auf die EEX-Charts schauen, um Billigstrom für ihre Kleinstadt zu ergattern.

Andere lagern die Beschaffung an externe Spezialisten wie die Südwestdeutsche Stromhandels GmbH in Tübingen oder die Aachener Firma Trianel aus. Im Blatt der Energiekonzerne - einstmals die Monopolisten des Expertenwissens - stechen immer weniger Trümpfe. Daher reagieren sie mitunter auch gereizt, wenn irgendwo ein Gemeinderat Anzeichen macht, ihnen den Rücken zu kehren.

Der Widerstand der EnBW und anderer Großversorger gegen einen Rückkauf der Netze sei extrem, sagt der VKU-Landesvorsitzende und Chef der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm, Matthias Berz.

Kulminieren könnte der Kampf Konzerne gegen Stadtwerke just im württembergischen Speckgürtel um Stuttgart. Der einwohnerreiche und industriestarke Großraum gilt unter Branchenkennern als "Filetstück" unter den baden-württembergischen Konzessionsgebieten.

Wieso gerade der Norden Baden-Württembergs im Fokus der EnBW steht und welche Auswirkungen eine neue Vergabe der Netze haben könnte, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der "Stuttgarter Nachrichten".